Bio­lo­gika: Eine Frage der Wirksamkeit

10.04.2017 | Medizin

Die Ent­schei­dung, wel­ches Bio­lo­gi­kum für wel­chen Pati­en­ten am bes­ten geeig­net ist, ist nicht immer leicht zu tref­fen. Immer­hin erreicht ein Drit­tel der Pati­en­ten mit einer ent­zünd­lich rheu­ma­ti­schen Erkran­kung mit­tels Bio­lo­gika-The­ra­pie eine voll­stän­dige Remis­sion – wobei gilt: je kür­zer die Erkran­kungs­dauer, umso effi­zi­en­ter die The­ra­pie. Von Mar­lene Weinzierl

Meist ist es ledig­lich eine Frage der Wirk­sam­keit, wel­cher Pati­ent wel­ches Bio­lo­gi­kum erhält. Bei Pati­en­ten mit ent­zünd­li­chen rheu­ma­ti­schen Erkran­kun­gen und hoher Krank­heits­ak­ti­vi­tät muss man zunächst mit der Gabe von kon­ven­tio­nel­len Basis­the­ra­peu­tika zusam­men mit Kor­ti­son ent­ge­gen­steu­ern; auf­grund der Neben­wir­kun­gen stellt Kor­ti­son aller­dings keine Dau­er­me­di­ka­tion dar. „Hier sollte eine Basis­the­ra­pie mit anti­in­flamm­a­to­ri­schen Immun­sup­pres­siva so früh wie mög­lich gestar­tet wer­den“, betont Univ. Prof. Win­fried Gra­nin­ger von der Abtei­lung für Rheu­ma­to­lo­gie und Immu­no­lo­gie an der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät Graz.

Bei einer ent­zünd­li­chen rheu­ma­ti­schen Erkran­kung unter­liegt das Immun­sys­tem einer Fehl­re­gu­la­tion, deren Ursa­chen noch nicht genau bekannt sind. Die Folge sind schmerz­hafte arti­ku­läre Schwel­lun­gen als Zei­chen der Arthri­tis, also einer inflamm­a­to­ri­schen Reak­tio­nen an der Syn­ovia, so Gra­nin­ger. Hier set­zen die kon­ven­tio­nel­len che­mi­schen DMARDs (Dise­ase modi­fy­ing anti-rheu­ma­tic drugs) an. Die Bio­lo­gika (tar­ge­ted DMARDs) haben genau defi­nierte Angriffs­punkte, um die Ent­zün­dungs­bo­ten­stoffe und osteo­de­struk­ti­ven Pro­zesse gezielt zu stoppen.

Metho­tre­xat, Sala­zo­py­rin und – sel­te­ner – Leflu­no­mid sind kon­ven­tio­nelle syn­the­ti­sche DMARDs, die „seit vie­len Jahr­zehn­ten erprobt und sicher sind“, ergänzt Univ. Prof. Josef Smo­len von der Kli­ni­schen Abtei­lung für Rheu­ma­to­lo­gie an der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät Wien. Diese Sub­stan­zen zei­gen bei 20 bis 30 Pro­zent der Pati­en­ten gute Wirk­sam­keit. Bio­lo­gika kom­men dann zum Ein­satz, wenn kon­ven­tio­nelle Basis­the­ra­peu­tika plus Kor­ti­son ver­sa­gen. Alle Bio­lo­gika haben etwa glei­che Wirk­sam­keit. Pati­en­ten ohne Rheu­ma­fak­tor wird wegen gerin­ge­rer Effi­zi­enz für gewöhn­lich kein Medi­ka­ment zur Inhi­bie­rung von B‑Lymphozyten ver­ord­net. Zu beach­ten ist zudem, dass Pati­en­ten mit einer Tbc in der Ana­mnese kei­nes­falls TNF-alpha- Blo­cker erhal­ten soll­ten, da diese eine „ruhende“ Tuber­ku­lose reak­ti­vie­ren kön­nen, so Graninger.

