Infek­tio­nen durch Nicht-Cho­lera-Vibrio­nen: Kli­ma­wan­del als trei­bende Kraft

10.10.2016 | Medizin

Die glo­bale Erwär­mung hat welt­weit zu einer Zunahme der Vibrio­nen-asso­zi­ier­ten Erkran­kun­gen bei Men­schen und Mee­res­tie­ren geführt. Auch in belieb­ten Bade­ge­wäs­sern im Osten Öster­reichs kom­men Nicht-Cho­lera-Vibrio­nen vor und kön­nen für Risi­ko­grup­pen zu einer Gefah­ren­quelle wer­den. Von Irene Mlekusch

Vibrio­nen fin­den sich als Bestand­teil der natür­li­chen Bak­te­ri­en­flora im Meer‑, Lagu­nen- und Brack­was­ser sowie in leicht salz­hal­ti­gen Ober­flä­chen­ge­wäs­sern wie zum Bei­spiel dem Neu­sied­ler­see oder ver­ein­zel­ten Süß­was­ser­tei­chen in Nie­der­ös­ter­reich und dem Bur­gen­land. Allein von Vibrio cho­le­rae sind mehr als 200 Sero­grup­pen bekannt, die grund­sätz­lich human­pa­tho­gen sind. Aller­dings kön­nen nur die Sero­grup­pen O1 und O139 das typi­sche Krank­heits­bild der Cho­lera auslösen.

Cho­lera ist in Öster­reich extrem sel­ten gewor­den und wird haupt­säch­lich bei Auf­ent­hal­ten in betrof­fe­nen Pan­de­mie­ge­bie­ten durch kon­ta­mi­nier­tes Was­ser über­tra­gen. Priv. Doz. Doro­thea Orth-Höl­ler von der Sek­tion für Hygiene und medi­zi­ni­sche Mikro­bio­lo­gie der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät Inns­bruck erklärt: „Die Dif­fe­ren­zie­rung zwi­schen den Toxin-bil­den­den Stäm­men O1/​O139 und den ande­ren Sero­ty­pen von V. cho­le­rae, wel­che diese Gene nicht besit­zen, ist wich­tig, um Miss­ver­ständ­nisse aus­zu­schlie­ßen.“ Als die Cho­lera aus­lö­sende Viru­lenz­fak­to­ren gel­ten das Cho­lera-Toxin-Gen und das auf der Vibrio- Patho­ge­ni­täts­in­sel loka­li­sierte Toxin core­gu­lierte Pilus-Gen. Nicht-Toxin-bil­dende Stämme wie bei­spiels­weise V. cho­le­rae, non-O1 und non-O139 sowie V. para­hae­mo­ly­ti­cus, V. vul­nifi­cus oder V. algi­no­ly­ti­cus besit­zen diese Gene zwar nicht, ver­fü­gen aber über andere Viru­lenz­fak­to­ren, wel­che zu Ohr­ent­zün­dun­gen, gas­troen­teri­ti­schen Erkran­kun­gen und Wund­in­fek­tio­nen bis hin zur Sep­sis füh­ren kön­nen. „Inwie­fern die ver­schie­de­nen Stämme von nicht-toxin­bil­den­den V. cho­le­rae unter­schied­li­che Infek­tio­nen ver­ur­sa­chen, ist nur unzu­rei­chend unter­sucht“, erklärt Alex­an­der Kirsch­ner vom Insti­tut für Hygiene und ange­wandte Immu­no­lo­gie der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät Wien.

