8. Symposium der ÖÄK: Gemeinsame Herausforderungen

25.02.2016 | Politik

Im Rahmen des 8. Internationalen Symposiums der ÖÄK diskutierten Ärztevertreter aus Deutschland und Österreich über Gemeinsamkeiten: von der Ärzteausbildung über den Ärztemangel bis hin zur alternden Bevölkerung. Von Marion Huber und Agnes M. Mühlgassner

Facharzt-Ausbildung in der 48-Stunden-Woche?

Bei der Trilogie: Aus-/Weiterbildung, Entgelt und Arbeitszeit steht „die Bedeutung der Arbeitszeit in Deutschland an erster Stelle“, betonte Armin Ehl, Hauptgeschäftsführer des Marburger Bunds. In der Realität sieht es anders aus. Erhebungen des Marburger Bunds zufolge wurden 2007 durchschnittlich 9,1 Überstunden pro Arzt geleistet; 2010 waren es 8,6 Stunden, 2015 nur noch 7,3 Stunden. Allerdings werden in Summe von einer Stunde bis zu mehr als drei Stunden nur für Verwaltungstätigkeiten aufgewendet. Mit der letzten KA-AZG-Novelle habe Österreich „neue Maßstäbe“ gesetzt, attestierte Ehl. Die Frage, ob also eine hochwertige Facharzt-Ausbildung beziehungsweise Weiterbildung in der 48-Stunden-Woche möglich ist? „Problemlos machbar“, sagt Ehl. Letztlich sei es ein Nullsummenspiel, wenn mehr Köpfe und auch der gute Wille vorhanden seien.

Sachsen: Förderprogramm Allgemeinmedizin

Barbara Klepsch, Sächsische Staatsministerin für Soziales und Verbraucherschutz, bezeichnete es als „besondere Herausforderung, die medizinische Versorgung in den Ländern sicherzustellen“. Eine der Maßnahmen sieht sie in der Stärkung der Allgemeinmedizin im Studium als „nötig“ an. Demnach befinden sich derzeit zehn Prozent der Medizin-Absolventen in der Weiterbildung zum Allgemeinmediziner. „Viel zu wenig“, sagt Klepsch, und nennt als Zielgröße „mindestens 20 Prozent“. Konkrete Maßnahmen dazu seien in Vorbereitung. Die Allgemeinmedizin müsse ein zwingender Teil der Ausbildung sein. Sie forderte auch, dass die medizinischen Universitäten die ländlichen Krankenhäuser mehr in die Ausbildung miteinbeziehen sollten. Gleichzeitig ist sie jedoch davon überzeugt, dass die Quote allein nicht ausreichen wird, weswegen man in Sachsen ein Förderprogramm ins Leben gerufen habe: ein 20 Punkte umfassendes Programm, dessen Herzstück das Sächsische Hausarztstipendium ist. Im ersten Semester werden 20 Stipendien vergeben – mit der Verpflichtung, Allgemeinmediziner zu werden und sich im ländlichen Raum niederzulassen. Die ersten Ärzte aus diesem Programm würden 2024 mit der Ausbildung fertig sein.

Überalterung oder: die demographische „Zeitbombe“

Welche Brisanz das Thema „Demographie“ in den kommenden Jahren und Jahrzehnten noch bekommen wird, veranschaulichte ÖÄK-Vizepräsident Karl Forstner. In Österreich wie in Deutschland wird die Anzahl der älteren Menschen bis zur Mitte des Jahrhunderts deutlich zunehmen. Wobei es aber fundamentale Unterschiede gibt: Während in Österreich die Gesamtbevölkerung um 20 Prozent steigt, nimmt sie in Deutschland deutlich ab; und dies, obwohl die Zahl der über 65-Jährigen steigt. In Österreich steigt die Zahl der unter 20-Jährigen, die Zahl der Erwerbstätigen bleibt stabil; in Deutschland dagegen werden beide Zahlen sinken. Weil der medizinische Fortschritt vor allem im höheren Alter tragend wird, genau dort, wo die Zahl der Bevölkerung zunimmt, ergebe sich „eine erhebliche Kostendynamik“, gibt Forstner zu bedenken. Eine weitere entscheidende Frage: Bedeuten zusätzliche Lebensjahre nur, dass man länger krank ist? Was für die Medizin ein großer Erfolg ist, sei für die Finanzierung des Gesundheitssystems die „ganz große Herausforderung“: nämlich der Wandel von akuten zu chronischen Krankheiten und diese über Jahrzehnte chronisch zu halten. Würden Menschen in der zusätzlichen Lebenszeit genauso krank sein wie heute, würde das eine Steigerung der Kosten von 30 Prozent bedeuten. „Gelingt es uns aber, die Krankheitsdauer zu komprimieren, würden die Kosten kaum steigen“, erklärte Forstner. Wie? Durch Prävention und Effizienzsteigerungen wie etwa durch Disease Management Programme und integrierte Versorgung. Die Demographie hat aber auch Auswirkungen auf die Ärzteschaft. Forstner dazu: „Wir wissen, dass von aktuell 44.000 Ärzten fast ein Viertel der angestellten Ärzte in den kommenden zehn Jahren in Pension gehen wird.“ Die Situation im niedergelassenen Bereich ist auf Grund der Altersstruktur noch dramatischer. Neben der Pensionswelle gibt es zusätzlich auch zu wenig ärztlichen Nachwuchs. „Vor diesen Herausforderungen scheint die Politik aber die Augen zu verschließen anstatt gemeinsam mit den Ärzten Lösungen zu finden“, kritisierte Forstner.

