Gesundheitspolitik im US-Wahlkampf: Kontroversielle Positionen

10.09.2016 | Politik

Hillary Clinton und Donald Trump liefern im Ringen um das Präsidentenamt einen Wahlkampf ab, der weltweit für Schlagzeilen sorgt – und bei dem es bislang kaum um Inhalte gegangen ist. Clinton hat – im Gegensatz zu Trump – lange Erfahrung in der Gesundheitspolitik. Beim Blick auf verschiedene Aspekte des US-amerikanischen Gesundheitssystems werden gravierende Unterschiede deutlich. Von Nora Schmitt-Sausen

Eine der schallendsten Niederlagen ihrer langen Polit-Karriere hat Hillary Clinton in der Gesundheitspolitik kassiert. Als politisch überaus aktive – und deshalb umstrittene – First Lady kämpfte sie Mitte der 1990er Jahre in der Amtszeit ihres Mannes Bill verbissen um eine Gesundheitsreform – und ging gnadenlos unter. „Hillarycare“, wie ihr komplexes Reformwerk damals genannt wurde, scheiterte am massiven Widerstand der Republikaner, aber auch an Clintons maßlosem Ehrgeiz, Amerika in schwierigen Zeiten ein massives Reformprojekt überzustülpen.

Der Stachel dieser Niederlage saß tief, wie Clinton in ihren Memoiren selbst zugibt. Jahrelang litt der Ruf der Demokratin unter dem Debakel, das sie damals erlebte. Heute, mehr als 20 Jahre später, hofft sie, von der einstigen Niederlage profitieren zu können. Denn so viel steht fest: Clinton hat eine Geschichte im Einsatz für Gesundheitsfragen, und diese könnte ihr in diesem Wahlkampf in die Karten spielen. Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes Pew Research Center spielt das Thema Gesundheit auch in diesem Wahlkampf wieder eine zentrale Rolle; es rangiert hinter den Themen Wirtschaft, Terror und Außenpolitik auf Platz vier – noch vor Bildung oder der Frage nach geänderten Waffengesetzen.

Clintons ausgewiesener Ruf als Expertin könnte umso mehr zählen, da auf der anderen Seite mit Donald Trump ein Kandidat steht, der bislang in der Gesundheitspolitik kaum in Erscheinung getreten ist – höchstens als jemand, der – wie so viele Republikaner – die Gesundheitsreform von Barack Obama verteufelt und sie gerne als „Desaster“ bezeichnet. Der Republikaner bezeichnete das USGesundheitssystem in diesem Wahlkampf bereits als „Horrorshow“.

Clinton oder Trump auf dem Chefsessel im Weißen Haus – die Folgen für das Gesundheitswesen der USA könnten unterschiedlicher nicht sein. Beide Kandidaten haben ihre Positionen zu zentralen Gesundheitsfragen inzwischen deutlich gemacht.

Es ist ein Kernproblem dieses Wahlkampfes: Trump hat in den vergangenen Monaten mehrfach seine gesundheitspolitischen Positionen gewechselt – was es nicht leicht macht, zu erkennen, wofür er steht. Sein derzeit aktueller Sieben-Punkte-Plan zum Gesundheitswesen wird von vielen renommierten Gesundheitsexperten belächelt: Der Plan erscheint inhaltlich schwach, realitätsfern und widersprüchlich. Ein weiteres Problem: Auch unterscheiden sich Trumps Positionen teils gravierend von der allgemeinen Parteilinie – was in den eigenen Reihen für Unmut sorgt. An Clintons Versiertheit in der Gesundheitspolitik gibt es wenig Zweifel. Ihre Ansätze zur Verbesserung des US-Gesundheitswesens werden allgemein als konkret und dezidiert beurteilt, insbesondere im Hinblick auf den Kampf gegen die hohen Arzneimittelpreise.

