Spin­nen­bisse: Über­schätzte Gefahr

10.02.2016 | Medizin

Auch wenn abge­se­hen von weni­gen Aus­nah­men grund­sätz­lich alle Spin­nen gif­tig sind: Schlan­gen­bisse, Sti­che von Skor­pio­nen, Bie­nen oder Wes­pen sind ins­ge­samt lebens­be­droh­li­cher als der Biss einer Spinne. Medi­zi­ni­sche Bedeu­tung kommt aber tat­säch­lich nur weni­gen Spin­nen­ar­ten zu.
Von Irene Mlekusch

Die Erfah­run­gen mit poten­ti­el­len Spin­nen­bis­sen und deren Aus­wir­kun­gen sind in Öster­reich limi­tiert, da es sich hier­zu­lande ein­deu­tig um ein sel­te­nes Phä­no­men handelt.

Denn selbst einer Läsion, die wie ein Spin­nen­biss aus­sieht, liegt in 80 Pro­zent der Fälle eine andere Ursa­che zu Grunde. Inter­na­tio­na­len Stan­dards ent­spre­chend gilt ein Spin­nen­biss daher nur dann als veri­fi­ziert, wenn eine Spinne in unmit­tel­ba­rer Nähe beob­ach­tet, diese wäh­rend oder nach dem Biss gefan­gen und einem Spe­zia­lis­ten zur Iden­ti­fi­zie­rung über­ge­ben wurde und wenn im wei­te­ren Ver­lauf typi­sche Sym­ptome wie Schmerz oder Unbe­ha­gen auftreten.

Welt­weit ver­brei­tet und von medi­zi­ni­scher Rele­vanz sind Bisse der Spin­nen­ar­ten Latro­dec­tus spp. – auch bekannt als Wit­wen­spin­nen – und Loxo­sce­les spp., wel­che in den USA als Brown Recluse oder Fidd­le­back Spi­ders gefürch­tet sind. Alle wei­te­ren medi­zi­nisch wich­ti­gen Spin­nen sind auf spe­zi­fi­sche Regio­nen und Kon­ti­nente beschränkt wie die Aus­tra­lian Fun­nel- web Spi­ders (Atrax und Hadro­ny­che spp.) oder die bra­si­lia­ni­sche Wan­der­spinne (Pho­neu­tria spp.). Ver­tre­ter der zuletzt genann­ten Art tre­ten zuwei­len beim Import exo­ti­scher Früchte die Reise nach Europa an und erlan­gen unter der Bezeich­nung „Bana­nen­spinne“ mediale Berühmt­heit. „Kühl­hal­len für impor­tier­tes Obst und Gemüse stel­len für Arach­no­lo­gen ein wah­res Eldo­rado dar“, erklärt Univ. Prof. Hein­rich Stem­ber­ger, ärzt­li­cher Lei­ter des Insti­tuts für Reise- und Tro­pen­me­di­zin in Wien.

Spin­nen­biss: meist Unfall

Abge­se­hen von weni­gen Aus­nah­men sind grund­sätz­lich alle Spin­nen gif­tig. Trotz­dem sind Schlan­gen­bisse, Sti­che von Skor­pio­nen, Bie­nen oder Wes­pen ins­ge­samt lebens­be­droh­li­cher als der Biss einer Spinne. Exakte Daten für die jähr­li­che Mor­ta­li­tät durch Spin­nen­bisse lie­gen nicht vor. „Seit es Anti-Seren gegen Bisse der Atrax und Hadro­ny­che spp. gibt, sind keine wei­te­ren Todes­fälle regis­triert wor­den“, berich­tet Stem­ber­ger. Damit es über­haupt zu einem Spin­nen­biss kommt, muss die Spinne einer­seits groß genug sein: Denn bei einer Kör­per­länge von unter zehn Mil­li­me­ter sind die Che­li­ce­ren zu klein, um die mensch­li­che Haut zu pene­trie­ren. Ande­rer­seits muss die Spinne biss­freu­dig sein und ein aggres­si­ves Ver­hal­ten zei­gen. Stem­ber­ger dazu: „Pho­neu­tria nigri­ven­ter, was über­setzt so viel wie schwarz­bäu­chige Mör­de­rin heißt, ist eine aggres­sive Spin­nen­art, die kurz vor dem Biss eine typi­sche Droh­ge­bärde zeigt.“ Im Gegen­satz dazu wei­sen die meis­ten ande­ren Spin­nen einen star­ken Flucht­re­flex auf, sodass ein Biss eher als Unfall betrach­tet wer­den muss, sollte man die Spinne ver­se­hent­lich quet­schen oder ihrem Gelege zu nahe kom­men. Auch gut gemeinte Ret­tungs­ak­tio­nen kön­nen bei Spin­nen zu Bis­sen füh­ren, wenn sich diese bedroht fühlen.

