Engpässe bei Impfstoffen: Vielfältige Ursachen

25.06.2016 | Politik

Die von der ÖÄK dargestellten Lieferschwierigkeiten bei Impfstoffen haben Abgeordnete des Teams Stronach zum Anlass für eine parlamentarische Anfrage an Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser genommen.
Von Sigrun Reininghaus und Agnes M. Mühlgassner

In Österreich häufen sich Lieferschwierigkeiten bei Impfstoffen“ – in einer Presseaussendung machte die ÖÄK im November des Vorjahres auf eine brisante Situation aufmerksam. Abgeordnete des Teams Stronach haben daraufhin Anfang März dieses Jahres eine parlamentarische Anfrage an Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser gerichtet, die vor kurzem beantwortet wurde.

Darin bestätigt Oberhauser, dass „dem Gesundheitsressort die Problematik der europaweit eingeschränkten Verfügbarkeit von Impfstoffen gegen Diphtherie-Tetanus-Polio-Pertussis (beziehungsweise Boostrix Polio) bekannt ist.“ Die benötigten Impfstoffe für das kostenfreie Impfkonzept konnten letztendlich dennoch beschafft werden. Von Seiten des Ressorts „gibt es eine Rahmenvereinbarung mit dem entsprechenden Impfstoffproduzenten, welche die notwendige Zahl an Impfstoffen für das kostenfreie Kinder-Impfkonzept sichert“. Demnach wurden von Februar 2015 bis Jänner 2016 von Seiten des Gesundheitsministeriums 112.795 Dosen an Impfstoffen zur Auffrischungsimpfung gegen DTPP beschafft; gleichzeitig gibt es in Österreich rund 80.200 Kinder im Alter von sechs Jahren (Quelle: Statistik Austria), die die Impfung einmalig laut Österreichischem Impfplan erhalten sollen.

Als Reaktion auf die Produktknappheit wurde vom Gesundheitsressort in Zusammenarbeit mit den Mitgliedern des Nationalen Impfgremiums das „Vorgehen bei Lieferengpässen von Impfstoffen mit azellulärer Pertussiskomponente“ entworfen, um hier „mögliche medizinische Alternativen aufzuzeigen“, wie Oberhauser weiter ausführt – etwa wenn vor einer Auslandsreise ein Schutz unmittelbar und dringend benötigt wird. Prinzipiell sollte für Auffrischungsimpfungen gegen Diphtherie, Tetanus, Polio, Pertussis ein Vierfach-Impfstoff (Boostrix Polio oder Repevax®) verwendet werden, heißt es in der Empfehlung. Sind diese nicht verfügbar, sollte die Auffrischung mit Revaxis® erfolgen. Allerdings müsse hier auf den Schutz von Pertussis verzichtet werden. Ist auch Revaxis® nicht verfügbar, muss auf Zweier-Kombinationsimpfstoffe zurückgegriffen werden.

Die Ursachen für die Impfstoffengpässe seien – so die Ministerin – „vielfältig“. Folgende Gründe werden angeführt:

  • Eine Änderung der regulatorischen Anforderungen an Impfstoffe hatte laut Mitteilungen der betreffenden Firmen Produktionsrückstände zur Folge (die Produktion dauert 18 bis 24 Monate).
  • Zahlreiche Länder Osteuropas haben in ihren Impfprogrammen schrittweise von Pertussis-Ganzkeim-Vakzinen auf Vakzine mit azellulärer Pertussiskomponente (aP) gewechselt. Dadurch entstand unvorhergesehener erhöhter Bedarf auf dem europäischen Markt.
  • Die Mengen an aP, die derzeit produziert werden, fließen prioritär in die Impfstoffe zur Grundimmunisierung der Säuglinge, da die Firmen begründeter Weise hier eine höhere Priorität sehen als in den Auffrischungsimpfungen von Personen, die bereits zumindest eine Grundimmunisierung haben.

