Leit­li­nien zur Reani­ma­tion 2015: Zusam­men­ar­beit entscheidend

25.03.2016 | Medizin

Das Zusam­men­spiel ein­zel­ner Maß­nah­men, im Team und als umfas­sende Sys­tem­stra­te­gie, ist Aus­schlag gebend für das Über­le­ben. Die Defi­bril­la­tion inner­halb von drei bis fünf Minu­ten nach einem Kol­laps kann zu Über­le­bens­ra­ten von 50 bis 70 Pro­zent füh­ren. Von Michael Baubin*

Seit der ers­ten Ver­öf­fent­li­chung der kom­bi­nier­ten Wie­der­be­le­bungs­maß­nah­men bestehend aus Herz­mas­sage und Mund-zu-Mund-Beatmung im Jahr 1960 wur­den regel­mä­ßig zuerst durch die Ame­ri­can Heart Asso­cia­tion, spä­ter für Europa durch den Euro­pean Resus­ci­ta­tion Coun­cil Emp­feh­lun­gen zur Reani­ma­tion ver­öf­fent­licht. Seit dem Jahr 2000 erfol­gen diese auf der Basis der Emp­feh­lun­gen des Inter­na­tio­nal Liai­son Com­mit­tee on Resus­ci­ta­tion und füh­ren zu alle fünf Jahre gemein­sam über­ar­bei­te­ten und koor­di­niert her­aus­ge­ge­be­nen inter­na­tio­nal gül­ti­gen Reani­ma­ti­ons­leit­li­nien. Am 15. Okto­ber 2015 erschie­nen welt­weit zeit­gleich die neuen Leit­li­nien zur kar­dio­pul­mo­n­a­len Reani­ma­tion, für Europa über den Euro­päi­schen Rat für Wie­der­be­le­bung (ERC).

Die zen­tra­len Aus­sa­gen zur Durch­füh­rung einer Reani­ma­tion wur­den im Wesent­li­chen bei­be­hal­ten; doch im Ver­gleich zu den Leit­li­nien aus dem Jahr 2010 haben sich viele Bewer­tun­gen und Details geän­dert. Der ent­schei­dende Weg zu grö­ße­rem Erfolg und zu mehr Über­le­ben führt über mehr aus­ge­bil­dete Erst­hel­fer, intel­li­gente Alar­mie­rungs­sys­teme und damit über eine deut­li­che Zunahme der Laien- und Erst­hel­fer­re­ani­ma­tion. Gro­ßer Wert wird auf die Tele­fon­re­ani­ma­tion, also die Mög­lich­kei­ten des Leit­stel­len­dis­po­nen­ten zum Erken­nen und zur Anlei­tung von Erst­hel­fer­maß­nah­men gelegt.

Basis­maß­nah­men: Basic Life Sup­port (BLS)

Die Inter­ak­tion zwi­schen Leit­stel­len­dis­po­nen­ten, Not­fall­zeu­gen und zeit­na­her Ver­fü­gung eines Defi­bril­la­tors ver­bes­sert das Über­le­ben beim außer­kli­ni­schen Kreis­lauf­still­stand. Ein Pati­ent, der nicht reagiert und nicht nor­mal atmet, benö­tigt Herz-Lun­gen-Wie­der­be­le­bung. Auch bei kramp­fen­den Pati­en­ten ist – im Sinn eines Hypo­xie-beding­ten Kramp­fes – an einen Kreis­lauf­still­stand zu denken.

Bei Pati­en­ten im Kreis­lauf­still­stand wer­den in jedem Fall Tho­rax­kom­pres­sio­nen durch­ge­führt; darin aus­ge­bil­dete und erfah­rene Erst­hel­fer sol­len auch Beatmun­gen durch­füh­ren, bei­des in einem Ver­hält­nis 30 Tho­rax­kom­pres­sio­nen zu 2 Beatmungen.