Seit 2010: 13 Vibrionen-Fälle

Die in Öster­reich auf­tre­ten­den und auch hier erwor­be­nen Infek­tio­nen mit Nicht-Cho­lera-Vibrio­nen stel­len sich vor­wie­gend als Oti­tis media und externa sowie Wund­in­fek­tio­nen bei Risi­ko­grup­pen dar. Dies ent­spricht auch den Erfah­run­gen von Orth-Höl­ler: „Seit 2010 wur­den in unse­rem Labor 13 Vibrio­nen-Fälle ermit­telt, wobei die Mehr­zahl der Spe­zies V. algi­no­ly­ti­cus ange­hörte, es gab kei­nen Fall von V. cho­le­rae. Neun der 13 Vibrio­nen-Spe­zies wur­den aus dem Gehör­gang nach­ge­wie­sen, zwei aus einem Ulcus.“ Gas­troen­teri­ti­sche Erkran­kun­gen durch Vibrio­nen las­sen sich so gut wie immer auf Aus­lands­auf­ent­halte zurück­füh­ren. Kirsch­ner geht davon aus, dass die Erkran­kungs­wahr­schein­lich­keit mit der Kon­zen­tra­tion der Vibrio­nen im Was­ser zusam­men­hängt: „Geht man von der im Neu­sied­ler­see zur Hoch­sai­son gefun­de­nen Kon­zen­tra­tion von Vibrio­nen aus, so müsste man wahr­schein­lich zwi­schen 200 Mil­li­li­ter und zwei Liter See­was­ser trin­ken, um eine der Cho­lera ähn­li­che Darm­in­fek­tion zu erlei­den.“ Da V. cho­le­rae auch Hot-Spots auf Zoo­plank­ton-Orga­nis­men bil­den, dürf­ten mög­li­cher­weise auch gerin­gere Men­gen für eine Infek­tion rei­chen. „Die tat­säch­li­che Infek­ti­ons­do­sis durch V. cho­le­rae non-O1 und non-O139 wurde bis­her weder in Bezug auf Gas­troen­terit­i­den noch auf Ohr- und Wund­in­fek­tio­nen unter­sucht,“ bestä­tigt Kirsch­ner. Da in Öster­reich aber auf­grund der Sel­ten­heit der Erkran­kun­gen durch V. cho­le­rae das Bewusst­sein dies­be­züg­lich nicht beson­ders aus­ge­prägt ist und viele Pati­en­ten mit leich­ten Darm­in­fek­tio­nen, aber auch Ohr-Ent­zün­dun­gen nicht immer einen Arzt auf­su­chen, kann von einer grö­ße­ren Dun­kel­zif­fer aus­ge­gan­gen werden.

Nekro­ti­sie­rende Fas­zii­tis als Folge

In sel­te­nen Fäl­len wie zuletzt bei zwei Pati­en­ten in Öster­reich im Jahr 2015 kann es durch V. cho­le­rae non-O1 und non-O139 zu einer nekro­ti­sie­ren­den Fas­zii­tis kom­men. In bei­den Fäl­len waren ältere Per­so­nen betrof­fen, die mit klei­nen Wun­den in loka­len Tei­chen geschwom­men waren. Diese bei­den Fälle könn­ten auf die spe­zi­el­len kli­ma­ti­schen Bedin­gun­gen im Som­mer 2015 mit dem hei­ßes­ten Juli seit 1767 zurück­zu­füh­ren sein. Mög­li­cher­weise ist es dadurch zu einem Anstieg der Kon­zen­tra­tio­nen von non-O1/­non-O139 V. cho­le­rae im Was­ser der bei­den unter­such­ten Tei­che gekom­men. Kirsch­ner berich­tet über eine Zunahme der Infek­tio­nen mit non-O1/ non-O139 V. cho­le­rae in Schwe­den und ande­ren Län­dern um die Ost­see in Jah­ren mit hohen Was­ser­tem­pe­ra­tu­ren. Kirsch­ner wei­ter: „Warum die Infek­tio­nen mit non-O1/­non-O139 V. cho­le­rae in die­ser Region häu­fi­ger wer­den, könnte viele Ursa­chen haben. Ent­we­der ist die Bade­fre­quenz erhöht oder die Stämme expri­mie­ren erst bei höhe­ren Tem­pe­ra­tu­ren bestimmte Viru­lenz­fak­to­ren.“ Es könnte aber auch an einer Tem­pe­ra­tur­be­ding­ten erhöh­ten Kon­zen­tra­tion an Vibrio­nen liegen.

