CIRSmedical: Fall des Monats

15.08.2016 | Service

Über eine nur unzureichende Berufungsdiagnose und die damit einhergehende fehlende Anleitung zur Laien-Reanimation mit fatalem Ausgang berichtet ein Arzt mit mehr als fünf Jahren Berufserfahrung.

Fallbeschreibung: Ein Notarzt (Arzt für Allgemeinmedizin) wird von der zuständigen Rettungsleitstelle über einen Notfall in der Nachbargemeinde informiert, mit der Bitte diesen Notfall zu übernehmen. Ein Rettungswagen und ein Notarzt seien zum Einsatz unterwegs, beide aber mit deutlich prolongierten Anfahrtswegen. Die Berufungsdiagnose der Leitstelle lautete „Herzinfarkt“ (männlicher Patient; Altersgruppe zwischen 61 und 70 Jahren). Es erfolgte die vierminütige Anfahrt. Bei Eintreffen waren drei Angehörige anwesend, die deutlich aufgeregt waren, weil „der Papa reagiert nicht mehr“. Aufgrund der Berufungsdiagnose wurden die Visitentasche und das Notfall-EKG mit zum Patienten genommen. Schon beim ersten Sichtkontakt war eine Reanimationspflicht auszumachen. Es wurde umgehend mit dem BLS begonnen (Arzt allein am Patienten); nach Eintreffen des Rettungsdienstes wurde aufgrund der Airway-Erfahrung des Arztes mit SGA auf den ALS-Algorithmus gewechselt. Eintreffen des Notarztes; entfernen der SGA. Zweimalige frustrane Intubation (Notarzt ist Arzt in Ausbildung zum Facharzt für Unfallchirurgie mit geringer Erfahrung als Notarzt). Im EKG feines VF. Nach rund zehn Minuten Abbruch der Reanimation durch den Notarzt (unter persistierendem VF) – Exitus. Der meldende Arzt sieht die Gründe für dieses Ereignis darin, dass keine Detektion des Kreislaufstillstandes durch die Leitstelle und daher keine Anleitung zur Laien-Reanimation erfolgt ist. Aufgrund der Berufungsmeldung kein Reanimationsrucksack. Aus Platzgründen keine Reanimationsutensilien und keine Medikamente laut ERC-Algorithmus in der Visitentasche.

Kommentar/Lösungsvorschlag bzw. Fallanalyse:

Zunächst wäre es wichtig, das Notrufgespräch abzuhören, um einen besseren Überblick über die Ausgangslage zu erhalten. Der ersteintreffende Arzt fand offensichtlich einen inzwischen reanimationspflichtigen Patienten vor, BLS-Maßnahmen wurden laut Fallbeschreibung unter den gegebenen Umständen auch umgehend eingeleitet. Die Interpretation des weiteren Verlaufes erscheint schwierig, da hier keine Information über den konkreten Ablauf der Reanimation vorliegt (zum Beispiel zu welchem Zeitpunkt und wie oft wurde geschockt? Welche Medikation wurde verabreicht? Wie lange dauerte das Reanimationsgeschehen? Gab es eventuell weitere erschwerende Bedingungen? Etc.).

Grundsätzlich sollte jedoch immer bereits im Vorfeld Klarheit darüber bestehen, welche Ausrüstung erforderlich beziehungsweise sinnvoll erscheint. Der Einsatzgrund „Herzinfarkt” impliziert jedenfalls per se akute Lebensgefahr, in diesem Fall mit offensichtlich rasch eintretender Reanimationspflichtigkeit, sodass die sofortige Verfügbarkeit eines „medizinischen Basisequipments” für Einsätze dieser und anderer Art hilfreich wäre. Ob und in welcher Weise diese Ausrüstung im Rahmen einer „Ein-Helfer-Reanimation” dann gänzlich und in vollem Umfang zum Einsatz käme, ist eine andere Frage – bedenkt man die vorrangige Priorität einer suffizienten, möglichst nicht unterbrochenen Herzdruckmassage unter Berücksichtigung des Atemwegsmanagements.

Klar ist auch, dass die im Fall beschriebenen rund sechs Minuten ohne Reanimationsmaßnahmen maßgeblich zum fatalen Ausgang beigetragen haben. Daher kann die eminent wichtige Bedeutung einer professionell agierenden Leitstelle (angeleitete Reanimation per Telefon für Angehörige beziehungsweise Anwesende) nur doppelt unterstrichen und hervorgehoben werden.

Die Wichtigkeit der ständigen Fort- und Weiterbildung, „Trockentraining”, Übungsszenarien etc. für medizinisches Personal muss nicht extra erwähnt werden. Dabei sollte aber auch der Focus auf sogenannte „medizinische Laien” (wie zum Beispiel vor Ort befindliche Angehörige in einer Reanimationssituation) gerichtet werden, welche durch geeignete – und in Wahrheit leicht zu erlernende – Ersthelfermaßnahmen die Rettungskette maßgeblich optimieren könnten und auch sollten.

Parallel dazu zeigt dieser Fall wohl auch deutlich, dass es für die professionelle Ausübung einer Notarzttätigkeit im organisierten Rettungswesen umfassend ausgebildeter und am letzten Stand der medizinischen Wissenschaft stehender „Generalisten” bedarf, welche situationsgerecht und auch oftmals fachübergreifend die Klaviatur der präklinischen Notfallmedizin beherrschen.
ExpertIn der Berufsrettung Wien (medizinisch-fachlicher Aspekt)

Tipp: www.cirsmedical.at

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 15-16 / 15.08.2016