Hyper­to­nie: Kom­or­bi­di­tä­ten bestim­men Therapie

25.04.2016 | Medizin

Die The­ra­pie der Hyper­to­nie hängt nicht nur von der Höhe des Blut­drucks, son­dern auch von den Risi­ko­fak­to­ren für kar­dio­vas­ku­läre Erkran­kun­gen ab. Dazu zäh­len etwa Rau­chen, Dys­li­pi­dä­mie, Adi­po­si­tas, eine gestörte Glu­co­se­to­le­ranz oder Dia­be­tes mel­li­tus. Aktu­el­len Stu­dien zufolge haben nied­ri­gere Ziel­blut­druck­werte als bis­her emp­foh­len eine posi­tive Aus­wir­kung auf Mor­bi­di­tät und Mor­ta­li­tät. Von Verena Isak

Rund jeder fünfte Öster­rei­cher (21,3 Pro­zent) hat die Dia­gnose Hyper­to­nie erhal­ten. Betrof­fen sind aller­dings wesent­lich mehr: „Hyper­to­nie wird nicht umsonst als ‚silent kil­ler‘ bezeich­net. Die Pati­en­ten sind meist beschwer­de­frei“, stellt Univ. Prof. Gerald Mau­rer von der Uni­ver­si­täts­kli­nik für Innere Medi­zin II der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät Wien fest. Dem­zu­folge liegt die Prä­va­lenz in Europa bei bis zu 50 Pro­zent. Eine unbe­han­delte Hyper­to­nie hat schä­di­gende Aus­wir­kun­gen auf den gesam­ten Orga­nis­mus. Typi­sche Kom­pli­ka­tio­nen sind unter ande­rem eine KHK, ein Myo­kard­in­farkt und eine hyper­ten­sive Kar­dio­myo­pa­thie, sowie eine chro­ni­sche Nie­ren­in­suf­fi­zi­enz, Reti­no­pa­thie oder pAVK. Der systo­li­sche Blut­druck ist dabei der beste Prä­dik­tor für Schlag­an­fall und KHK; der Puls­druck – die Dif­fe­renz zwi­schen systo­li­schem und dia­sto­li­schem Wert – für Herz­in­suf­fi­zi­enz und Gesamt­mor­ta­li­tät. Bei zwei Drit­tel der Hyper­to­ni­ker stel­len Links­herz­in­suf­fi­zi­enz und KHK die Todes­ur­sa­che dar; wei­tere 15 Pro­zent ster­ben an einem cere­bro­vas­ku­lä­ren Ereig­nis – vor allem an einem Schlag­an­fall oder auch einer hyper­to­ni­schen Massenblutung.

Daher ist die Com­pli­ance der Pati­en­ten trotz der aktu­el­len Beschwer­de­frei­heit beson­ders wich­tig. „Es ist schwie­rig, jeman­dem eine lebens­lange The­ra­pie schmack­haft zu machen, wenn die Krank­heit asym­pto­ma­tisch ist“, sagt Univ. Prof. Gert Mayer von der Uni­ver­si­täts­kli­nik für Innere Medi­zin IV der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät Inns­bruck. Daher ist es wich­tig, Pati­en­ten über die Lang­zeit­fol­gen auf­zu­klä­ren: „Zusätz­lich zu einem Gespräch kön­nen den Pati­en­ten Bro­schü­ren mit­ge­ge­ben wer­den“, fügt Mau­rer hinzu. Mayer ergänzt: „Dem Pati­en­ten muss die Sinn­haf­tig­keit der The­ra­pie klar sein. Hier ist das Bewusst­sein der Bevöl­ke­rung in den letz­ten Jah­ren aber deut­lich bes­ser geworden.“

Pati­en­ten aufklären

Erschwe­rend kommt hinzu, dass sich die Pati­en­ten in den ers­ten vier bis sechs Wochen nach The­ra­pie­be­ginn durch die Blut­druck­sen­kung unwoh­ler füh­len: „Der Blut­druck muss sich erst ein­pen­deln“, erklärt Mayer. Daher sei es auch wich­tig, den Pati­en­ten dar­über auf­zu­klä­ren, da sonst „die Medi­ka­mente nicht mehr ein­ge­nom­men werden“.

