Karzinome im HNO-Bereich: HPV als Hauptverursacher

10.09.2016 | Medizin

Mittlerweile ist mehr als die Hälfte der Karzinome im Oropharynx HPV-induziert, während die Zahl der durch Alkohol und Rauchen verursachten Karzinome in diesem Bereich stagniert. Das erfordert ein Umdenken in Bezug auf die Risikogruppen. Von Marlene Weinzierl

In Österreich werden laut Statistik Austria jährlich etwa 1.000 Hals-, Nasen-, Ohrentumore diagnostiziert. Die tatsächliche Zahl der Betroffenen dürfte höher sein, sagt Univ. Prof. Dietmar Thurnher von der HNO-Universitätsklinik der Medizinischen Universität Graz. Dies hängt damit zusammen, dass laut Thurnher „nur“ rund 80 Prozent aller Patienten von den HNOKliniken gemeldet werden; Haut-, Kieferoder Schilddrüsentumore beispielsweise werden meist von Spezialisten des jeweiligen Fachgebietes betreut. „Melanome im Kopf- und Halsbereich werden zumeist von Dermatologen, bei Metastasierung etwa in die Ohrspeicheldrüse hingegen von HNO-Ärzten behandelt“, erläutert der Experte an einem Beispiel. Die häufigsten Tumoren entstehen im Rachen und im Kehlkopf; aber auch Mundhöhle, Zunge, obere Speiseröhre, Nasenhaupthöhlen und Nasennebenhöhlen sowie der Gehörgang können betroffen sein.

Männer sind häufiger von HNO-Tumoren betroffen. Doch während die Zahl der Tabak-induzierten HNO-Karzinome bei Männern rückläufig ist, leiden immer mehr Frauen daran. Thurnher etwa berichtet, dass von all den Patienten mit einem Kehlkopfkarzinom, die er betreut hat, kein einziger Nichtraucher war. Zweiter großer Risikofaktor für die Entstehung von HNOKarzinomen ist Alkohol. In Kombination mit Rauchen kommt es zu einem hochsynergistischen karzinogenen Effekt, da Alkohol vermutlich als Lösungsmittel für die Karzinogene des Tabaks fungiert.

HPV-Karzinome steigende Tendenz

Allerdings erkranken auch immer häufiger Menschen außerhalb dieser Risikogruppen: Humane Papillomaviren (HPV), die bis dato vor allem mit der Entstehung von Zervixkarzinomen in Verbindung gebracht wurden, spielen ebenso eine Rolle bei der Entstehung von HNO-Tumoren (siehe Kasten). Mittlerweile ist mehr als die Hälfte der Karzinome im Oropharynx HPV-induziert, wobei regionale Unterschiede im Zusammenhang mit dem Sexualverhalten bemerkt werden, berichtet Assoz. Prof. Markus Brunner von der Universitätsklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten der Medizinischen Universität Wien. Aufgrund der steigenden Tendenz geht man in den USA davon aus, dass die Zahl der HPV-assoziierten Mund-Rachen-Karzinome im Jahr 2020 bei beiden Geschlechtern die Zahl der Zervixkarzinome übersteigen wird. Der typische Patient mit einem HPV-positiven HNO-Karzinom ist um die 40 Jahre alt – oder auch jünger, und hat damit ein niedrigeres Alter als der durchschnittliche durch Alkohol- und Tabakmissbrauch erkrankte HNO-Tumorpatient. Männer sind häufiger davon betroffen.

Diese Tumore sind noch „relativ schlecht“ (Brunner) erforscht und weisen eine jährliche Steigerungsrate von etwa fünf Prozent auf. Im Vergleich zu Zervixkarzinomen können keine klaren Vorstufen im Zuge der Karzinogenese definiert werden. Brunner: „Vorläuferläsionen treten nicht systematisch auf und sind nicht so einfach wie bei Zervixkarzinomen mit einem Bürstenabstrich zu testen.“ HPV-Viren, allen voran die HPV-Serotypen 16 und 18, besitzen eine starke Spezifität für den Oropharynx, der reich an lymphatischem Gewebe ist. Die Viren dringen sehr leicht in das Epithel der Tonsillenkrypten ein. Sie können verschwinden, ohne eine Reaktion des Immunsystems hervorzurufen; verursachen jedoch relativ häufig Infektionen und führen bei einem kleinen Teil der Betroffenen zu Entstehung eines Rachenkarzinoms. Deswegen gehört bereits seit einigen Jahren die HPV-Diagnostik zu den Routineuntersuchungen bei Rachentumoren.

Unterschiede bei therapeutischer Dosis?

