Arbeitsverdichtung im Spital: Nichts geht mehr

25.04.2016 | Politik

Die Arbeitsverdichtung im Spital macht Ausbildung immer schwieriger möglich, senkt die Qualität und die Zufriedenheit der Ärzte – das ist das Fazit eines von der ÖÄZ veranstalteten Round Table mit den Turnusärzte-Vertretern der Landesärztekammern. Weit über die Belastungsgrenze gehen die überbordende Bürokratie und der uneingeschränkte Zugang zu Spitalsambulanzen. Von Marion Huber

„Wir haben die Grenze der Belastbarkeit überschritten“… Doris Pecival spricht das aus, was auch die Turnusärztevertretungen der anderen Ärztekammern denken. Die Obfrau der Tiroler Sektion Turnusärzte weiß: Mehr geht einfach nicht mehr. Die Arbeitsverdichtung im Spital ist Realität und sie hat sich durch die Novelle des KA-AZG noch verschärft. Nicht nur die Ärzte im Krankenhaus leiden darunter; auch die Qualität sinkt, wenn in weniger Zeit immer mehr gemacht werden muss – und die Zufriedenheit von Ärzten und Patienten hat einen neuen Tiefstand erreicht – auch wenn sich schon viel zum Guten gewendet hat, wie Kornhäusl betont. Das Krankenhaus wird als Arbeitsplatz immer unattraktiver und „die Ärzte laufen weiter aus dem Spital davon“ (Pecival).

Weniger Zeit, mehr Arbeitsdichte

Die Novelle des KA-AZG war überfällig und hat mit der Reduktion der Arbeitszeit viel Gutes gebracht – darüber sind sich alle Turnusärztevertreter einig. Aber sie geht zweifellos mit einer Arbeitsverdichtung einher: Was vorher in 60 Stunden erledigt wurde, muss jetzt in 48 Stunden geschehen – und das in der Regel bei gleichbleibendem Personal. „Wir konsumieren die Vorteile als Einzelperson, aber kompensieren sie als Team“ – ein Satz, den Karlheinz Kornhäusl, stellvertretender Bundesobmann der angestellten Ärzte und Chef der Bundessektion Turnusärzte, oft verwendet, um die Situation zu beschreiben. Weil es einfach oft nicht genügend Arbeitskräfte gibt, müssen jene kompensieren, die da sind. Besonders dort, wo die Ärzte nicht im Opt-out sind und sich bemühen, die 48-Stunden-Woche einzuhalten, ist die Arbeitsverdichtung im Spitalsalltag spürbar. „Dadurch bleibt weniger Zeit für die Patienten“, sagt der Wiener Turnusarztsprecher Stephan Ubl. Gespräche, Zuhören und ausführliche Anamnesen bleiben auf der Strecke. Genau darauf legen Patienten aber Wert – und deshalb kommt es unweigerlich zu einem „Riesen-Boom“ der Wahlarztordinationen; der Abstrom in andere Strukturen nimmt weiter zu. Ubl konkretisiert: „Wer es sich leisten kann, geht zum Wahlarzt.“

Was zusätzlich mehr Arbeit bringt: das überbordende Ausmaß an Bürokratie und Dokumentation im Spital. Auch wenn man glauben würde, dass irgendwann einmal das Höchstmaß erreicht ist, „höre ich immer öfter, dass es fast jeden Tag ein Dokument mehr gibt, das ausgefüllt werden muss“, ist Kornhäusl fassungslos. Die Administration verschlingt heute schon 40 Prozent der Tagesarbeitszeit eines Arztes. Ein Punkt, an dem man ansetzen könnte: Nimmt man dem Arzt einen Teil dieser Arbeit ab, wird mehr Zeit frei für die eigentlichen ärztlichen Aufgaben, für Patienten und die Ausbildung.

Ausbildung ist gefährdet

Speziell in der Ausbildung hakt es, weil Fachärzte „einfach nicht mehr genug Zeit haben, um die Jungen auszubilden“, sieht Christoph Arneitz aus Kärntner Sicht die Ausbildung akut gefährdet. In Niederösterreich steht man vor den gleichen Problemen. Am stärksten leidet auch dort die Ausbildung, „weil Turnusärzte kaum mehr an einen Facharzt herankommen, um zu lernen“, weiß die Niederösterreicherin Stefanie Wannack.

Das Problem ist bekannt, aber wie kann man es lösen? Für ihren Salzburger Kollegen Bernhard Schnöll wird es ohne ein Konzept, wie man „den Spitalsbetrieb ins 21. Jahrhundert führen kann“, nicht gehen. „Sonst werden wir scheitern“, so sein Resümee.

Ambulanzzugang steuern

Man könnte die Situation auch entschärfen, indem man den Zugang zu Spitalsambulanzen steuert und umstrukturiert. Übereinstimmend meinen die jungen Standespolitiker, dass es keinen unbeschränkten Zugang mehr geben soll. Ohne Zuweisung kein Ambulanzbesuch, schlägt Arneitz vor. Heute führt der erste Weg die Patienten oft gleich ins Spital, wenn der eigene Hausarzt keine Ordination hat. „Meist tauchen Patienten ungefiltert in irgendwelchen Ambulanzen auf oder strömen in die Zentrale Notaufnahme, wo drei Turnusärzte und ein Sekundararzt alles behandeln – vom Schmerz im Sprunggelenk bis zum Koronarsyndrom“, so Schnöll. „So kann es nicht weitergehen“, empört sich Oberösterreichs Turnuschefin Doris Müller. Vielleicht müsse man auch die oft diskutierten finanziellen Maßnahmen – man erinnere sich an die vor Jahren wegen der unadministrierbaren Ausnahmen gescheiterte Ambulanzgebühr – noch einmal in Betracht ziehen. – Vorausgesetzt, dass Fälle von sozialer Bedürftigkeit etwa nach dem Muster der Rezeptgebührenbefreiung Berücksichtigung finden.

Es könne auch nicht sein, dass der Zugang zur Ambulanz wie ein „one-wayticket“ sei, sagt Kornhäusl: „Im Augenblick hat man kaum die Handhabe, auch Patienten aus dem Spital dem niedergelassenen Berich zuzuweisen, wenn die Ambulanz nicht der richtige Ort für sie ist.“ Das stört auch Arneitz: „Man muss Patienten endlich dorthin verweisen, wo sie besser aufgehoben sind.“ Oft wird das der niedergelassene Bereich sein. Momentan geschieht das aber höchstens im Ausnahmefall.

Auch deshalb, weil der niedergelassene Bereich immer mehr ausgedünnt wird – ganz im Gegensatz zu den ständigen Bekundungen der Politik. „Stellen werden gestrichen, anstatt dass sich Land oder Bund bemühen, sie attraktiv zu machen“, kritisiert Kornhäusl. Aber der Zustrom in die Ambulanzen wird so lange nicht abreißen, bis der niedergelassene Bereich entsprechend ausgebaut ist. Pecival formuliert es anders: Auch durch die Stärkung des niedergelassenen Bereichs könnte man Patientenströme und Ambulanzzugang lenken. Wo man laut Wannack auch ansetzen kann: die Patienten besser über die Möglichkeiten außerhalb des Spitals informieren.

Um das Problem anzugehen, werden sich die Entscheidungsträger zusammentun müssen. Sicherlich ein langer Weg – aber jeder Weg beginnt bekanntlich mit dem ersten Schritt…

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 8 / 25.04.2016