Paper of the Month: Zwi­schen­fälle im Spi­tal – von Pati­en­ten gemeldet

25.06.2016 | Service

Beob­ach­tun­gen von Pati­en­ten über Zwi­schen­fälle im Spi­tal kön­nen eine wich­tige zusätz­li­che Infor­ma­ti­ons­quelle sein. Die beste Methode, um mög­lichst viele Berichte von Ereig­nis­sen zu erhal­ten, ist das per­sön­li­che Inter­view, ergab eine Stu­die, an der sich neun Sta­tio­nen ver­schie­de­ner medi­zi­ni­scher Fach­be­rei­che in einem Akut­spi­tal in Eng­land beteiligten.

O’Hara et al. unter­such­ten in ihrer Arbeit, wel­cher Mecha­nis­mus am bes­ten geeig­net ist, um Pati­en­ten­be­richte über sicher­heits­re­le­vante Ereig­nisse (PSE) mög­lichst umfas­send zu erhe­ben (BMJ Qua­lity and Safety 2016: How might health ser­vices cap­ture pati­ent-repor­ted safety con­cerns in a hos­pi­tal set­ting? An explo­ra­tory pilot study of three mechanisms).

An der Stu­die betei­lig­ten sich neun Sta­tio­nen ver­schie­de­ner medi­zi­ni­scher Fach­be­rei­che in einem Akut­spi­tal in Eng­land. Drei ver­schie­dene Mecha­nis­men wur­den erprobt, um PSE wäh­rend des Spi­tals­auf­ent­hal­tes zu erhe­ben: Das per­sön­li­che Inter­view der Pati­en­ten mit For­schungs-Assis­ten­ten, ein For­mu­lar und eine spe­zi­ell instal­lierte Tele­fon-Hot­line auf der Sta­tion. Die Sta­tio­nen wur­den einer der drei Metho­den zufäl­lig zuge­teilt. Den Pati­en­ten wurde die jewei­lige Methode vor­ge­stellt und sie wur­den gebe­ten, etwa­ige PSE über den auf ihrer Sta­tion imple­men­tier­ten Mecha­nis­mus zu mel­den: wo pas­sierte der Zwi­schen­fall, was pas­sierte und wer war daran betei­ligt. Alle Berichte wur­den in einem zwei­stu­fi­gen Ver­fah­ren ana­ly­siert. Zunächst beur­teil­ten jeweils zwei geschulte Pfle­ge­fach­leute unab­hän­gig von­ein­an­der, ob es sich gemäß der ver­wen­de­ten Defi­ni­tion um einen Zwi­schen­fall han­delt («ein uner­wünsch­tes oder uner­war­te­tes Ereig­nis, wel­ches eine Schä­di­gung ver­ur­sachte oder hätte ver­ur­sa­chen kön­nen»). Bei posi­ti­vem Scree­ning wur­den die Berichte durch Ärzte begut­ach­tet. Diese bewer­te­ten dann eben­falls, ob ein Zwi­schen­fall vor­lag, und beur­teil­ten des­sen Schwere und Vermeidbarkeit.

Ins­ge­samt wil­lig­ten 178 Pati­en­ten in die Stu­die ein. Auch nach Adjus­tie­rung von ande­ren Ein­fluss­fak­to­ren (zum Bei­spiel Länge des Auf­ent­hal­tes) unter­schied sich die Anzahl der gemel­de­ten Ereig­nisse zwi­schen den Melde-Mecha­nis­men signi­fi­kant: Mit dem Form­blatt berich­te­ten 41 Pro­zent der Pati­en­ten min­des­tens ein Ereig­nis. Mit der Tele­fon-Hot­line waren es 19 Pro­zent und mit dem Inter­view waren es 64 Pro­zent. Durch­schnitt­lich berich­te­ten die Pati­en­ten mit dem Form­blatt 0,92 Ereig­nisse, via Hot­line 0,43 Ereig­nisse und im Inter­view 1,9 Ereig­nisse. Durch die begut­ach­ten­den Ärzte wur­den 20 Pro­zent (Form­blatt), 19 Pro­zent (Tele­fon-Hot­line) und 25 Pro­zent (Inter­view) aller Berichte als tat­säch­li­ches PSE bewer­tet. Über das Form­blatt wur­den von 33 der in die Stu­die auf­ge­nom­me­nen 80 Pati­en­ten 14 Zwi­schen­fälle berich­tet, über die Hot­line von sie­ben der 38 Pati­en­ten drei PSE und im per­sön­li­chen Inter­view von 38 der 58 Pati­en­ten 27 PSE. Die Mecha­nis­men unter­schie­den sich nicht hin­sicht­lich der Ver­meid­bar­keit der berich­te­ten PSE. Über die Melde-Mecha­nis­men hin­weg wur­den etwa 80 Pro­zent der PSE als (wahr­schein­lich) ver­meid­bar eingeschätzt.

Diese Unter­su­chung zeigt deut­lich, dass das per­sön­li­che Inter­view «am Pati­en­ten­bett» durch unab­hän­gige Per­so­nen (zum Bei­spiel For­schungs-Assis­ten­ten) die beste Methode ist, um mög­lichst viele Berichte von Ereig­nis­sen zu erhal­ten. Die Mecha­nis­men unter­schei­den sich nur unwe­sent­lich im Anteil der als PSE beur­teil­ten Ereig­nisse, so dass ins­ge­samt mit dem Pati­en­ten-Inter­view pro in die Stu­die auf­ge­nom­me­nem Pati­en­ten am meis­ten PSE erfasst wer­den kön­nen. Das Spek­trum der berich­te­ten PSE ist enorm: von bau­li­chen Gefah­ren und Mate­ri­al­pro­bleme über Hygie­ne­män­gel bis hin zu Medi­ka­ti­ons­feh­lern und Kommunikationsversagen.

Die Pati­en­ten­be­richte bezie­hen sich häu­fig auf weni­ger dra­ma­ti­sche Ereig­nisse, die aber mög­li­cher­weise als «Vor­war­nung» sehr wich­tig und hilf­reich sein kön­nen, damit gewisse Pro­blem­fel­der gar nicht eska­lie­ren. Die Spi­tä­ler erhal­ten von Pati­en­ten also typi­scher­weise Berichte von Gefah­ren­si­tua­tio­nen, die zu Schä­den füh­ren kön­nen (bei­spiels­weise ein rut­schi­ger Tep­pich), und damit wich­tige Infor­ma­tio­nen für eine pro­spek­tive Risi­ko­ana­lyse. Die Erfas­sung und Aus­wer­tung von PSE ist eine wich­tige ergän­zende Infor­ma­ti­ons­quelle für das kli­ni­sche Risikomanagement.


Prof. Dr. Die­ter Schwapp­ach, MPH, Pati­en­ten­si­cher­heit Schweiz; www.patientensicherheit.ch

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 12 /​25.06.2016