Über­tra­gung durch Vögel

Beide Exper­ten ver­wei­sen auch auf die Mög­lich­keit der Über­tra­gung neuer V. cho­le­rae-Stämme durch Vögel. „Dies könnte vor allem im Bereich des Neu­sied­ler­sees mit sei­nem Vogel­schutz­ge­biet das Auf­tre­ten von Stäm­men mit enger gene­ti­scher Ver­wandt­schaft zu Stäm­men aus sechs ver­schie­de­nen euro­päi­schen Län­dern erklä­ren“, fügt Kirsch­ner hinzu. Die Viel­zahl der im Neu­sied­ler­see und ande­ren Salz­la­cken im Bur­gen­land vor­kom­men­den Stämme lässt sich einer­seits auf den Salz­ge­halt von 0,2 bis 1,4 Pro­zent und den für V. cho­le­rae idea­len pH-Wert zwi­schen 8,0 und 8,9 zurück­füh­ren; ande­rer­seits auf die in den letz­ten Jahr­zehn­ten ste­tig stei­gende Was­ser­tem­pe­ra­tur im Som­mer mit für V. cho­le­rae idea­len Bedin­gun­gen zwi­schen 20 und 30 Grad Cel­sius. In die­sen Seen haben hohe Nähr­stoff­kon­zen­tra­tio­nen und Zoo­plank­ton wie zum Bei­spiel Was­ser­flöhe einen wesent­li­chen Ein­fluss auf die Ver­meh­rung von V. cholerae.

Gas­troen­teri­ti­sche Infek­tio­nen durch Nicht-Cho­lera-Vibrio­nen tre­ten nach einer Inku­ba­ti­ons­zeit von vier bis 96 Stun­den auf; am häu­figs­ten sind Infek­tio­nen mit V. para­hae­mo­ly­ti­cus. Nach zwölf bis 24 Stun­den kommt es zu wäss­ri­ger Diar­rhoe, krampf­ar­ti­gen abdo­mi­na­len Schmer­zen, Erbre­chen und Übel­keit. Diese Infek­tio­nen kön­nen vor allem nach dem Ver­zehr von rohen oder unzu­rei­chend gegar­ten Mee­res­früch­ten oder rohem Fisch auf­tre­ten und sind meist auf wenige Tage limi­tiert. Bei schwe­ren Ver­läu­fen kann es aller­dings auch zu einer Sep­sis kom­men. Des Wei­te­ren sind Wund­in­fek­tio­nen vor allem in Ver­bin­dung mit Frei­zeit­ak­ti­vi­tä­ten im und rund um das Meer­was­ser mög­lich. Andere Vibrio­nen wie V. vul­nifi­cus kön­nen zwar eben­falls gas­troen­teri­ti­sche Infek­tio­nen her­vor­ru­fen, sind aber häu­fi­ger als Ursa­che von Wund­in­fek­tio­nen bei Risi­ko­pa­ti­en­ten beschrie­ben. Durch Kon­takt mit Meer­was­ser oder den Umgang mit Mee­res­früch­ten und Mee­res­fi­schen kann es wäh­rend der war­men Som­mer­mo­nate bei chro­nisch Kran­ken mit Haut­ver­let­zun­gen zu schwe­ren, sich rasch aus­brei­ten­den Wund­in­fek­tio­nen kom­men; ebenso kann es nach dem Genuss von rohen oder unzu­rei­chend gekoch­ten Krebs­tie­ren und Aus­tern inner­halb von zwölf Stun­den zu einer pri­mä­ren Sep­tik­ämie kom­men. Die pri­märe V. vul­nifi­cus-Sep­tik­ämie gilt als Ernst zu neh­mende Erkran­kung mit einer Mor­ta­li­täts­rate von bis zu 40 Pro­zent. Kirsch­ner merkt an, dass vor allem Män­ner an einer Infek­tion mit V. vul­nifi­cus erkran­ken. Als Ursa­che für die Geschlech­ter­prä­fe­renz ver­mu­tet man unter ande­rem Lebens­um­stände wie bei­spiels­weise die Berufs­wahl in den betrof­fe­nen Regio­nen; sie ist jedoch nicht aus­rei­chend geklärt.

