CIRSmedical – Fall des Monats: Anämie-Diagnostik

25.05.2016 | Service

Über eine nicht erfolgte im Vorfeld eines geplanten Eingriffs auf einer chirurgischen Station berichtet ein Arzt mit mehr als fünf Jahren Berufserfahrung.

Fallbeschreibung: Der Vorfall betrifft eine Frau in der Altersgruppe zwischen 61 und 70 Jahren und hat sich an einem Wochentag im Routinebetrieb auf einer chirurgischen Station ereignet. Die Frau wird wegen rezidivierender epigastrischer Abdominalgie stationär aufgenommen und abgeklärt. Im Verlauf werden drei Blutbilder mit einem Hb zwischen 9,5 und 9,9 erhoben. Polypen werden gastroskopisch entfernt; die Patientin wird zur geplanten Cholezystektomie wiederbestellt. Obwohl die Anämie im Arztbrief erwähnt wird, erfolgt weder vom Spital noch vom Hausarzt eine Anämie-Abklärung geschweige denn eine Behandlung (Hb am Aufnahmetag: 9,8) – obwohl genug Zeit dafür gewesen wäre.

Gründe dafür sieht der meldende Arzt in der Ignoranz der behandelnden Ärzte (Chirurgie, Notaufnahme, Internist) einer Anämie gegenüber. Die Patientin wurde vom Berichter schon aufgelegt im Operationssaal aufgefunden. Der Zustand der Patienten nach dem laparoskopischen Eingriff (erfahrener Operateur) war stabil. In der Rubrik „wichtige Begleitumstände“ führt der meldende Arzt an: Personalengpass? (Arbeitsdruck auf den Stationen gesteigert); mehrfaches Übersehen der pathologischen Laborwerte von verschiedenen Berufsgruppen. Seine take-home-message: Jede Anämie ist ein Symptom einer Erkrankung und muss abgeklärt werden (besonders wenn es sich um einen elektiven Eingriff handelt).

Faktoren, die laut dem meldenden Arzt zu diesem Ereignis beitrugen:

  • Kommunikation (im Team, mit Patient, mit anderen Ärzten, Sanitätern, etc.)
  • Persönliche Faktoren des Mitarbeiters (Müdigkeit, Gesundheit, Motivation, etc.)
  • Ressourcen (zu wenig Personal, Arbeitsbelastung, etc.)
  • Ablauforganisation

Feedback des CIRS-Teams/Fachkommentar
Lösungsvorschlag bzw. Fallanalyse
Prinzipiell sollte – wie bereits vom Berichtersteller angemerkt – kein elektiver Eingriff ohne vollständige Anämie-Abklärung geplant und durchgeführt werden. Jeder Befund sollte im Rahmen der Visiten signiert oder vidiert werden (bei elektronischer Fieberkurve). Letztverantwortlich dafür, ob ein Patient auf den OP-Plan kommt, ist der stationsführende Oberarzt. In der Prämedikations-Ambulanz sollte auch der Anästhesist auf die Anämie hinweisen. Am Vortag – spätestens am Tag des Eingriffs – muss der Anästhesist bereits vor dem Check-In noch einmal die Befunde sichten und mit dem Operateur Rücksprache halten.

Eine weitere wichtige Frage stellt sich auch hinsichtlich der Ablauforganisation: Warum wurden der Patient und die Befunde nicht vom Operateur am Vortag beziehungsweise bei einer Nüchtern-Aufnahme vor der Operation visitiert? Dies wäre im Sinne der Patientensicherheit, um Patientenverwechslungen, aber vor allem auch um Seitenverwechslungen zu vermeiden, dringlich zu fordern! Alle genannten Punkte wären zumindest im Rahmen einer Teambesprechung – bei interdisziplinärem Versagen natürlich interdisziplinär – zu erörtern (mit Protokoll). Um die Prozessqualität zu erhöhen, empfiehlt sich als erster Schritt die Implementierung einer Qualitätssicherung/eines Qualitätsmanagements sowie von CIRS. Natürlich wäre eine externe Überprüfung der stationären und ambulanten Prozesse im Haus im Rahmen einer Zertifizierung das Optimum.

Gefahren- /Wiederholungspotential
Die Wahrscheinlichkeit für ein Wiederauftreten dieser Situation ist bei Nichteinhalten der medizinischen Grundregeln und Sicherheitsroutinen prinzipiell jederzeit möglich; das heißt, solange die Abläufe nicht geändert werden, besteht ein hohes Wiederholungspotential.

ExpertIn der Bundesfachgruppe für Chirurgie
(medizinisch-fachlicher Aspekt)

Tipp:
www.cirsmedical.at

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 10 / 25.05.2016