Impftag 2017: Einer für alle – alle für keinen?

10.11.2016 | Medizin

Eine zunehmend individualistische Bevölkerung trägt dazu bei, den Erfolg von Impfprogrammen zu gefährden. Deswegen muss in Zukunft verstärkt auf die heutigen Gesellschaftsstrukturen und den veränderten „Lifestyle“ Rücksicht genommen werden, erklärt Univ. Prof. Ursula Wiedermann-Schmidt, wissenschaftliche Leiterin des Österreichischen Impftages 2017. Von Marlene Weinzierl

Woran liegt es, dass in unserer Gesellschaft Zweifel und Ablehnung den Impfprogrammen gegenüber zunehmen? Wie wirkt sich ein aufgeweichter sozialer Zusammenhalt innerhalb der Bevölkerung auf den Solidargedanken des Impfens („Meine Impfung schützt auch andere“) aus, der doch entscheidend mit dem Erfolg eines Impfprogramms zusammenhängt? Diesen und weiteren Fragen widmet sich der Österreichische Impftag, der am 14. Jänner 2017 von der Österreichischen Akademie der Ärzte und der Medizinischen Universität Wien veranstaltet wird. Kooperationspartner sind unter anderen die Österreichische Ärztekammer und die Österreichische Apothekerkammer.

„Gesunde Gesellschaft“

Die Veranstaltung unter dem bewusst provokant gewählten Motto „Gesunde Gesellschaft – gehört Impfen (noch) dazu?“ beleuchtet, was Impfprogramme in den vergangenen Jahrzehnten für die Volksgesundheit gebracht haben und wie sie aussehen müssen, um weiterhin Erfolge zu erzielen. Experten beschäftigen sich mit der Frage, was Menschen heute unter „gesund“ verstehen, wieso eine Impfung oft nicht (mehr) zum „Must-have“ gehört und mit welchen Maßnahmen die Gesundheitskompetenz der Österreicher im Hinblick auf Impfungen als Präventivmaßnahme (wieder) gestärkt werden kann.

Lebensstil einbeziehen

Gesellschaftliche Veränderungen in Hinblick auf den Lebensstil spielen in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle. „Man hat erkannt, dass die Beachtung des ‚Lifestyles‘ in das Maßnahmenpaket miteinbezogen werden muss“, so Wiedermann. Ein bislang zu Unrecht vernachlässigter Aspekt in diesem Zusammenhang ist das Ernährungsverhalten mit seinen zum Teil extremen Auswüchsen: Zum einen tritt vermehrt Übergewichtigkeit durch ungesunde Ernährung wie Fast Food auf, zum anderen kann eine ausschließlich vegane oder zu einseitige Ernährung zu Mangelerscheinungen führen; nicht zu unterschätzen sind Mangelernährungen während der Schwangerschaft mit Folgen für den Fötus. Wiedermann dazu: „Die veränderte Ernährung zieht Veränderungen des Mikrobioms nach sich und hat in weiterer Folge Effekte auf das Immunsystem.“ Aus diesem Grund sei es wichtig, zu beobachten, welche Auswirkungen veränderte Ernährungsgewohnheiten letztendlich auf die Wirksamkeit von Impfungen haben.

Ein weiterer wesentlicher Lifestyle-Faktor ist die Bewegung. Ein Sportmediziner widmet sich daher im Rahmen seines Vortrags beim Impftag der Frage, weshalb Sportler Impfungen eher skeptisch gegenüberstehen und erklärt, wie die Kombination beider Maßnahmen – Sport und Impfen – eine optimale Basis für ein gesundes Immunsystem bilden kann.

Außerdem wird der aktuelle Impfplan für 2017 seitens des Gesundheitsministeriums vorgestellt. Eine wichtige Änderung betrifft fachliche Informationen zum Umstieg von vierfach-valentem Impfstoff zum neunfach-valenten Impfstoff bei HPV. Auch werden die Durchimpfungsraten in Österreich speziell im Hinblick auf Masern, Mumps und Röteln thematisiert. Wiedermann dazu: „Wir sind das Land mit der zweithöchsten Masern-Erkrankungsrate europaweit. Das zeigt, dass wir die Menschen nicht ausreichend erreichen, um sie über die Wichtigkeit einer Impfung zu informieren und sie auch nicht dazu motivieren können.“ Deshalb sei es wichtig, die Eradikationsproblematik in der Gesellschaft ausführlich zu diskutieren.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 21 / 10.11.2016