Hessen: Erhebung der Weiterbildung

Seit drei Jahren gibt es von der Landesärztekammer Hessen ein verbindliches Weiterbildungsregister – bis dahin „konnten wir in Hessen nicht sagen, wer sich in Weiterbildung befindet und wo“, erklärte die stellvertretende ärztliche Geschäftsführerin in der Landesärztekammer Hessen, Nina Walter. Bei den Weiterbildungsbefugten werden fünf Items abgefragt: die einheitliche Fortbildungsnummer, Wochenarbeitszeit, Teil-/Vollzeit, Mutterschutz/Elternzeit sowie Nullmeldungen (= keine Ärzte in Weiterbildung in der Weiterbildungsstätte). Die wichtigsten Ergebnisse: 2014 betrug die Zahl der gemeldeten Ärzte in Weiterbildung 5.390 mit einem durchschnittlichen Alter von 34,8 Jahren; davon sind 61 Prozent Frauen und 39 Prozent Männer. Zum Stichtag waren 26 Prozent der Ärzte in Weiterbildung im Gebiet Innere Medizin gemeldet, 15,6 Prozent im Gebiet Chirurgie, elf Prozent in der Anästhesiologie, 7,3 Prozent in der Neurologie. In der Allgemeinmedizin waren es fünf Prozent.

ÖÄK: Primärversorgung „nicht ohne Gesamtverträge“

Die Primärversorgung sei in Österreich seit Jahrzehnten ein Stiefkind, die Krankenhauszentrierung eines der Hauptprobleme des Gesundheitswesens in Österreich, der Mangel an Allgemeinmedizinern – besonders am Land – harte Realität. Diese Ausgangssituation rechtfertige nach Ansicht von ÖÄK-Präsident Artur Wechselberger die Neuaufstellung der österreichischen Gesundheitsversorgung. „Diesen Gedanken trägt die Ärzteschaft mit“, betonte Wechselberger. Um die Situation zu entschärfen, wurde im Rahmen der Gesundheitsreform 2014 ein Konzept zur multiprofessionellen und interdisziplinären Primärversorgung – „Das Team rund um den Hausarzt“ – beschlossen, das Grundlage für die weitere möglicherweise auch legistische Arbeit sein sollte. „Das Konzept ist gut. Es fasst alles zusammen, was man für eine gelungene Primärversorgung braucht“. Doch die Zustimmung des Ärztepräsidenten hat genau hier ihre aktuelle Grenze, denn: „Man will die Gesamtverträge aushebeln – und das geht nicht.“ Die Politik wolle einen bundesweiten Gesamtvertrag vereinbaren, der nur die Grundzüge regelt. Der Rest – das heißt alle Details wie das Leistungsspektrum und die Vergütung – sollen im jeweiligen Einzelvertrag gesondert geregelt werden. Auch die Planung der Stellen soll ohne ärztliche Versorgungsexpertise im Rahmen der noch recht abstrakten Strukturpläne des Bundes und der Länder erfolgen. Eine Intention, gegen die sich „die Ärzteschaft ausdrücklich verwehrt“, signalisiert der oberste Ärzte-Politiker konsequente Widerstandshaltung. Dass die Ärzteschaft in Eigeninitiative kooperative Primärversorgungsnetze entwickelt, zeigen die beiden erfolgreichen Verbundsysteme styriamed.net und pannoniamed.net. Sie seien „ein guter Ansatz“, so Wechselberger, wofür man man „auch kein neues Gesetz braucht“, zeigt er sich überzeugt.

Deutschland: Gesundheitspolitische Gesetze und Qualität

Mit zehn gesundheitspolitischen Gesetzen und Gesetzesvorhaben hat die deutsche Bundesregierung 2015 eines der umfangreichsten Gesetzespakete seit Jahren geschnürt“, findet der Präsident der Sächsischen Landesärztekammer, Erik Bodendieck, einen Superlativ, der die deutsche Gesundheitspolitik aktuell bewegt. Darunter das E-Health Gesetz, die Ärztliche Sterbehilfe, das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz – um nur einige zu nennen. Aufhorchen ließ die Bundesregierung mit ihrem Vorhaben einer geplanten „Qualitätsoffensive“. Im Koalitionsvertrag sei das Wort „Qualität“ sehr oft vorgekommen; mittlerweile „glauben die Ärztekammern jedoch nicht mehr, dass es in die Richtung geht, die sie sich erhofft hatten“. Die „Qualitätsoffensive“ habe wenig mit Qualitätssicherung aus ärztlicher Sicht zu tun. „Die Fokussierung auf Menge und Kosten erschwert die erfolgreiche Umsetzung einer Qualitätskultur“, kritisierte Bodendieck, weshalb die „Qualitätsoffensive“ kaum unter Qualitätssicherung aus ärztlicher Sicht zu verorten sei. Ein neues deutsches Krankenhausstrukturgesetz stellt sogar „Geld für Qualität“ in Aussicht, indem die Krankenhausplanung über sogenannte Qualitätsindikatoren erfolgt. Bodendieck sieht allerdings ein Risiko: In Zukunft könnten sich die Krankenhäuser jene Patienten zur Behandlung aussuchen, die kein hohes Risiko haben; besser im Outcome versprechen sie auch bessere Qualitätsindikatoren. Diese Defensivstrategie widerspricht allerdings einem zeitlosen ärztlichen Grundsatz: „Das kann und darf nicht sein und damit kann man keine Bereinigung der Krankenhausstrukturen erreichen.“ Positive Effekte ließen sich darüber hinaus in keinem Land nachweisen.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 4 / 25.02.2016