Bio­che­mi­ker Oli­ver Hay­den: Seg­ler auf Erfolgskurs

10.06.2017 | Horizonte

Für ihre inno­va­tive Methode zur Mala­ria-Dia­gnos­tik wur­den der öster­rei­chi­sche Bio­che­mi­ker Oli­ver Hay­den und der nie­der­län­di­sche Labor­tech­ni­ker Jan van den Boo­gaart für den Euro­päi­schen Erfin­der­preis 2017 nomi­niert.
Von Ursula Jungmeier-Scholz

Vene­dig ist sein Schick­sals­ort: Vor mehr als einem Jahr­zehnt musste sich der Bio­che­mi­ker Oli­ver Hay­den, damals auf einem Kon­gress in der Lagu­nen­stadt, ent­schei­den, ob er eine aka­de­mi­sche Kar­riere ein­schlägt oder doch lie­ber in die Indus­trie wech­selt. In weni­gen Tagen – genau gesagt am 15. Juni – ent­schei­det sich wie­derum in Vene­dig, ob er gemein­sam mit Jan van den Boo­gaart den Euro­päi­schen Erfin­der­preis 2017 ent­ge­gen­neh­men wird kön­nen. Die Leis­tung der bei­den: Eine völ­lig neu­ar­tige Methode, mit­tels spe­zi­fi­scher Ver­än­de­run­gen im Blut­bild Mala­ria auto­ma­ti­siert dia­gnos­ti­zie­ren zu können.

Auf Umwe­gen zur Malaria

Hay­dens beruf­li­che Ent­wick­lung führte auf Umwe­gen zur Labor­dia­gnos­tik. 1972 im ober­ös­ter­rei­chi­schen Steyr gebo­ren, wuchs er in der idyl­li­schen Ort­schaft Pern­zell nahe des Steyr­tals auf, wohin er heute noch gerne zurück­kehrt, um in der Abge­schie­den­heit nach­den­ken zu kön­nen. Als Zög­ling im Stifts­gym­na­sium Schlier­bach hielt er sein ers­tes Che­mie­buch in Hän­den. „Das habe ich noch am sel­ben Tag von vorne bis hin­ten durch­ge­le­sen und wusste, was ich stu­die­ren werde.“ Nach der Matura über­legte er, in Syd­ney zu stu­die­ren, blieb dann aber in Anbe­tracht der Jugo­sla­wien-Krise doch lie­ber in Öster­reich und inskri­bierte nach sei­nem Mili­tär­dienst an der Uni­ver­si­tät Wien Bio­che­mie. Eine Ent­schei­dung mit pri­va­ten Fol­gen, denn bereits im Stu­dium lernte er seine spä­tere Ehe­frau Sig­rid ken­nen. Die bei­den haben drei Kin­der: Kon­stanze, Wolf­ram und Tris­tan. In Vene­dig reifte der Wunsch, die (zukünf­ti­gen) Kin­der im deutsch­spra­chi­gen Raum auf­wach­sen zu las­sen und es fiel die Ent­schei­dung, an das renom­mierte IBM-For­schungs­la­bor nach Zürich zu wech­seln. Für die kurz dar­auf fol­gende Beru­fung an die Uni­ver­si­tät Edin­burgh fühlte sich Hay­den „noch zu jung und zu uner­fah­ren“. Einen For­schungs­auf­ent­halt in Har­vard hatte Hay­den da ohne­hin schon hin­ter sich sowie die Habi­li­ta­tion in Ana­ly­ti­scher Che­mie zum Thema nano­struk­tu­rierte Bio­sen­so­ren. Ab 2007 arbei­tete er für die Sie­mens Zen­tral­for­schung in Erlangen. 

Heuer wer­den die Kin­der in Vene­dig mit dabei sein, wenn sich ent­schei­det, ob der Vater als einer der drei Fina­lis­ten den Erfin­der­preis erhält, den das Euro­päi­sche Patent­amt seit 2006 jähr­lich in fünf Kate­go­rien ver­leiht. Hay­den und Van den Boo­gaart sind für die Kate­go­rie „Indus­trie“ vorgeschlagen.

Daten-Fin­ger­ab­druck gefunden

Indi­rekt resul­tiert die Nomi­nie­rung aus der Kon­takt­freu­dig­keit von Hay­den und dem ste­ti­gen Bemü­hen, mög­lichst engen Aus­tausch mit Kli­ni­kern zu pfle­gen. Die Anwend­bar­keit sei­ner For­schungs­er­geb­nisse war ihm stets ein gro­ßes Anliegen.

Van den Boo­gaart kannte Hay­den durch die gemein­same Arbeit und ähn­li­che Inter­es­sen bei Sie­mens. Van den Boo­gart war, als er in Süd­afrika eine Ein­schu­lung auf den Häma­to­lo­gie- Auto­ma­ten Advia 2120i von Sie­mens durch­führte, von einer ein­hei­mi­schen Ärz­tin dar­auf ange­spro­chen wor­den, dass sie bei meh­re­ren Blut­bil­dern von Mala­ria-Infi­zier­ten eine Auf­fäl­lig­keit ent­deckt hatte, aber noch keine Sys­te­ma­tik dahin­ter erken­nen könne. Die Infor­ma­tion ließ Van den Boo­gaart nicht los und die dar­auf fol­gende Koope­ra­tion mit Hay­den führte zu einem über­ra­schen­den Ergeb­nis: Es wurde aus mehr als 30 Para­me­tern ein „Daten-Fin­ger­ab­druck“ der Mala­ria iden­ti­fi­ziert – span­nen­der­weise weni­ger in den Immun­zel­len, son­dern vor allem in den Blut­plätt­chen – und gemein­sam ein euro­päi­sches Patent für das Ver­fah­ren angemeldet.