Eine The­ra­pie mit bio­lo­gi­schen DMARDs kommt grund­sätz­lich nur bei den zehn Pro­zent der ent­zünd­li­chen rheu­ma­ti­schen Erkran­kun­gen in Frage, nicht jedoch bei den sehr häu­fi­gen Arthro­sen (Knor­pel­ab­nüt­zung: engl. Osteo­ar­thri­tis). Eine The­ra­pie mit Bio­lo­gika ist vor­wie­gend für die Behand­lung der Rheu­ma­to­iden Arthri­tis (frü­her: Chro­ni­sche Poly­ar­thri­tis), Pso­ria­sis-Arthri­tis, axia­len Spon­dy­lo­ar­thri­tis (Mor­bus Bech­te­rew), Vas­ku­lit­i­den sowie des Sys­te­mi­schen Lupus ery­the­ma­to­des zugelassen.

Um eine „Über­be­hand­lung“ zu ver­mei­den – und auch aus Kos­ten­grün­den – soll­ten Bio­lo­gika aller­dings nur dann ein­ge­setzt wer­den, „wenn kon­ven­tio­nelle Mit­tel ver­sagt haben“, ergänzt Smo­len. Spricht ein Pati­ent nach drei Mona­ten noch immer schlecht oder gar nicht auf eine tra­di­tio­nelle The­ra­pie an und besteht ein hohes Risiko für Defor­ma­tio­nen oder Gelenks­de­struk­tio­nen, sollte laut Gra­nin­ger nach den Leit­li­nien der Euro­päi­schen Liga gegen Rheu­ma­tis­mus (EULAR) mit Bio­lo­gika behan­delt werden.

Eine voll­stän­dige Remis­sion durch Bio­lo­gika wird – zwin­gend in Kom­bi­na­tion mit Metho­tre­xat aut sim – in 30 Pro­zent der Fälle erreicht, berich­tet Gra­nin­ger. Die Medi­ka­tion wirkt umso inten­si­ver, je kür­zer die bis­he­rige Erkran­kungs­dauer des Pati­en­ten und je weni­ger The­ra­pie­ver­sa­gen der Pati­ent erlebte. Das Qua­li­täts­merk­mal der „ziel­ori­en­tier­ten Behand­lung“, um größt­mög­li­che Beschwer­de­frei­heit und lang­fris­tig die opti­male Lebens­qua­li­tät bei erhal­te­ner Gelenks­funk­tion zu erzie­len, sind regel­mä­ßige Unter­su­chun­gen. Inten­sive The­ra­pie­an­pas­sung (auch „Treat to tar­get“ oder „T2T“) umfasst Fra­gen wie: Sind die Gelenke geschwol­len? Hat der Pati­ent Schmer­zen? Ebenso soll­ten Remis­si­ons­kri­te­rien zum Ein­satz kom­men. Die Akti­vi­tät der Erkran­kung sollte wei­ter­hin alle drei Monate doku­men­tiert und die The­ra­pie ent­spre­chend ange­passt wer­den. Zeigt der Pati­ent in die­sem Zeit­raum keine deut­li­che Bes­se­rung in Bezug auf min­des­tens 50 Pro­zent der Krank­heits­ak­ti­vi­tät oder wurde nach sechs Mona­ten das Ziel der zumin­dest nied­ri­gen Krank­heits­ak­ti­vi­tät nicht erreicht, emp­fiehlt Smo­len, das Bio­lo­gi­kum zu wechseln.

Die Wirk­prin­zi­pien der Bio­lo­gika umfas­sen die Hem­mung des Tumor­ne­kro­se­fak­tors alpha, von Interleukin‑6, von Inter­leu­kin-17 sowie der T- und B‑Lymphozyten.

Bio­lo­gika soll­ten jedoch nicht mit­ein­an­der kom­bi­niert wer­den, macht Smo­len auf­merk­sam. „Ent­spre­chende Ver­su­che haben keine Ver­bes­se­rung der Effi­zi­enz gezeigt. Statt­des­sen ist es zu mehr Neben­wir­kun­gen, beson­ders zu Infek­ten, gekommen.“

