Wahlärzte: Unverzichtbarer Bestandteil

15.08.2016 | Politik

Mit dem Vorschlag, die Refundierung der Wahlarztkosten abzuschaffen, hat SPÖ-Gesundheitssprecher Erwin Spindelberger eine Riesendebatte angestoßen – und erntet breite Ablehnung für seinen Vorstoß, allen voran von der ÖÄK.

Krankenkassen sollen ihren Versicherten die Wahlarzt-Rechnungen nicht mehr refundieren. Und mit dem Geld, das dabei eingespart werde, könnten zusätzliche Kassenarztstellen geschaffen werden. Die Folge dieses Vorschlags von Erwin Spindelberger, den der SPÖ-Gesundheitssprecher Anfang August in einem Gespräch mit einer österreichischen Tageszeitung geäußert hatte, war eine tagelange Diskussion rund um das Thema Wahlärzte.

Zur Veranschaulichung: 2006 gab es österreichweit rund 7.000 Wahlärzte, heute sind es schon rund 10.350. Die Wahlärzte werden immer mehr, während es immer weniger Kassenärzte gibt. „Dadurch wird es zu Versorgungseinbrüchen in der sozialen Medizin kommen“, hatte der Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzte, Johannes Steinhart, noch wenige Tage, bevor Spindelberger laut über das Wahlarztsystem nachgedacht hat, gewarnt.

Dass die Sozialversicherung auf diese Entwicklung – immer mehr Wahlärzte, immer weniger Kassenärzte – nicht reagiert, ist für Steinhart schlichtweg „unverständlich“. Seine Forderung: 1.400 zusätzliche Kassenstellen mit den richtigen, adäquaten Rahmenbedingungen, „weil es ohne Kassenärzte kein solidarisches Gesundheitssystem gibt“. Bei den Gebietskrankenkassen müsste angesichts dieses Trends schon „Alarmstufe Rot“ herrschen: Gibt es doch heute rund 900 Kassenpraxen weniger als im Jahr 2000. Auch der Vergleich zu 2006 zeigt ein eindeutiges Bild: Waren es damals noch etwa 4.100 niedergelassene Allgemeinmediziner mit Kassenvertrag, sind es heute nur noch rund 3.880.

Strikte Ablehnung für den Vorschlag des SPÖ-Gesundheitssprechers kommt von ÖÄK-Präsident Artur Wechselberger: „Wenn man die ohnehin geringe Refundierung der Kosten für einen Wahlarztbesuch streicht, bestraft man damit ausschließlich die Patienten. Außerdem wird das Zwei-Klassen-System weiter verschärft, wenn sich weniger Menschen einen Besuch beim Wahlarzt leisten können.“ Diese würden dann wieder in den kassenärztlichen Bereich drängen – wobei hier aufgrund der zu geringen Kassenarzt-Stellen schon jetzt oft der medizinische Bedarf der Bevölkerung nicht gedeckt werde. Was Wechselberger außerdem betont: „Bei Wahlärzten handelt es sich nicht um ‚Leider-nein-Kassenärzte‘.“ Deren Entscheidung gegen einen Kassenvertrag erfolge ganz bewusst, da das jetzige Kassen-System „für viele Kolleginnen und Kollegen einfach nicht mehr attraktiv ist“. Bessere Arbeitsbedingungen für Ärzte generell und attraktivere Kassenverträge sind in den Augen des ÖÄK-Präsidenten unabdingbar, will man wieder mehr Ärzte für Kassenstellen gewinnen.

Ablehnende Reaktionen

Die Reaktionen der politischen Parteien auf den Vorschlag Spindelbergers folgten prompt und ablehnend – auch aus der SPÖ. Bundesgeschäftsführer Georg Niedermühlbichler etwa meinte, dass es sich dabei nicht um die Parteilinie der Sozialdemokraten handle. Laut dem Gesundheitsministerium handle es sich beim Vorschlag von Spingelberger um dessen „Privatmeinung“. „Wenig“ hält ÖVP-Gesundheitssprecher Erwin Rasinger von diesem Vorschlag: „Das, was man sich da einspart, kann man überhaupt nicht 1:1 in Planstellen umlegen. Netto schränkt man die Möglichkeiten für die Patienten ein.“ Den Aussagen von FPÖ-Gesundheitssprecherin Dagmar Belakowitsch-Jenewein zufolge setzt Spindelberger „einen weiteren Schritt in Richtung eines DDR-Medizinsystems“. Als „zutiefst unsozial“ bezeichnet die Gesundheitssprecherin der Grünen, Eva Mückstein, den Vorschlag. „Es ist offenbar die Strategie der SPÖ und der Krankenkassen, das Kassenvertragssystem durch Angebotsverknappung immer mehr auszuhöhlen und letztlich abzuschaffen.“ Ulla Weigerstorfer, Gesundheitssprecherin des Team Stronach: „Statt endlich eine umfassende Gesundheitsreform einzuleiten, will die SPÖ nur die Entscheidungsfreiheit der Patienten einschränken. Das ist der falsche Weg.“ NEOS-Gesundheitssprecher Gerald Loacker kommentiert: „Ohne Wahlärzte wäre die medizinische Versorgung in Österreich längst am Ende. Nicht zuletzt die Verknappungspolitik der Kassen zwingt die Patienten zu den Wahlärzten.“

