Kom­men­tar – Michael Amon: Wert­schöp­fungs­ab­gabe: Gewinn­steuer für Freiberufler

10.10.2016 | Service

Von Michael Amon*

Viel ist die Rede von „Indus­trie 4.0“. Die These hin­ter dem Schlag­wort ist die, dass durch extreme Inno­va­ti­ons­schübe eine Situa­tion ein­tre­ten kann, die es his­to­risch noch nicht gab. Bis­he­rige Inno­va­ti­ons­schübe und Pro­duk­ti­vi­täts­zu­wächse haben nach einer Phase stei­gen­der Arbeits­lo­sig­keit stets dazu geführt, dass Beschäf­ti­gungs­ni­veau und Ein­kom­men (dank höhe­rer Pro­duk­ti­vi­tät) in Summe gestie­gen sind. Diese Ent­wick­lung wird von „Indus­trie 4.0“ infrage gestellt. Das wäre nicht nur ein Pro­blem der Indus­trie, die in men­schen­lee­ren Hal­len mit immer mehr Robo­tern arbei­ten würde, son­dern ebenso eines aller ande­ren Bran­chen. Es wür­den mehr Arbeits­plätze weg­ra­tio­na­li­siert, als durch neue Berufs­bil­der geschaf­fen wer­den könn­ten. Erst­mals würde der tech­ni­sche Fort­schritt lang­fris­tig Arbeits­plätze ver­nich­ten – und das auch in qua­li­fi­zier­ten Beru­fen. Stich­worte wie Pfle­ge­ro­bo­ter oder auto­ma­ti­sierte Chir­ur­gie seien angeführt.

Die Folge wäre, dass die bis­he­rige Finan­zie­rung des Sozi­al­staa­tes nicht mehr klap­pen würde. Sozi­al­ver­si­che­rungs-Bei­träge basie­ren heute auf Arbeits­ein­kom­men. Je höher die Arbeits­lo­sig­keit, desto gerin­ger die Bei­träge. Dem könne man nur gegen­steu­ern, indem jene Wert­schöp­fung in die Finan­zie­rung mit ein­be­zo­gen wird, die durch Maschi­nen erfolgt. Denn längst hängt unser Wohl­stand wesent­lich an die­sem Sozi­al­staat. Bei einem Rück­gang etwa der im Gesund­heits­we­sen zur Ver­fü­gung ste­hen­den Mit­tel wären ent­we­der die guten Ein­kom­men der Ärzte nicht mehr gesi­chert, oder es käme zu einer Redu­zie­rung der Zahl der Ärzte. Der gut ver­die­nende Mit­tel­stand wäre quer durch die Bran­chen bedroht, eine Abwärts­spi­rale könnte sich in Gang set­zen, die letzt­lich den gan­zen Sozi­al­staat in den Abgrund reißt.

Ob das Sze­na­rio „Indus­trie 4.0“ ein­tritt, ist unge­wiss. Fakt ist, dass durch die Glo­ba­li­sie­rung mas­sen­haft Arbeits­plätze jeder Qua­li­fi­ka­ti­ons­stufe gefähr­det sind. In den nächs­ten 30 Jah­ren wird mit rund 1,5 Mil­li­ar­den zusätz­li­chen Arbeits­kräf­ten welt­weit gerech­net! Es steht außer Frage, dass die Finan­zie­rung des Sozi­al­staa­tes eine neue Basis braucht. Eine Idee dazu ist die Wert­schöp­fungs­ab­gabe vulgo Maschi­nen­steuer. Zur Finan­zie­rung wer­den dabei nicht nur Arbeits­ein­kom­men her­an­ge­zo­gen, son­dern auch die „Arbeit“ von Maschi­nen. Das bedeu­tet eine Ände­rung der Bemes­sungs­ba­sis für die Sozi­al­ver­si­che­rung: Nicht nur Löhne und Gehäl­ter, son­dern auch Gewinne, Fremd­ka­pi­tal­kos­ten und Anla­gen­ab­schrei­bun­gen wer­den mit Sozi­al­ver­si­che­rungs-Bei­trä­gen belas­tet. Ver­ein­facht gesagt: Bran­chen mit hohem Auto­ma­ti­sie­rungs­grad wer­den belas­tet (durch die Besteue­rung der Anla­gen­ab­schrei­bung), sol­che mit hohem Arbeits­kräf­te­ein­satz wie Dienst­leis­tungs­be­triebe ent­las­tet. Damit wäre ein Gleich­ge­wicht zwi­schen kapi­tal- und arbeits­in­ten­si­ven Bran­chen gesi­chert und der Sozi­al­staat finanziert.

Ob die­ses Modell funk­tio­niert, ist hef­tig umstrit­ten. Nur in drei euro­päi­schen Län­dern gibt es bis­her ansatz­weise ein sol­ches Steu­er­mo­dell – mit unter­schied­li­chen Aus­wir­kun­gen. In Frank­reich scheint der Effekt leicht posi­tiv zu sein, in Ita­lien und Ungarn eher nega­tiv. Auch in der theo­re­ti­schen Dis­kus­sion wer­den die Effekte ambi­va­lent beschrie­ben. Es spricht eini­ges dafür, dass eine Wert­schöp­fungs­ab­gabe die Pro­duk­ti­vi­tät nega­tiv beein­flus­sen könnte und kurz­fris­tige Arbeits­platz­ge­winne nicht lang­fris­tig sta­bil sind, da eine Abgabe auf die Abschrei­bung ein Inves­ti­ti­ons­hin­der­nis dar­stellt. Die Wert­schöp­fungs­ab­gabe könnte sich als eine moderne Form der Maschi­nen­stür­me­rei erweisen.