Eine völ­lig neue Ära von syn­the­ti­schen DMARDs wird umge­hend erhält­lich sein. Diese Sub­stan­zen (Tofaci­t­inib, Bari­ci­t­inib) könn­ten für jene Pati­en­ten mit Rheu­ma­to­ider Arthri­tis eine Option dar­stel­len, die auch auf eine The­ra­pie mit Bio­lo­gika nicht anspre­chen, aber auch schon nach Ver­sa­gen von kon­ven­tio­nel­len Bio­lo­gika ein­ge­setzt wer­den. Laut den Exper­ten wei­sen die oral anzu­wen­den­den Januskinase(JAK)-Inhibitoren eine ähn­li­che Wirk­sam­keit wie Bio­lo­gika auf, inhi­bie­ren jedoch meh­rere Zyto­kine gleich­zei­tig und ver­spre­chen nach kli­ni­schen Stu­dien einen ähn­lich guten Behand­lungs­er­folg. Aller­dings: „Kei­nes der erwähn­ten Medi­ka­mente ist den ande­ren ein­deu­tig über­le­gen“, rela­ti­viert Gra­nin­ger. „Bei allen bio­lo­gi­schen und syn­the­ti­schen DMARDs ist davon aus­zu­ge­hen, dass bis dato bei bis zu einem Drit­tel der Pati­en­ten eine Remis­sion erreicht wer­den kann – nicht mehr und nicht weni­ger. Man muss sich bei der The­ra­pie wei­ter­hin durch das Wech­seln von Medi­ka­men­ten­klas­sen zum gewünsch­ten Erfolg vor­tas­ten“, so der Experte. Dabei wird man künf­tig auch auf die wirt­schaft­lich ratio­nel­le­ren „Gene­rika der Bio­lo­gika“ (Bio­si­mi­lars) zurückgreifen.

Pati­en­ten­e­du­ka­tion

„Die Qua­li­tät der Krank­heits­be­wäl­ti­gung hängt auch immer davon ab, wie­viel Zeit die Betreue­rin für die Pati­en­tin hat“, weiß Gra­nin­ger. Da sich der Pati­ent selbst­stän­dig regel­mä­ßig Injek­tio­nen geben muss, ist eine sorg­fäl­tige Auf­klä­rung durch spe­zi­ell geschul­tes Gesund­heits­per­so­nal bei die­sen Pati­en­ten ebenso wich­tig wie die medi­ka­men­töse The­ra­pie selbst und trägt ent­schei­dend zum soge­nann­ten Coping bei. Da Tabak­kon­sum die Bil­dung spe­zi­el­ler Rheu­ma­fak­to­ren för­dert, sollte die Rau­cher­ent­wöh­nung fixer Bestand­teil des Maß­nah­men­pa­kets sein. Da bei einer The­ra­pie mit Bio­lo­gika gene­rell eine erhöhte Infek­ti­ons­ge­fahr (Pneu­mo­kok­ken) besteht, soll­ten vor The­ra­pie­be­ginn der Impf­sta­tus über­prüft und feh­lende Imp­fun­gen nach­ge­holt werden.

Wirk­prin­zi­pien von Biologika

Die Wir­kung von Bio­lo­gika beruht auf der hoch­spe­zi­fi­schen Bin­dung an lös­li­che Boten­stoffe oder Zell­ober­flä­chen-Struk­tu­ren, wodurch weder Boten­stoff inhi­biert, Zell-Zell­in­ter­ak­tio­nen behin­dert oder Zel­len zer­stört wer­den. Zum Bei­spiel bei:

Rheu­ma­to­ider Arthritis

  • TNF-alpha-Inhi­bi­tion: Ada­li­mu­mab, Cer­to­li­zu­mab, Goli­mu­mab, Infli­xi­mab, Etanercept
  • Interleukin(IL)-6-Inhibition: Toci­li­zu­mab; in Kürze ev.: Sarilumab, Sirukumab
  • IL-1-Inhi­bi­tion: Ana­kinra, Cana­kin­u­mab (sel­ten; beson­ders bei sys­te­mi­scher juve­ni­ler Arthritis)
  • T‑Zell-Ko-Sti­mu­la­ti­ons­in­hi­bi­tion: Abatacept
  • B‑Zell-Deple­tion: Rituximab

Pso­ria­sis-Arthri­tis

  • TNF-alpha-Inhi­bi­tion: Infli­xi­mab, Ada­li­mu­mab, Goli­mu­mab, Cer­to­li­zu­mab, Etanercept
  • IL-12/23-Inhi­bi­tion: Ustekinumab
  • Neu: IL-17-Inhi­bi­tion: Secukinumab

Spon­dy­lo­ar­thri­tis

  • TNF-alpha-Inhi­bi­tion: Infli­xi­mab, Ada­li­mu­mab, Goli­mu­mab, Cer­to­li­zu­mab, Etanercept
  • Neu: IL-17-Inhi­bi­tion: Secukinumab

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 7 /​10.04.2017