In Europa erfül­len nur wenige der etwa 4.500 hei­mi­schen Spin­nen­ar­ten die Kri­te­rien, um einen Men­schen bei­ßen zu kön­nen. Mediale Berühmt­heit erlangte dies­be­züg­lich vor eini­gen Jah­ren die Ammen- Dorn­fin­ger­spinne (Chei­ra­can­thium punc­to­rium), wel­che in Ober­ös­ter­reich, Tirol und der Schweiz im Früh­som­mer 2006 für einige Biss­un­fälle gesorgt haben soll. Der Biss eines Ammen-Dorn­fin­gers ist auf­grund der Größe ihrer Che­li­ce­ren schmerz­haft. Zusätz­lich kann lokal eine Rötung und Schwel­lung ent­ste­hen, die Sym­ptome per­sis­tie­ren für einige Stun­den und kön­nen in sel­te­nen Fäl­len mit Übel­keit, Erbre­chen und Kreis­lauf­be­schwer­den ein­her­ge­hen. Da diese Spin­nen sehr orts­treu sind und Wärme sowie Mager­wie­sen mit hohem Gras bevor­zu­gen, tre­ten Biss­ver­let­zun­gen vor allem im Früh­som­mer im Freien auf, wenn der Mensch mit dem cha­rak­te­ris­ti­schen Ei-Kok­kon des Ammen-Dorn­fin­gers in Berüh­rung kommt. Haus­win­kel­spin­nen wie Tege­naria atrica sind in Sied­lungs­re­gio­nen weit ver­brei­tet; Bisse sind dage­gen sel­ten und ver­ur­sa­chen ledig­lich milde lokale Sym­ptome. Wei­tere Spin­nen­ar­ten, deren Bisse prin­zi­pi­ell in der Lage wären, die mensch­li­che Haut zu durch­drin­gen, sind Assel­spin­nen, Was­ser­spin­nen, Kreuz­spin­nen und Fins­ter­spin­nen. Biss­un­fälle mit einem Ver­tre­ter der genann­ten Arten sind aus­ge­spro­chen sel­ten und medi­zi­nisch unbedeutend. 

Medi­ter­rane Spin­nen­ar­ten von medi­zi­ni­scher Rele­vanz, deren Vor­kom­men auch in Öster­reich dis­ku­tiert wird, sind Unter­ar­ten der Wolfs­spin­nen wie Zor­op­sis spi­ni­mana, wel­che auch als Kräu­sel­jagd-Spin­nen bekannt sind, sowie euro­päi­sche Arten der Wit­wen­spin­nen und Loxo­ce­les- Spin­nen. Bisse der Kräu­sel­jagd-Spinne füh­ren zu mil­den loka­len und nur sel­ten pas­sa­ge­ren sys­te­mi­schen Sym­pto­men. Die in Grie­chen­land, Frank­reich und Ita­lien hei­mi­sche Loxo­sce­les rufe­s­cens dage­gen lebt sehr ver­steckt; Biss­ver­let­zun­gen sind eher sel­ten. Eine Ver­wandte die­ser Spinne, Loxo­sce­les reclusa, ist in den USA und Süd­ame­rika für viele Bisse ver­ant­wort­lich. Deren hoch­kom­ple­xes, Phos­pho­li­pase D ent­hal­ten­des Spin­nen­gift kann in 40 bis 60 Pro­zent zu nekro­ti­schen Ver­än­de­run­gen der Biss­stelle und in zwei bis 16 Pro­zent zu schwe­ren Ver­läu­fen oder sys­te­mi­schen Reak­tio­nen füh­ren. Stem­ber­ger gibt zu beden­ken, dass Spin­nen in der Lage sind, ihr Gift zu dosie­ren. Somit gibt es eine Viel­zahl von tro­cke­nen Bis­sen, die abge­se­hen von einer Wund­rei­ni­gung kei­ner spe­zi­el­len Behand­lung bedürfen.