Was bedeu­ten diese Über­le­gun­gen für eine Berufs­gruppe wie die Ärzte? Das zu beur­tei­len, fällt eini­ger­ma­ßen schwer, da man wis­sen müsste, wie die Wert­schöp­fungs­ab­gabe gestal­tet ist. Nun aber liegt ein Vor­schlag von SP-Kanz­ler Kern vor, der einen ers­ten Schritt in diese Rich­tung gehen will, indem die Basis für den Bei­trag zum Fami­li­en­las­ten­aus­gleichs­fonds (FLAF) beträcht­lich erwei­tert wird. Zusätz­lich zu den Per­so­nal­kos­ten sol­len Gewinne und Fremd­ka­pi­tal­zin­sen in des­sen Bemes­sung ein­ge­hen – bei gleich­zei­ti­ger Absen­kung des Bei­trags­sat­zes auf drei Pro­zent. Das Kern-/SPÖ-Modell ist ident mit jenem der Gewerk­schaft vom Februar 2015 und geht an der Idee der Wert­schöp­fungs­ab­gabe weit vor­bei. Aus­ge­rech­net die „Maschi­nen­ar­beit“ ist von der Besteue­rung aus­ge­nom­men: Die Abschrei­bung erhöht nicht die Berech­nungs­grund­lage. So wird die­ser Vor­schlag zu einer Besteue­rung, die Klein­be­triebe, Ein-Per­so­nen-Unter­neh­men (EPU) und Frei­be­ruf­ler enorm belas­ten würde. Deren Gewinne wür­den nun mit drei Pro­zent zusätz­lich besteu­ert, hoch ratio­na­li­sierte Betriebe ent­las­tet. Das zei­gen die Berech­nun­gen von SPÖ/​ÖGB: Indus­trie (minus zwölf Pro­zent FLAF) und Bau­we­sen (minus 33 Pro­zent), beide teils hoch­au­to­ma­ti­siert, wür­den ent­las­tet, per­so­nal­in­ten­sive Dienst­leis­tungs­be­rufe dage­gen belas­tet. Am stärks­ten selbst­stän­dige Ärzte (plus 166 Pro­zent) und unter­neh­mens­nahe Dienst­leis­ter (Bera­ter und EPU) mit plus 145 Pro­zent. Das läuft auf eine zusätz­li­che Gewinn­steuer für Frei­be­ruf­ler und Klein­be­triebe hin­aus. Die hoch­ra­tio­na­li­sierte Indus­trie bleibt unge­scho­ren. Eine Ver­keh­rung der Ursprungs­idee der Wert­schöp­fungs­ab­gabe. Selbst die Gewerk­schaft kon­ze­diert „poten­ti­ell zu hohe Kos­ten für Kleinst­be­triebe“, was ein scham­haf­tes Under­state­ment ist, und meint ebenso ver­schämt, das müsse durch „Begleit­maß­nah­men gemil­dert“ wer­den. Eine gründ­li­che Besei­ti­gung die­ser Neben­wir­kun­gen ist da nicht inklu­diert. Auch an der Auf­kom­mens­neu­tra­li­tät der neuen Steu­er­form muss man zwei­feln. Der Mit­tel­stand wird wie­der belas­tet, die Ent­las­tung geht an jene, die eigent­lich über eine Wert­schöp­fungs­ab­gabe einen grö­ße­ren Bei­trag zur Siche­rung des Sozi­al­staa­tes erbrin­gen sollten.

Vor­läu­fig muss sich nie­mand fürch­ten: Die Umset­zung ist man­gels ent­spre­chen­der Mehr­hei­ten nicht in Sicht. Trotz­dem wird man sich Gedan­ken über die zukünf­tige Finan­zie­rung des Sozi­al­staa­tes machen müs­sen – egal ob Indus­trie 4.0 kommt oder nicht. Was immer diese Über­le­gun­gen erge­ben: Es wäre ein Trep­pen­witz der Geschichte, wenn eine Wert­schöp­fungs­ab­gabe aus­ge­rech­net jene ver­schont, die eigent­lich die Ursa­che für ihre Ein­he­bung sind. Und: Ange­sichts unse­rer Staats­quote sollte es bei etwas Mut (Besei­ti­gung des föde­ra­len Irr­sinns) mög­lich sein, den Sozi­al­staat auch ohne zusätz­li­che Abga­ben auf­recht zu erhalten.

*) Michael Amon lebt als freier Autor in Gmun­den und Wien. Der Roman­cier und Essay­ist ist außer­dem geschäfts­füh­ren­der Gesell­schaf­ter der Andrea Amon & Part­ner Steuerberatungsgesellschaft.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 19 /​10.10.2016