Die qua­li­ta­tiv hoch­wer­tige Wie­der­be­le­bung ist ent­schei­dend für das Out­come. Daher müs­sen Tho­rax­kom­pres­sio­nen aus­rei­chend tief sein: Zur Reani­ma­tion bei Kreis­lauf­still­stand wird eine Druck­tiefe von unge­fähr fünf und nicht mehr als sechs Zen­ti­me­ter emp­foh­len; die Fre­quenz soll bei 100 bis 120 pro Minute lie­gen, mit mini­mier­ten Unterbrechungen.

Wer­den Atem­spen­den durch­ge­führt, soll für jede Atem­spende nicht län­ger als eine Sekunde benö­tigt wer­den, die ideale Unter­bre­chung der Tho­rax­kom­pres­sio­nen beträgt fünf, jeden­falls nicht län­ger als zehn Sekun­den. Das sicht­bare Heben des Brust­korbs gilt als Erfolgs­zei­chen der Beatmung. Die Defi­bril­la­tion inner­halb von drei bis fünf Minu­ten nach einem Kol­laps kann zu Über­le­bens­ra­ten von 50 bis 70 Pro­zent führen.

Die­ser Algo­rith­mus kann auch für Kin­der sicher ver­wen­det wer­den. Die Tho­rax­kom­pres­si­ons­tiefe soll min­des­tens ein Drit­tel des Brust­korb­durch­mes­sers betra­gen. Bei Ver­le­gun­gen der Atem­wege durch einen Fremd­kör­per kön­nen Schläge mit der fla­chen Hand auf den Rücken, wenn dies nicht erfolg­reich ist, Ober­bauch­kom­pres­sio­nen und letzt­lich auch Wie­der­be­le­bungs­maß­nah­men indi­ziert sein.

Erwei­terte Maß­nah­men: Advan­ced Life Support

Unter Bei­be­hal­tung der qua­li­ta­tiv hoch­wer­ti­gen Basis­maß­nah­men erfol­gen die erwei­ter­ten Maß­nah­men durch das pro­fes­sio­nelle Team. Nur kurze Unter­bre­chun­gen der Tho­rax­kom­pres­sio­nen für die Abgabe des Defi­bril­la­ti­ons­schocks oder für das Ein­füh­ren des Endo­tra­che­al­tu­bus wer­den emp­foh­len. Ansons­ten bleibt der Algo­rith­mus auch bei ALS unver­än­dert. Beson­de­rer Wert wird auf die Durch­füh­rung und die Inter­pre­ta­tion der Kapno­gra­phie (end­tidale CO2-Mes­sung) gelegt: endo­tra­cheale Lage­kon­trolle; zeit­nahe Über­wa­chung der Reani­ma­ti­ons­qua­li­tät (Moni­to­ring der Beatmungs­fre­quenz mit Ver­mei­dung der Hyper­ven­ti­la­tion), früh­zei­ti­ger Hin­weis auf Spon­tan­kreis­lauf (Anstieg des CO2 und typi­sche Kurve); als ein Fak­tor zur Pro­gno­se­ein­schät­zung (blei­bend nied­rige CO2-Werte hin­wei­send auf eher schlech­tes Outcome).

Die Gabe von Adre­na­lin oder Vaso­pres­sin bleibt wei­ter­hin alle drei Minu­ten; die Gabe von Amio­da­ron wird nach der drit­ten Defi­bril­la­tion emp­foh­len. Der intra­ossäre Zugang hat mitt­ler­weile auch in der Erwach­se­nen-Reani­ma­tion eine weite Ver­brei­tung gefun­den. Mecha­ni­sche Reani­ma­ti­ons­hil­fen kön­nen für den Trans­port aus unweg­sa­mem Gelände, über Stie­gen­häu­ser, im Dreh­lei­ter­korb der Feu­er­wehr und im Ret­tungs­wa­gen sinn­voll sein.