Clinton änderte Haltung

Doch auch Clinton hat sich im Laufe des Wahlkampfes bewegt – nach links. Getrieben von den radikalen Positionen ihres parteiinternen Konkurrenten Bernie Sanders hat sie nach Ende des Vorwahlkampfes ihre Haltungen nochmals zugunsten progressiver Ansätze in der Gesundheitspolitik korrigiert. Visionen von Sanders, das US-Gesundheitswesen zu einem „Single Payer-System“, also einer gesetzlichen Einheitskrankenkasse nach kanadischem Vorbild, radikal umzubauen, erteilte Clinton jedoch eine Absage.

In Umfragen liegt die Demokratin derzeit (Stand: Mitte August 2016) deutlich vor Trump; die Entscheidung fällt aber erst am 8. November 2016. Erst dann wird klar sein, ob Clinton Gelegenheit erhält, die Niederlage von 1994 vergessen zu machen und doch noch die Chance bekommt, die Gesundheitsversorgung der Amerikaner zu verbessern. Oder aber, ob mit Trump jemand in das Weiße Haus einzieht, der eines ganz sicher tun wird: Für mächtig Bewegung im US-Gesundheitswesen sorgen – in welche Richtung auch immer.

Die Gesundheitsreform von Barack Obama – im Alltag der Amerikaner langsam angekommen, aber weiter umstritten:

Hillary Clinton

Donald Trump

Clinton ist eine vehemente Befürworterin des Gesetzes. Sie hat angekündigt, auf den Errungenschaften von Obamacare aufzubauen und die Reform weiterzuentwickeln. Sie gilt als Kennerin des Gesetzes, die sowohl die Stärken sieht, sich aber auch der unverkennbaren Schwächen von Obamas Jahrhundertreform bewusst ist. Clintons erklärtes Ziel ist es, dafür zu sorgen, dass die immer noch 30 Millionen nicht versicherten US-Amerikaner Zugang zum System finden. Sie strebt an, dass „100 Prozent“ der US-Bürger versichert sind, nicht wie aktuell lediglich 90 Prozent. Clinton will vor allem mehr Bundesstaaten als bislang dazu bewegen, Medicaid – die staatlich getragene Krankenversicherung für sozial Bedürftige – auszuweiten. Außerdem will sie sich dafür einsetzen, dass auch die elf Millionen illegalen Einwanderer, die in den USA leben, eine Krankenversicherung erwerben können.

Der Republikaner reiht sich in die Reihe der Konservativen ein, die Obamacare kippen wollen. Was an die Stelle des Gesetzes treten soll, das in den vergangenen Jahren dafür gesorgt hat, dass circa 20 Millionen US-Amerikaner eine Krankenversicherung bekommen haben und Menschen mit Vorerkrankungen nicht mehr abgelehnt werden dürfen, ist noch unklar. Fakt ist: Wie bei vielen anderen Positionen hat Trump in den vergangenen Monaten die Positionen gewechselt. Einmal befürwortete er etwa die Pflicht zur Krankenversicherung, die ein zentraler Bestandteil von Obamas Reform ist, ein anderes Mal wetterte er dagegen. So sagte er in einer TV-Show zum Jahresanfang, dass er die Verpflichtung zur Versicherung gut finde, da er nicht wolle, dass „die Leute auf den Straßen sterben“. Dann betonte er immer wieder, dass er als erste Amtshandlung die Reform zurücknehmen würde. „Kein Mensch sollte genötigt werden, sich eine Versicherung zu kaufen, wenn er oder sie es nicht will.“

Die Rolle des Staates in der Gesundheitsversorgung – traditionell hoch kontrovers:

Hillary Clinton

Donald Trump

Um mehr US-Bürgern den Zugang zum neuen Krankenversicherungsmarkt zu ermöglichen, der unter der Regierung Obama entstanden ist, will Clinton dem Staat mehr Einfluss gewähren. Sie plädiert für eine sogenannte Public Option innerhalb von Obamacare, eine sehr kontroversielle Position. Diesen Plänen nach soll es neben den Privatversicherungen eine staatliche Versicherung geben, um den Wettbewerb im Markt zu fördern und die Preise für Versicherungen zu senken. Außerdem möchte Clinton Medicare, die staatliche Versicherung für Senioren und Menschen mit Behinderungen, künftig schon für Menschen ab 55 Jahren öffnen. Diese sollen durch freiwillige Beitragszahlungen zu diesem Versicherungsschutz gelangen. Bislang haben Senioren ab 65 Jahren Zugang dazu.