Bisse der Schwar­zen Wit­wen­spinne gehö­ren ebenso wie Pho­neu­tria­bisse zu den schmerz­haf­tes­ten Spin­nen­bis­sen; über damit in Zusam­men­hang ste­hende Todes­fälle ist jedoch seit mehr als 50 Jah­ren nicht mehr berich­tet wor­den. Zwei vor allem im medi­ter­ra­nen Raum ver­brei­tete Latro­dec­tus­ar­ten sowie min­des­tens zwei wei­tere ein­ge­schleppte Arten von Wit­wen- Spin­nen sor­gen auch in Europa immer wie­der für Biss­un­fälle. „Das Neu­ro­to­xin der Schwar­zen Witwe ist gut unter­sucht und kann in ent­spre­chen­der Dosie­rung zu einer prä­syn­ap­ti­schen Aus­schüt­tung von Ace­tyl­cho­lin füh­ren“, erklärt Stem­ber­ger. Trotz allem bedür­fen viele Biss­ver­let­zun­gen von Wit­wen-Spin­nen kei­ner spe­zi­el­len Behand­lung; die Gabe eines Anti-Serums ist nur bei schwe­ren Ver­läu­fen nötig. Kommt es zum Auf­tre­ten von Mus­kel­krämp­fen, wer­den erfolg­reich Ben­zo­dia­ze­pine und Nar­ko­tika ein­ge­setzt. „Das Gift der Schwar­zen Witwe und der Pho­neu­tria ssp. kann zum Pria­pis­mus füh­ren und ist daher auch für die For­schung inter­es­sant“, weiß Stemberger.

Auch als Haus­tiere haben Spin­nen ihre Lieb­ha­ber – vor allem große Arten wie Vogel­spin­nen fin­den sich immer häu­fi­ger in hei­mi­schen Ter­ra­rien. Gut doku­men­tiert sind die Bisse der Poe­ci­lo­the­ria ssp. – auch Orna­ment­vo­gel­spin­nen genannt. Die zumeist nur lokale Sym­pto­ma­tik nach einem Biss kann vor allem bei All­er­gi­kern oder wie­der­hol­ten Biss­un­fäl­len zu Mus­kel­krämp­fen und unan­ge­neh­men, sys­te­mi­schen Reak­tio­nen, die unter Umstän­den sogar meh­rere Tage anhal­ten, füh­ren. Im Fall einer Ana­phy­la­xie rich­tet sich die Behand­lung laut Univ. Prof. Nor­bert Rei­der, Lei­ter der All­er­gie­am­bu­lanz an der Uni­ver­si­täts­kli­nik für Der­ma­to­lo­gie und Vene­ro­lo­gie in Inns­bruck, nach der Kli­nik. „Bei mil­den Lokal­re­ak­tio­nen reicht ein ora­les Anti­hist­ami­ni­kum, bei Urti­ka­ria Anti­hist­ami­nika und even­tu­ell Cor­ti­son i.v., bei wei­ter­ge­hen­den Reak­tio­nen wie Atem­not, Blut­druck­ab­fall etc. ist Adre­na­lin zu überlegen.“

Da der­zeit kein Anti-Serum zur Ver­fü­gung steht, ist für Hal­ter ein vor­sich­ti­ger Umgang mit die­sen Spin­nen zu emp­feh­len. Rei­der emp­fiehlt Per­so­nen, die schon ein­mal all­er­gisch reagiert haben, ein Not­fall­set mit­zu­füh­ren. Er zwei­felt aller­dings daran, ob die Sym­ptome der Ver­gif­tung ohne wei­te­res von einer all­er­gi­schen Reak­tion aus­ein­an­der zu hal­ten sind. Der sys­te­mi­sche Ein­satz von Kor­ti­kos­te­ro­iden ist – vor allem in Län­dern, in denen kein Anti-Serum erhält­lich ist – auch beim Auf­tre­ten von kuta­nen Läsio­nen nach dem Biss einer Loxo­sce­les ssp. gebräuchlich.

Einige Spin­nen­bisse blei­ben unbe­merkt; vor allem bei klei­ne­ren Spin­nen sind auch Biss­mar­ken nicht immer vor­han­den. War der Biss dage­gen wahr­nehm­bar oder sogar schmerz­haft, ist es sinn­voll, kör­per­li­che Anstren­gung zu ver­mei­den und an der Biss­stelle nicht zu krat­zen, um Sekun­där­in­fek­tio­nen zu ver­mei­den. „Bei klei­nen Wun­den reicht eine des­in­fi­zie­rende Salbe wie zum Bei­spiel Betai­so­dona-Gel. Bei grö­ße­ren Wun­den oder Zei­chen einer Infek­tion wie peri­f­o­kale Rötung, Über­wär­mung und Fie­ber sollte ein Arzt auf­ge­sucht wer­den“, rät Rei­der. Die Gift­zu­sam­men­set­zung schwankt sowohl sai­so­nal, als auch regio­nal. „Je frü­her schwere Sym­ptome auf­tre­ten, umso schwe­rer wird der Krank­heits­ver­lauf, da mehr Gift inji­ziert wurde“, so Stem­ber­ger abschließend.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 3 /​10.02.2016