Standpunkt – Präs. Artur Wechselberger: Mystery-Shopping und Freier Beruf

10.03.2016 | Standpunkt

© Dietmar Mathis

Der Arztberuf ist ein Freier Beruf. Unter einem Freien Beruf versteht man eine selbstständig ausgeübte, auf wissenschaftlicher Grundlage fußende Tätigkeit, die besonderen Qualitätskriterien zu entsprechen hat und in größtmöglicher Unabhängigkeit einem Kunden, Klienten oder Patienten gegenüber erbracht wird. In der Art der Berufsausübung handelt es sich um die Erbringung geistig-ideeller, persönlicher Leistungen, die eigenverantwortlich und fachlich unabhängig durchgeführt werden. Diese Prämissen zur Berufsausübung gelten unabhängig davon, ob der Arztberuf in der freien Niederlassung, mit oder ohne vertragliche Bindung an eine Sozialversicherung, oder im Rahmen eines Dienstverhältnisses ausgeübt wird.

Die freiberuflichen Leistungen sind zudem auch gemeinschaftswichtige Tätigkeiten. Das heißt, dass die geistig-ideellen Angebote der Ärzteschaft letztlich im gemeinsamen Interesse des betroffenen Patienten und der Allgemeinheit sind. Deshalb gesteht der Staat den Freien Berufen in der Regel Freiräume und das Privileg einer autonomen Selbstverwaltung der Berufsangehörigen nach Maßgabe der staatlichen Gesetzgebung zu. – So weit, so gut.

In der Realität unseres Berufslebens sieht das Verständnis des Staates für den Freien Beruf einer Ärztin oder eines Arztes allerdings anders aus. Schließlich müssen wir tagtäglich erleben, wie eben dieser Staat versucht, Freiräume einzuschränken und tief in das Behandlungsgeschehen einzugreifen. Gerade, als ob er sich durch die auf Vertrauen aufgebaute Intimität des Arzt-Patientenverhältnisses und das dem zugrundeliegenden ärztlichen Verschwiegenheitsgebot bedroht fühlte. Zudem scheint noch die Informationsasymmetrie das Misstrauen der öffentlichen Entscheidungsträger zu schüren. Sie erwächst aus dem Expertenwissen der Ärztinnen und Ärzte und sie ist nicht nur gegenüber den einzelnen Patienten und Patientinnen sondern auch gegenüber den Entscheidungsträgern staatlicher Verwaltung evident. Ebenso ist wohl auch den Verantwortungsträgern des operativen Medizinbetriebs wie der Führung von Krankenhäusern oder Krankenkassen das freiberufliche Agieren suspekt. Unter dem Vorwand verschiedenster organisatorischer, ökonomischer, qualitätssichernder oder ordnungspolitischer Notwendigkeiten wird deshalb permanent versucht, selbst die für einen Freien Beruf unabdingbaren Freiheiten einzuschränken. Planungsvorgaben greifen tief in den Berufsalltag ein, Kontrollen sollen deren Einhaltung sichern und überbordende Dokumentationsvorgaben ein staatliches Informationsmonopol schaffen.

Wo gehobelt wird, da dürfen schon einmal auch Späne fallen, so offensichtlich der Tenor der Verantwortungsträger. Nur so lässt sich erklären, dass tatenlos zugesehen wird, wie Jungmedizinerinnen und Jungmediziner scharenweise das Land verlassen, Stellen in Krankenhäusern unbesetzt bleiben, Abteilungen schließen und Praxen niedergelassener Vertragsärzte verwaisen.

Zum Allmachtgehabe, das keinen unkontrollierten Bereich duldet, passen haargenau die Spitzelparagrafen, die unter dem Titel der Sozialbetrugsbekämpfung in das ASVG gekommen sind und unter dem Namen „Mystery-Shopping“ traurige Berühmtheit erlangt haben. Hier geht der Staat sogar soweit, dass er alle Staatsbürgerinnen und Staatsbürger grundsätzlich verdächtigt, im Rahmen von Arztbesuchen in Kumpanei mit ihren Behandlern Straftaten auszuhecken und zu begehen. Entgegen jeglicher Evidenz, wie parlamentarische Anfragebeantwortungen gezeigt haben, wird hier ein relevantes Schadenspotential unterstellt und den Krankenkassen eine Kontrollmacht zugestanden, die selbst staatspolizeiliche Kompetenzen übersteigt. Dass dabei verfassungsrechtliche Bestimmungen relativiert werden, die eine Angemessenheit der Maßnahmen verlangen und klar zwischen der Ausübung staatlicher Gewalt und Eingriffsmöglichkeiten privatrechtlicher Kontrollorgane unterscheiden, stimmt bedenklich.

Jedenfalls sind die staatlich verordneten Spitzeldienste in Arztpraxen und Krankenhäusern kein Signal zur Stärkung der Freien Berufe. Die neuen Überwachungsmethoden sind auch nicht dazu geeignet, Ärzte und Patienten für das öffentliche Gesundheitswesen und das Vertragsarztsystem zu begeistern.

Artur Wechselberger
Präsident der Österreichischen Ärztekammer

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 5 / 10.03.2016