Eine Hyper­to­nie liegt vor, wenn in der Pra­xis Werte von über 140/​90 gemes­sen wer­den. Aller­dings hat die Ordi­na­ti­ons­blut­druck­mes­sung viele Nach­teile – phy­sio­lo­gi­sche Blut­druck­schwan­kun­gen füh­ren zu fal­schen Mess­ergeb­nis­sen bei Ein­zel­mes­sun­gen, Pati­en­ten mit „white coat“-Hypertonie oder „mas­kier­ter“ Hyper­to­nie wird eine fal­sche Dia­gnose zuge­ord­net – sodass zuneh­mend von der Dia­gnos­tik durch Mes­sun­gen in der Ordi­na­tion abge­gan­gen wird. „Die wich­tigste Mes­sung ist die Selbst­mes­sung im All­tag der Pati­en­ten“, erklärt Mayer. Dabei ist die Mes­sung am Ober­arm bes­ser als am Hand­ge­lenk, da hier oft unge­naue Werte, zum Bei­spiel wenn das Gerät falsch ange­legt wurde, gemes­sen wer­den. Hier liegt der Grenz­wert wegen der häu­fi­ge­ren Mes­sun­gen im Mit­tel auch bei 135/​85.

Eine wei­tere Mög­lich­keit ist das ambu­la­to­ri­sche 24-Stun­den-Blut­druck­mo­ni­to­ring (ABPM). Vor­teil des ABPM ist, dass auch das nächt­li­che Blut­druck­ver­hal­ten bestimmt wer­den kann. „Indi­ka­tio­nen für ein 24-Stun­den-Moni­to­ring sind unter ande­rem die Dia­gnos­tik von sekun­dä­ren Hyper­to­nie­for­men und die The­ra­pie­über­wa­chung“, erklärt Mayer. „Beson­ders bei Dia­be­ti­kern ist die Frage nach dem Dip­ping wich­tig“, so Mayer wei­ter. Wäh­rend nor­ma­ler­weise der Blut­druck in der Nacht um rund zehn bis 20 Pro­zent nied­ri­ger ist, sind die Werte bei Dia­be­ti­kern häu­fi­ger gleich hoch wie tags­über; sie sind also Non-Dipper (weni­ger als zehn Pro­zent Unter­schied). Pati­en­ten, deren Blut­druck nachts sogar höher ist, haben ein erhöh­tes kar­dio­vas­ku­lä­res Risiko und eine schlech­tere Pro­gnose. Die The­ra­pie einer Hyper­to­nie hängt nicht nur von der Höhe ab, son­dern auch von Risi­ko­fak­to­ren für kar­dio­vas­ku­läre Erkran­kun­gen. „Die euro­päi­schen Leit­li­nien lei­ten die The­ra­pie aus dem Risi­ko­pro­fil des Pati­en­ten ab“, führt Mayer aus. Risi­ko­fak­to­ren sind unter ande­rem Rau­chen, Dys­li­pi­dä­mie, (abdo­mi­nelle) Adi­po­si­tas, eine gestörte Glu­co­se­to­le­ranz bezie­hungs­weise Dia­be­tes sowie männ­li­ches Geschlecht. Bei nur gering erhöh­tem Blut­druck und wenn keine Risi­ko­fak­to­ren vor­han­den sind, kann zuerst durch All­ge­mein­maß­nah­men ver­sucht wer­den, den Blut­druck wie­der zu nor­ma­li­sie­ren. Dazu zäh­len unter ande­rem Gewichts­re­duk­tion, Koch­salz­re­strik­tion, Niko­tin­ka­renz und regel­mä­ßi­ges Aus­dau­er­trai­ning. „Dadurch kann der Blut­druck oft um zehn bis 15 mmHg gesenkt wer­den, also ver­gleich­bar zu einem Medi­ka­ment“, erläu­tert Mau­rer. In vie­len Fäl­len reicht eine Lebens­stil­mo­di­fi­ka­tion alleine aller­dings nicht aus. Auch bei schwe­re­ren Hyper­to­nien oder beim Vor­lie­gen von meh­re­ren Risi­ko­fak­to­ren bezie­hungs­weise End­or­gan­schä­den reicht die allei­nige Lebens­stil­mo­di­fi­ka­tion nicht aus und muss mit einer medi­ka­men­tö­sen The­ra­pie kom­bi­niert werden.

The­ra­pie und Co-Morbiditäten

Begon­nen wird mit einer Mono­the­ra­pie eines First-Line-Anti­hy­per­ten­si­vums (ACE­Hem­mer, Angio­ten­sin-Rezep­tor-Blo­cker, Thia­zide, lang­wirk­same Cal­ci­um­ant­ago­nis­ten und Beta-Blo­cker). Die Aus­wahl des Medi­ka­ments rich­tet sich dabei nach den jewei­li­gen Co-Mor­bi­di­tä­ten bezie­hungs­weise Kon­tra­in­di­ka­tio­nen. „Wenn ein meta­bo­li­sches Syn­drom vor­liegt, muss die Niere geschützt wer­den. Das gelingt am bes­ten mit ACE-Hem­mern oder Angio­ten­sin-Rezep­tor-Blo­ckern“, nennt Mau­rer ein Bei­spiel. Eine Nie­ren­ar­te­rien­s­tenose stellt hin­ge­gen eine Kon­tra­in­di­ka­tion dar: „Es kann zu einem Steal-Phä­no­men und dar­aus fol­gen­dem Krea­ti­nin­an­stieg sowie einer Hyper­ka­li­ämie führen.“