Wund­in­fek­tio­nen an Küs­ten­re­gio­nen

Wund­in­fek­tio­nen durch V. vul­nifi­cus tre­ten haupt­säch­lich in sub­tro­pi­schen Regio­nen des west­li­chen Pazi­fik und den atlan­ti­schen Küs­ten­re­gio­nen der nörd­li­chen Hemi­sphäre wie Tai­wan, Süd-Korea, Japan, dem Golf von Mexiko oder den USA auf. Durch die glo­bale Erwär­mung und die erhöhte Ober­flä­chen­tem­pe­ra­tur der Meere ist die Inzi­denz der Infek­tio­nen durch V. vul­nifi­cus an den Küs­ten­re­gio­nen von Kon­ti­nen­tal­eu­ropa in den ver­gan­ge­nen Jah­ren ange­stie­gen. Den Aus­sa­gen von Kirsch­ner zufolge spie­len Infek­tio­nen mit V. para­hae­mo­ly­ti­cus und V. vul­nifi­cus in Öster­reich eine unter­ge­ord­nete Rolle. Orth-Höl­ler macht dar­auf auf­merk­sam, dass Verdachts‑, Erkran­kungs- und Todes­fälle von Cho­lera sowie bak­te­ri­elle Lebens­mit­tel­ver­gif­tun­gen als auch Gas­troen­teri­tis-Fälle durch Nicht- Cho­lera-Vibrio­nen mel­de­pflich­tig sind. Erkran­kungs- und Todes­fälle von inva­si­ven bak­te­ri­el­len Erkran­kun­gen wie Sep­sis- Fälle durch Nicht-Cho­lera-Vibrio­nen sind eben­falls mel­de­pflich­tig. „Bei der Unter­su­chung von Stuhl­pro­ben auf Vibrio­nen ist zur Kul­ti­vie­rung ein spe­zi­el­ler Nähr­bo­den not­wen­dig. Wird die­ser nicht ver­wen­det, blei­ben die Vibrio­nen in der phy­sio­lo­gi­schen Darm­flora unent­deckt“, macht Orth-Höl­ler auf­merk­sam. Der Ana­mnese und der Frage nach Rei­sen bezie­hungs­weise Frei­zeit­ak­ti­vi­tä­ten kommt somit eine ent­schei­dende Bedeu­tung zu.

Die Daten­lage weist dar­auf hin, dass gene­rell Risi­ko­grup­pen wie ältere Per­so­nen, immun­sup­p­ri­mierte Pati­en­ten, Pati­en­ten mit Leber­zir­rhose oder chro­ni­schen Erkran­kun­gen wie Hepa­ti­tis, Dia­be­tes mel­li­tus, schwe­ren Herz- oder Krebs­er­kran­kun­gen bezie­hungs­weise nach Che­mo­the­ra­pien eher gefähr­det sind, eine Infek­tion durch Nicht-Cho­lera-Vibrio­nen zu erlei­den und vor allem auch schwer­wie­gen­der zu erkran­ken. Somit soll­ten Per­so­nen die­ser Risi­ko­grup­pen – vor allem sol­che mit offen­sicht­lich vor­han­de­nen Wun­den – in der war­men Jah­res­zeit vor­sich­tig beim Baden in seich­ten, salz­hal­ti­gen Gewäs­sern sein.

Im Fall einer Wund- oder Weich­teil­in­fek­tion nach einem Bade­auf­ent­halt sollte so rasch wie mög­lich eine ärzt­li­che Abklä­rung erfol­gen. Erfolgt die ent­spre­chende anti­mi­kro­bielle The­ra­pie – in der Regel mit Cepha­los­po­ri­nen, Flu­or­chi­no­lo­nen oder Tetra­zy­kli­nen – zeit­nah, sindm die Infek­tio­nen gut beherrsch­bar. „Ohne ent­spre­chende Behand­lung oder zu spät behan­delt kön­nen sich die Weich­teil- und Wund­in­fek­tio­nen mit V. cho­le­rae non-O1 und non-O139 auf­grund der hohen Tei­lungs­rate der Bak­te­rien rasch aus­brei­ten und zu einer Ampu­ta­tion der betrof­fe­nen Glied­maße oder im schlimms­ten Fall zum Tod füh­ren“, warnt Kirsch­ner – auch wenn es sich grund­sätz­lich um nach wie vor sel­tene Erkran­kun­gen handelt.

Im Ver­dachts­fall emp­fiehlt die AGES (Agen­tur für Gesund­heit und Ernäh­rungs­si­cher­heit) nie­der­ge­las­se­nen Ärz­ten, sich mit der Refe­renz­zen­trale in Ver­bin­dung zu set­zen und Pro­ben­ma­te­rial für eine ent­spre­chende Dia­gnos­tik einzusenden.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 19 /​10.10.2016