Für beson­dere Umstände:
• Hypo­xie, akzi­den­ti­elle Hypo­ther­mie, Hyper­ther­mie, Hypo­vo­lä­mie, Ana­phy­la­xie, • Trau­ma­tisch beding­ter Kreis­lauf­still­stand, Span­nungs­pneu­mo­tho­rax, Peri­kard­tam­po­nade, Lun­gen­em­bo­lie, koro­nare Throm­bose, Into­xi­ka­tion, in beson­de­rem Umfeld: • peri­ope­ra­tiv, in der Herz­chir­ur­gie, im Herz­ka­the­ter­la­bor, auf der Dia­ly­se­sta­tion, im Flug­zeug, wäh­rend Sport­ver­an­stal­tun­gen, als Ertrin­kungs­un­fall, in der Wild­nis, in gro­ßer Höhe, bei Lawi­nen­ver­schüt­tung, bei Strom­un­fäl­len, beim Mas­sen­an­fall von Ver­letz­ten und bei beson­de­ren Pati­en­ten: • Asthma, Pati­en­ten mit Herz­un­ter­stüt­zungs­sys­te­men, bei neu­ro­lo­gi­schen Erkran­kun­gen, Adi­po­si­tas, Schwan­ger­schaft, ältere Men­schen ste­hen eigene Emp­feh­lun­gen und Algo­rith­men zur Verfügung.

Sowohl bei Erwach­se­nen als auch beson­ders bei Kin­dern kommt der Vor­beu­gung eines Kreis­lauf­still­stan­des eine enorme Bedeu­tung zu. Wie auch im inner­kli­ni­schen Set­ting kün­di­gen sich viele pri­märe Kreis­lauf­still­stände in der Akut­si­tua­tion an – es gibt also häu­fig Früh­warn­zei­chen. Ath­le­ten und beson­ders Geschwis­ter von im Kin­des- und Jugend­al­ter bereits betrof­fe­nen Pati­en­ten soll­ten einer genauen Risiko-Abklä­rung zuge­führt werden.

Lebens­ret­tende Maß­nah­men beim Kind

Da bei Kin­dern die pri­märe Asphy­xie die häu­figste Ursa­che für einen Atem-Kreis­lauf­still­stand ist, soll mit fünf Beatmun­gen begon­nen wer­den. Auch bei Kin­dern beträgt die Zeit für einen Atem­hub eine Sekunde. Die Ein­druck­tiefe der Tho­rax­kom­pres­sion – im unte­ren Bereich des Brust­beins – beträgt min­des­tens ein Drit­tel des Brust­korb­durch­mes­sers, bei Säug­lin­gen vier Zen­ti­me­ter, bei Kin­dern fünf Zen­ti­me­ter; der Rhyth­mus ent­spricht dem der Erwach­se­nen: 15 Kom­pres­sio­nen zu 2 Beatmun­gen. Auto­ma­ti­sierte Defi­bril­la­to­ren kön­nen für Kin­der zwi­schen ein und acht Jah­ren – falls vor­han­den mit ent­spre­chen­den Kin­der­pads – ver­wen­det werden.

Die neuen Reani­ma­ti­ons­leit­li­nien umfas­sen ins­ge­samt zehn Kapi­tel, wobei u.a. auch auf die Post-Reani­ma­ti­ons­be­hand­lung, das initiale Manage­ment beim aku­ten Koro­nar­syn­drom, Erste Hilfe, die Aus­bil­dung und Imple­men­tie­rung der Reani­ma­tion und auf die Ethik der Reani­ma­tion mit Ent­schei­dun­gen am Lebens­ende ein­ge­gan­gen wird.

Tipp: Unter www.aerztezeitung.at/service/informationen ste­hen die bei­den Algo­rith­men zum Down­load zu Verfügung.

*) Univ. Prof. Dr. Michael Bau­bin,
Uni­ver­si­täts­kli­nik für Anäs­the­sie und Inten­siv­me­di­zin, Medi­zi­ni­sche Uni­ver­si­tät Inns­bruck; Vor­sit­zen­der des Aus­trian Resus­ci­ta­tion Coun­cils – www.arc.or.at;
Anich­straße 35, 6020 Inns­bruck;
Tel.: 0512/​504/​80 342;
E‑Mail: michael.baubin@tirol-kliniken.at

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 6 /​25.03.2016