Bei ischä­mi­schen Herz­er­kran­kun­gen sind ACE-Hem­mer und Beta-Blo­cker Mit­tel der Wahl; beim meta­bo­li­schen Syn­drom hin­ge­gen füh­ren Beta-Blo­cker zu einer ungüns­ti­gen Stoff­wech­sel­lage und soll­ten daher ebenso wie Thia­zide ver­mie­den wer­den. Bei gleich­zei­tig vor­lie­gen­der Gicht ist von Diure­tika abzu­ra­ten. In man­chen Fäl­len wird auch auf Second-Line-Medi­ka­mente zurück­ge­grif­fen. „Bei Mik­ti­ons­stö­run­gen, etwa durch eine Pro­sta­ta­hy­per­pla­sie, ist ein Alpha-Blo­cker die beste The­ra­pie“, berich­tet Mayer aus der Pra­xis. „Wäh­rend der Blut­druck­ein­stel­lung soll­ten Pati­en­ten den Blut­druck mehr­mals täg­lich kon­trol­lie­ren, danach sel­te­ner“, emp­fiehlt Mau­rer. So kann nach etwa drei bis vier Wochen fest­ge­stellt wer­den, ob der Ziel­wert erreicht wurde. „Eine Dosis­er­hö­hung ist nur dann sinn­voll, wenn der Wert knapp am Ziel ist, da es kaum mehr zu addi­ti­ven Effek­ten kommt, die Neben­wir­kun­gen aber enorm stei­gen“, betont der Experte. Ist das Ziel noch weit ent­fernt, ist ein Kom­bi­na­ti­ons­prä­pa­rat besser.

Dis­kus­sion über Zielwerte

Die Blut­druck­ziel­werte sind der­zeit in Dis­kus­sion: „Lange galt unter 140/​90 als aus­rei­chend. Aktu­el­lere Stu­dien zei­gen aber einen signi­fi­kan­ten Rück­gang der Mor­bi­di­tät und Mor­ta­li­tät bei einer Sen­kung des systo­li­schen Blut­druck­werts auf 120“, sagt Mau­rer. Neben dem Ziel­wert sollte auch die Ver­träg­lich­keit des jewei­li­gen Prä­pa­rats berück­sich­tigt wer­den: „Wenn zwar der Blut­druck aus­rei­chend gesenkt wird, aber ein Pati­ent durch Cal­ci­um­ant­ago­nis­ten Bein­ödeme bekommt, dann sollte die Klasse gewech­selt wer­den“, erläu­tert Mayer. So seien Pati­en­ten leich­ter motivierbar.

Aller­dings ist es nicht immer rea­lis­tisch, den Ziel­wert zu errei­chen. „Wenn ein Pati­ent bereits lange hyper­ton ist, lässt sich der Blut­druck in man­chen Fäl­len nicht so leicht ohne Neben­wir­kun­gen sen­ken“, stellt Mau­rer fest. Sei­nen Aus­sa­gen zufolge sollte jedoch ein Wert von unter 140/​90 erreicht werden.

Bei einer the­ra­pie­re­sis­ten­ten Hyper­to­nie – also trotz Drei­fach-Kom­bi­na­tion und nicht-medi­ka­men­tö­ser The­ra­pie – muss eine Abklä­rung bezüg­lich einer sekun­dä­ren Hyper­to­nie erfol­gen. „Wenn Pati­en­ten aus dem nor­ma­len kli­ni­schen Schema aus­rei­ßen, also einen plötz­li­chen dras­ti­schen Blut­druck­an­stieg von etwa 30 bis 40 mmHg inner­halb von nur ein paar Mona­ten haben, oder die Pati­en­ten noch jung sind, liegt immer ein Ver­dacht auf eine sekun­däre Hyper­to­nie vor“, erklärt Mayer. Häu­fige Ursa­chen dafür sind eine Nie­ren­ar­te­rien­s­tenose, ein CONN-Syn­drom, oder eine Schild­drü­sen­über­funk­tion. Ein Phäo­chro­mo­zy­tom hin­ge­gen kommt sehr sel­ten vor. 

Für the­ra­pie­re­sis­tente For­men der essen­ti­el­len Hyper­to­nie wird expe­ri­men­tell eine Nie­ren­ar­te­ri­en­ab­la­tion ein­ge­setzt. Durch die Schä­di­gung von rena­len Ner­ven­fa­sern des Sym­pa­thi­kus soll eine Blut­druck­sen­kung erreicht wer­den kön­nen. „Die ers­ten Stu­dien waren ent­täu­schend. Es bringt nicht sehr viel, aber es sollte noch wei­ter erforscht wer­den“, stellt Mau­rer fest.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 8 /​25.04.2016