CIRSmedical – Fall des Monats: Akuter MCI übersehen

10.06.2016 | Service

Im Routinebetrieb einer Internen Notfall-Ambulanz wird an einem Wochentag im EKG ein akuter Hinterwandinfarkt übersehen, berichtet ein Arzt mit mehr als fünf Jahren Berufserfahrung.


Fallbeschreibung:

In die interne Notfall-Ambulanz wurde an einem relativ ruhigen Wochentag gegen Mittag ein Patient im Alter zwischen 31 und 40 Jahren mit Dyspnoe eingeliefert. Im Ambulanzzimmer waren eine Pflegeperson in Ausbildung, der an diesem Tag Ambulanz-leitende Arzt und ein Turnusarzt anwesend. Im Routinebetrieb wird bei jedem Patienten, sobald er das Ambulanzzimmer betritt, vom Pflegepersonal ein EKG gemacht sowie SPO2, RR und Fieber gemessen und anschließend eine Blutabnahme durchgeführt. Danach oder während dieser Tätigkeiten beginnt der Arzt mit dem Anamnesegespräch. Da der Turnusarzt zum Zeitpunkt des Eintreffens des Patienten gerade mit einem anderen Patienten beschäftigt war, führte der Arzt das Anamnesegespräch durch und entschied bald, den Betreffenden bei cardialer Dekompensation an der internen Abteilung stationär aufzunehmen. Als das Gespräch mit dem Patienten beendet war, übernahm der Turnusarzt nach Anweisung die bereits zur Hälfte vom Arzt vorgeschriebene Aufnahmekurve sowie das ausgefüllte Status praesens-Blatt, führte die Kurve zu Ende und diktierte in weiterer Folge die Aufnahme inklusive Aufnahmegrund, Anamnese, Status und Aufnahme-EKG. Anschließend wurde der Patient zum Lungenröntgen und danach auf die Station gebracht. Zu diesem Zeitpunkt hatte niemand bemerkt, dass weder eine Blutabnahme durchgeführt noch ein Venenverweilkatheter gesetzt wurde. Da dies in der Regel vor dem Arzt-Patientengespräch passiert und der Arzt rasch entschied, den Patienten aufzunehmen, nahm der Turnusarzt an, dass der Arzt bereits die notwendigen Labor-Werte der Blutabnahme angeordnet sowie sich das Aufnahme-EKG angesehen hatte. Das EKG wurde von der Pflegeperson in Ausbildung offensichtlich vorher durchgeführt, jedoch nicht dem Arzt gezeigt beziehungsweise hatte dieser keinen Blick darauf geworfen. Der Patient kam am frühen Nachmittag auf der Station an; zu diesem Zeitpunkt war nur mehr ein Nachtdienst- habender Arzt anwesend. Dieser sah sofort einen akuten Hinterwandinfarkt im EKG und wollte sich die Laborwerte inklusive Herzenzyme ansehen, musste jedoch feststellen, dass beim Patienten kein Blut abgenommen worden war. Es erfolgte rasch eine Blutabnahme und am späten Nachmittag konnte der Patient in ein anderes Krankenhaus zur Coronarangiographie geschickt werden. Er erhielt zwei Stents und wurde einige Tage später wieder rücktransferiert.

Als der Ambulanz-leitende Arzt einige Tage später von dem Vorfall hörte, lies er die Krankenakte suchen und das EKG kopieren. Im Aufnahme-EKG ist deutlichst ein Hinterwandinfarkt mit den typischen Katzenbuckel-ST-Hebungen zu erkennen. Weiters ist dies als Text in Großbuchstaben am EKG ausgewertet. Während des Studiums und im Turnus ist dieses EKG ein klassischer Fall von Myokardinfarkt, der schon etliche Male vom Turnusarzt erkannt und diagnostiziert wurde. In diesem Fall hatte der Turnusarzt das EKG vor sich liegen und sah einfach nicht näher hin. Wahrscheinlich fühlte er sich zu sicher, da der Arzt ja schon entschieden hatte, den Patienten aufzunehmen, sodass der Turnusarzt unkonzentriert arbeitete und schlichtweg das EKG zu wenig beachtete. Arzt und Turnusarzt sprachen kurz über den Fall und der Arzt meinte, dass er sich das EKG auf jeden Fall ansehen hätte müssen und dass er bei der Blutabnahme die Abnahme der Herzenzymparameter anordnen hätte müssen.

Der Melder nennt folgende Faktoren als Ursache für dieses Ereignis:

  1. Die Pflegeperson in Ausbildung hätte nicht allein im Ambulanzzimmer gelassen werden dürfen.
  2. Der Arzt hätte die Aufnahme des Patienten selbst diktieren müssen. Arbeiten, die von einer Person begonnen werden, sollten auch von dieser zu Ende gebracht werden.
  3. Der Turnusarzt hätte sich nicht in Sicherheit wiegen dürfen und auf jemand anderen verlassen sollen.

Feedback des CIRS-Teams/Fachkommentar:
Um Informationslücken bei der Übergabe von Patienten während des Aufnahmeprocederes zu schließen (was nicht selten vorkommt beispielsweise wenn aufnehmende Arzt an anderer Stelle gebraucht wird), wären standardisierte Aufnahmeprotokolle/Checklisten hilfreich. Hier können sowohl einzelne Arbeitsschritte abgehakt (zum Beispiel Durchführung EKG, Befundung EKG) als auch Untersuchungsergebnisse konkret eingegeben und abgezeichnet werden.
ExpertIn des BIQG

Tipp: www.cirsmedical.at

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 11 / 10.06.2016