Trump nimmt eine typisch konservative Position ein: Er fordert grundsätzlich die Öffnung des Marktes und damit mehr freien Wettbewerb im Versicherungswesen. Trump setzt auf Selbstregulation, den Einfluss der Zentralregierung in Washington möchte er begrenzen. Kernelement ist für ihn, dass Krankenversicherungen künftig auch über die Grenzen von Bundesstaaten hinweg verkauft werden sollen dürfen. Dies ist bislang nicht möglich. Trump möchte damit US-Bürgern, die in hochpreisigen Regionen leben, den Zugang zu günstigeren Versicherungen ermöglichen. Mit Blick auf die unter Finanzierungsdruck stehende Seniorenversicherung Medicare hat Trump in der Vergangenheit das Stichwort Privatisierung ins Spiel gebracht – und ist  amit auf Linie mit seiner Partei.

Hohe Gesundheitskosten – ein massives Problem für viele Amerikaner:

Hillary Clinton

Donald Trump

Ein zentrales Problem des US-amerikanischen Gesundheitswesens ist dieser Tage einmal mehr, dass die Kosten für eine Krankenversicherung und die Versorgung – besonders für verschreibungspflichtige Medikamente – aus dem Ruder laufen. Clinton hat konkrete Pläne vorgelegt, wie sie diesen Kostensteigerungen entgegentreten will. Unter anderem möchte sie die Zuzahlungen bei Medikamenten limitieren und Gesundheitsausgaben für Familien steuerlich besser stellen. Weiters möchte sie die Preise für Arzneimittel senken – dies soll vor allem dadurch gelingen, dass Medicare mit der Pharmaindustrie in direkte Preisverhandlungen treten kann; dies ist bisher nicht möglich. Außerdem möchte Clinton die Pharmaindustrie stärker regulieren. Staatliche Förderung für Forschung und Entwicklung soll nur noch erhalten, wer seine Gewinne limitiert und Marketing-Ausgaben begrenzt. Pharma-Werbung will Clinton teils verbieten. Auch setzt sich die Demokratin dafür ein, den US-Medikamentenmarkt für Importe aus anderen Ländern zu öffnen, um die Preise für Arzneimittel zu senken.

Trump verspricht sich von seinem Vorstoß, den Krankenversicherungsmarkt zu öffnen, Kostensenkungen aufgrund des verstärkten Wettbewerbs. Nach seinen Plänen sollen die Krankenversicherungskosten außerdem künftig in vollem Umfang bei der Steuer geltend gemacht werden können; bislang ist dies nur in begrenztem Umfang möglich. Trump macht lautstark illegale Einwanderer für die hohen Kosten im System mitverantwortlich, da diese Schlupflöcher fänden, das System zu nutzen. Auch deshalb will er eine harte Linie bei Einwanderungsfragen fahren. Zur Überraschung seiner Parteikollegen stimmte er zum Jahresanfang mit Clinton darüber überein, dass Medicare künftig in direkte Preisverhandlungen mit der Pharmaindustrie treten solle. Auch tritt er – zum Entsetzen seiner Partei – für eine Öffnung des US-Arzneimittelmarktes ein. Wie Clinton sieht Trump in den hohen Arzneimittelpreisen eine große Belastung für die US-Bürger, die es zu reduzieren gelte.