Der Generalsekretär der ÖVP, Peter McDonald, bezeichnete den Vorschlag als „undurchdachte Schnapsidee“. Vizekanzler Reinhold Mitterlehner betonte, dass man am Wahlarzt-System festhalten werde. Peter Niedermoser, Präsident der Ärztekammer Oberösterreich, erinnerte daran, dass das Wahlarzt-System als Ausgleich für die begrenzte Zahl an Kassenstellen eingeführt wurde. Der Wiener Ärztekammerpräsident Univ. Prof. Thomas Szekeres sieht in Spindelbergers „hilflosem Versuch“ einen weiteren Beleg dafür, dass die Gesundheitsreform den Patienten nichts bringt. Nach Ansicht des niederösterreichischen Ärztekammerpräsidenten Christoph Reisner ist das öffentliche Gesundheitssystem ohne Wahlärzte nicht aufrecht zu erhalten. Der Kärntner Ärztekammerpräsident Josef Huber sieht in dem Vorschlag einen weiteren Schritt in eine staatlich reglementierte medizinische Unterversorgung.

Bachinger: Kassenärzte „zweitklassig“

Doch damit nicht genug. Der Sprecher der Patientenanwälte, Gerald Bachinger, erklärte im Ö1-Morgenjournal tags darauf, ihn irritiere an der Diskussion, dass das Wahlärzte-System „nichts anderes ist als ein Zwei-Klassen-Medizin-System“. Denn laut Bachinger sei der Gang zum Wahlarzt keine „Wahlfreiheit, denn diejenigen, die es sich nicht leisten können, die sind dann in einen zweitklassigen kassenärztlichen Bereich abgedrängt“. Warum das von „diversen Ärztekammerpräsidenten“ so vertreten werde, verwundere ihn nicht, „denn sie haben ja immer wieder bewiesen, dass ihnen Monetik wichtiger ist als Ethik“.

Als „vollkommen unzulässige Unterstellung“ wies Kurienobmann Steinhart diese Aussage empört zurück. Das Wahlarzt-System sei ein Ausdruck dafür, dass „ein Mehrangebot notwendig ist. Dadurch wird das Kassen-System massiv gestützt.“ Auch würde Bachinger mit seiner „unreflektierten Bejubelung“ der geplanten Primärversorgungszentren den Trend zur Zwei-Klassen-Medizin weiter verschärfen. Schon jetzt zeigten Großkonzerne Interesse, solche Primärversorgungszentren zu betreiben. „Dass gewinnorientierte Unternehmen nicht primär nach sozialen Bedürfnissen agieren, sollte dem Patientenanwalt klar sein“, betonte Steinhart.

Qualitativ hochwertiger Versorgungsstandard

Für Harald Mayer, Kurienobmann der angestellten Ärzte in der ÖÄK, ist es wichtig, dass „die Österreicher auch weiterhin die Möglichkeit haben, den Arzt ihres Vertrauens selbst zu bestimmen.“ Sowohl beim Kassen- als auch beim Wahlarzt würden Patienten nach denselben qualitativ hochwertigen Standards versorgt. Mayer vermisst konstruktive Vorschläge des Sprechers der Patientenanwälte zum Ausbau der Kapazitäten im niedergelassenen Bereich: „Was hat der weisungsgebundene Landesbeamte Bachinger denn zur Entlastung der nach wie vor überfüllten Ambulanzen unternommen? Ich kann mich an keine konkreten Ideen erinnern.“ Diese seien jedoch dringend erforderlich, um Patienten aus den Spitalsambulanzen dorthin umzulenken.
AM

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 15-16 / 15.08.2016