Von Sanofi Pasteur MSD und Glaxo SmithKline, den Firmen, die die Impfstoffe herstellen, heißt es, dass die Produktion von Impfstoffen ein hoch komplexer Prozess sei, der bis zu zwei Jahre dauere. Außerdem gebe es weltweit nur einige wenige Unternehmen, die die Impfstoffe produzieren. Die Forscherin Bettina Isnardy von Sanofi erklärt den Liefermangel von Tetravac® folgendermaßen: „In den letzten beiden Jahren ist der Bedarf an Pertussis-haltigen Impfstoffen unverhältnismäßig stark angestiegen. Die Produktionskapazitäten können nicht so kurzfristig ausgeweitet werden.“ Tetravac® werde erst 2017 wieder lieferbar sein. Der Vierfach-Impfstoff Repavac® sei laut Isnardy im Moment lieferbar. Es werde aber wieder Engpässe geben.

Ausfall eines Anbieters

Sabine Hackl, bei GlaxoSmithKline für Impfstoffe verantwortlich, sagt zu den Engpässen beim Vierfach-Impfstoff Boostrix Polio: „Es kam zum Ausfall eines Anbieters auf dem weltweiten Markt, sodass die weltweite Nachfrage komplett GlaxoSmithKline als zweiten Anbieter adressierte. Vor dem Hintergrund der langen Produktionszeiten und des plötzlichen Anstiegs der Nachfrage ist somit eine Abdeckung des Bedarfs bis dato nicht zur Gänze möglich. Wir bemühen uns aber, Kinder- und Schulimpfprogramme als erste Priorität zu versorgen.“

Um hier immer auf dem aktuellen Stand der Dinge zu sein, fordert Univ. Prof. Reinhard Kerbl von der Abteilung für Kinder- und Jugendheilkunde am Landeskrankenhaus Leoben eine eigene Datenbank für Kindermedizin: „Wir brauchen dringend Informationen, was es nicht gibt, wann die Impfstoffe wieder lieferbar sind und welche Alternativen für Kinder zugelassen sind.“

AGES informiert über Lieferengpässe

Aktuelle Listen, welche Medikamente und Impfstoffe derzeit nicht in Österreich erhältlich sind, gibt die AGES, die Agentur für Lebensmittelsicherheit und Gesundheit, heraus. Christoph Baumgärtel, Leiter der AGES Medizinmarktaufsicht, meint zum Impfstoffmangel: „ Das ist ein großes Problem, das uns seit Monaten und Jahren begleitet.“ Darüber hinaus verweist er auf Meldepflichten nach §§ 21/2 und 57a Arzneimittelgesetz sowie § 34 Arzneimittelbetriebsordnung, wonach Pharmafirmen melden müssen, wenn ein Medikament in einem Land vom Markt genommen wird oder wenn es Qualitätsmängel in der Produktion gibt. Dass diese Meldepflicht auch auf absehbare Lieferengpässe ausgedehnt wird, kann sich Baumgärtel vorstellen – das erleichtere zumindest die Planung. Ein Problem in diesem Zusammenhang ist auch, dass andere Länder auf dem österreichischen Arzneimittelmarkt Medikamente und Impfstoffe aufkaufen, weil sie in Österreich billiger sind. Baumgärtel fordert auch, dass kleinere Hersteller stärker unterstützt werden, sodass auch diese im Wettbewerb mithalten können. „So kann man einer zu starken Konzentration des Marktes und damit verbundenen Lieferengpässen entgegenwirken.“

Auf Nachfrage der ÖÄZ erklärte Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser: „Lieferengpässe sind aber meist kein österreichisches Problem, sondern ein internationales. Schon jetzt gibt es gesetzliche Vorgaben, die dazu beitragen sollen, dass der Markt von den Pharmafirmen entsprechend dem Bedarf versorgt wird. Darüber hinaus haben wir aber wenig Einfluss auf privatwirtschaftliche Strukturen und dort festgelegte Produktionsmengen.“

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 12 / 25.06.2016