US-Präsident resümiert im JAMA

In einem ungewöhnlichen Schritt hat US-Präsident Barack Obama über seine Gesundheitsreform bilanziert. Er verfasste im Sommer dieses Jahres einen wissenschaftlichen Gastbeitrag im Journal der American Medical Association (JAMA). Sowohl Errungenschaften als auch Defizite der Reform kamen dabei zur Sprache.

In der Sonderausgabe des Journal of the American Medical Association bezeichnet Obama die Reform „die wichtigste Gesundheitsgesetzgebung, die in den USA seit der Gründung von Medicare und Medicaid im Jahr 1965 verabschiedet worden ist“. Als Beleg für seine Position zieht Amerikas scheidender Präsident zahlreiche Fakten heran, vor allem diese: Dank des Affordable Care Acts – kurz Obamacare – konnten circa 20 Millionen US-Amerikaner eine Krankenversicherung abschließen. Die Rate der Unversicherten hat sich nahezu halbiert und ist auf 9,1 Prozent gesunken. Im Jahr 2010, als die Reform verabschiedet wurde, lag sie bei 16,0 Prozent. Die Argumente des Demokraten stehen an dieser Stelle nicht in Frage: Die Ausweitung des Versicherungsschutzes gilt als zentraler Erfolg des Gesetzes.

Deutlich kontroversieller sind die Positionen bei einem anderen Aspekt, den sich Obama im JAMA-Beitrag auf die Fahnen schreibt: Die Reform habe dazu geführt, dass die Gesundheitsausgaben in den USA gesunken seien, urteilt der Präsident. Fakt ist: Die Gesundheitsausgaben sind zwischen den Jahren 2010 bis 2014 tatsächlich gesunken. Ob dies aber wegen Obamacare geschehen ist oder vor allem als Folge der Finanzkrise, darüber gehen die Meinungen von Gesundheitsökonomen in den USA bereits seit geraumer Zeit auseinander. Derzeit jedenfalls – so viel steht fest – steigen die Gesundheitsausgaben wieder, vor allem durch einen dramatischen Kostenanstieg im Privatsektor getrieben.

Obama listet in seinem Artikel weitere „erhebliche Fortschritte“ auf, die dank der Reform erzielt worden seien: das Drosseln der Gesundheitskosten in Medicaid und Medicare, strukturelle Veränderungen im System sowie die verbesserte Qualität in der Versorgung. Doch der präsidiale Autor blickt auch kritisch auf sein zentrales innenpolitisches Gesetz. Er räumt Defizite offen ein und legt den Finger dabei in bereits bekannte Wunden – wie zum Beispiel:

  • Die neu geschaffenen privaten Online-Versicherungsmärkte laufen nicht in allen Landesteilen wie gewünscht. In einigen Regionen meldeten zu wenig Versicherer Interesse an, überhaupt in das Rennen um Amerikas Unversicherte einzusteigen. In anderen Regionen haben sich Anbieter schon nach kurzer Zeit wieder zurückgezogen, weil ihnen das Geschäft nicht lukrativ erschien. Für 2017 haben einige große Versicherer drastische Preiserhöhungen angekündigt. Die Begründung: Sie müssten die Verluste aus den ersten Jahren auffangen.
  • Ein weiteres, großes Problem: Immer noch bleibt eine Krankenversicherung für zu viele Menschen in den USA unerreichbar. Die Kosten für die Prämien stellten viele Amerikaner vor Schwierigkeiten, analysiert der Demokrat selbstkritisch. Zusätzlich belasten hohe Zuzahlungen die Budgets der Bürger.

Seit dem Tag seiner Verabschiedung gilt der Affordable Care Act als „flawed“ – fehlerbehaftet. Selbst eingefleischte Befürworter erkennen, dass Änderungen am Gesetz notwendig sind. Der JAMA-Artikel zeigt: Zu diesen zählt der Präsident höchstpersönlich. Es gebe noch „zahlreiche Möglichkeiten, das Gesundheitssystem zu verbessern“, die Arbeit sei noch nicht zu Ende.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 17 / 10.09.2016