Rasch, sicher und „gra­tis mitgeliefert“

Die Vor­teile der Mala­ria-Dia­gnos­tik mit­hilfe des Sie­mens Advia 2120 Häma­to­lo­gie-Auto­ma­ten, die sich aller­dings erst in kli­ni­schen Stu­dien bewäh­ren muss: Wäh­rend Schnell­tests nicht ganz zuver­läs­sig sind – zehn Pro­zent sind falsch nega­tiv – und die klas­si­sche Dia­gnose via mikro­sko­pi­scher Plas­mo­dien-Suche eine erfah­rene Fach­kraft benö­tigt, las­sen sich auf dem erwähn­ten Gerät von Sie­mens pro Stunde 120 Pro­ben ana­ly­sie­ren. „Mit unse­rer Methode bekommt man die Daten für die Mala­ria-Dia­gnose mit dem Blut­bild mit­ge­lie­fert, das bei die­ser Sym­pto­ma­tik ohne­hin auto­ma­tisch gemacht wird“, erklärt Hayden.

Ebenso rasant wie diese Form der Dia­gnos­tik ver­läuft Hay­dens beruf­li­che Ent­wick­lung. Zehn Jahre lang war er in der Inno­va­ti­ons­schmiede von Sie­mens in ver­schie­de­nen Tech­no­lo­gie­fel­dern tätig und lei­tete zuletzt die „In-vitro-Dia­gnos­tik und Bio­sci­ence Deutschland“-Aktivität im Unter­neh­men. Mit Juni hat er nun doch eine Pro­fes­sur ange­tre­ten: auf dem Heinz- Nix­dorf-Lehr­stuhl für Bio­me­di­zi­ni­sche Elek­tro­nik an der TU Mün­chen. „Und wie­der fällt ein neuer Lebens­ab­schnitt mit einer Reise nach Vene­dig zusam­men.“ Räum­lich ange­sie­delt sein wird Hay­den am Trans­la­TUM, dem fun­kel­na­gel­neuen Cen­ter for Trans­la­tio­nal Can­cer Rese­arch – in direk­ter Nach­bar­schaft zum Kli­ni­kum rechts der Isar. „Dass dort unter einem Dach Inge­nieure und Kli­ni­ker inten­siv zusam­men­ar­bei­ten und eine ein­zig­ar­tige For­schungs­kul­tur auf­bauen kön­nen, ist span­nend für die Biomedizin.“

„99 Pro­zent des For­scher­le­bens sind hart erar­bei­tete Frus­tra­tion“, resü­miert Hay­den. „Ein Pro­zent der Ergeb­nisse besche­ren Glücks­ge­fühle – und davon lie­fert wie­der nur ein Bruch­teil etwas Wert­vol­les für die Gesell­schaft.“ Die neu­ar­tige Mala­ria-Dia­gnos­tik gehört ein­deu­tig zu die­sem klei­nen Seg­ment: Nahezu die Hälfte der Welt­be­völ­ke­rung ist laut WHO von Mala­ria bedroht; 429.000 star­ben im Jahr 2015 daran. Zwei Drit­tel davon waren Kin­der unter fünf Jah­ren, deren jun­ges Immun­sys­tem mit den Tricks des Para­si­ten nur schlecht zurecht­kommt. Das Euro­päi­sche Patent­amt ver­weist auf Stu­dien, wonach ein zuver­läs­si­ger Mala­ria­test jähr­lich allein in Afrika 100.000 Todes­fälle und 400 Mil­lio­nen Falsch­be­hand­lun­gen ver­mei­den könne. Die gesell­schaft­li­che wie wirt­schaft­li­che Rele­vanz der Mala­ria­dia­gnos­tik ist somit unbestritten.

„Für jede Sache offen“

Mala­ria-Dia­gnos­tik ist aber nur eine Anwen­dung für Hay­den. Er selbst cha­rak­te­ri­siert sich als „neu­gie­rig“ und „nicht Risiko scheu­end“; wohl des­halb zieht es ihn immer wie­der zu neuen Her­aus­for­de­run­gen und nun zurück an die Hoch­schule. Seine Frau bezeich­net ihn als „für jede Sache offen“ und als einen Men­schen, „mit dem man Pferde steh­len kann“. Ver­läss­lich erhal­ten bleibt er der Zell­dia­gnos­tik. Dabei strebt er an, sein tech­no­lo­gi­sches Wis­sen an der TU Mün­chen in neue Ver­fah­ren umzu­set­zen, um bei­spiels­weise Infor­ma­tio­nen über die Funk­tion des Immun­sys­tems Pati­en­ten-nah ver­füg­bar zu machen.

Bleibt ihm neben sei­ner beruf­li­chen Lei­den­schaft und dem Enga­ge­ment für die Fami­lie noch Zeit für sein Hobby, dann segelt er – beson­ders gerne in der Ost­see, wo er mit Freun­den ein Boot char­tert, sich vom Wind trei­ben lässt und den „Küs­ten­schnack“, die belang­lo­sen Gesprä­che fern der Berufs­welt, genießt.

Der­zeit segelt Hay­den unbe­strit­ten auf Erfolgskurs.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 11 /​10.06.2017