Da Patienten mit einem HPV-positiven Tumor im HNO-Bereich sehr gute Prognosen aufweisen, gibt es Überlegungen, die therapeutische Dosis von jener der Patienten mit einem Tumor anderer Genese zu entkoppeln. In klinischen Studien wird derzeit geprüft, ob der Patient durch eine weniger intensive Therapie (schwächere Dosis, weniger radikale Operation) bei gleichbleibendem Therapieerfolg schonender behandelt werden kann.

Exakte Daten zur Latenzzeit von HNO-Tumoren gibt es nicht. Sie entstehen vermutlich über Jahrzehnte hinweg, wie die Experten betonen. In 90 bis 95 Prozent der Fälle handelt es sich um histologisch einfach zu verifizierende Plattenepithelkarzinome. Eine Ausnahme bilden die Speicheldrüsen, die verschiedene Tumorentitäten ausbilden können, insgesamt jedoch eine „absolute Minderheit“ darstellen, sagt Thurnher. Große Unterschiede gibt es allerdings in der ursächlichen Genese: Für die klassischen durch Rauchen und/oder Alkohol induzierten HNO-Tumoren sind multiple Defekte in verschiedenen Tumorsuppressor-Genen verantwortlich, weshalb „die Heilungsraten relativ einheitlich nicht sehr groß sind“, wie Brunner erklärt. Die meist klar eingrenzbaren Veränderungen bei HPVinduzierten HNO-Tumoren sind hingegen bekannt, wodurch abhängig vom Stadium hervorragende Heilungsraten von bis zu 90 Prozent erzielt werden könnten.

Die Symptomatik ist je nach Lokalisation des Tumors unterschiedlich (siehe Kasten). „Langsam kommt bei der Diagnostik von HNO-Karzinomen nach der PET/CT auch die PET/MRT zum Einsatz“, erläutert Thurnher. Genauere Daten hinsichtlich der Vorteile dieser Methode bei HNO-Tumoren ließen allerdings noch auf sich warten. Die klinische Untersuchung inklusive Endoskopie, die bei zu großer Belastung in Vollnarkose erfolgt (Panendoskopie), bleibt nach wie vor die wichtigste Maßnahme, so die Experten unisono. Sie gibt Aufschluss darüber, ob tatsächlich ein Malignom vorliegt, eine Biopsie erforderlich ist und durchgeführt werden kann und welche Größe und Ausdehnung der Tumor besitzt. Auch kann auf diese Weise ein Zweittumor ausgeschlossen werden. Thurnher dazu: „Speziell das durch toxische Einflüsse hervorgerufene Kopf-Hals-Karzinom hat in einem bis zu mehreren Prozent an einer anderen Stelle ein Zweitkarzinom.“ So kann ein Tumor an der Zunge durchaus von einer Neubildung im Kehlkopf begleitet werden, weshalb eine Panendoskopie in jedem Fall anzuraten ist.

Entscheidend Lokalisation

Brunner weist darauf hin, dass sich das therapeutische Vorgehen sowohl chirurgisch als auch konservativ je nach Lokalisation des Tumors unterscheiden. Regionen, die nur wenige Millimeter auseinander liegen, weisen vollkommen verschiedene Prognosen auf und erfordern unterschiedliche Therapien. Dies hängt mit den funktionellen Unterschieden und den je nach Lokalisation verschiedenen, von Absiedelungen betroffenen Lymphknotenregionen zusammen. Neben der chirurgischen Entfernung kann eine Operation auch endolaryngeal mittels Laser oder auch via Roboter-Chirurgie erfolgen. „Bei kleineren Tumoren schlägt die Operation mit anschließender Bestrahlung alle anderen zur Verfügung stehenden Therapieverfahren“, weiß Thurnher. Die postoperative Strahlentherapie in Kombination mit einer Antikörper-Therapie ist der primären Radiochemotherapie überlegen.

Allerdings kann es vorkommen, dass ein Patient trotz eines gut operablen Karzinoms nicht für eine Operation geeignet ist und konservativ behandelt wird – etwa wenn der Betroffene an einer schweren Lebererkrankung, an Endokrinopathien wie Diabetes mellitus oder einer schweren Lungenerkrankung wie COPD leidet. Auch anhaltender Tabakkonsum ist eine Kontraindikation: Rauchen hat einen hochsignifikanten Einfluss auf das Auftreten eines Rezidivs nach einer Operation. Vor einer Operation muss auch der Ernährungszustand des Patienten geprüft werden. „Aufgrund einseitiger oder sehr flüssiger Nahrungsaufnahme sind die Betroffenen vielfach mangelernährt“, berichtet Thurnher. Eine zehnprozentige Zunahme des Körpergewichtes für einen Zeitraum von zehn Tagen vor Beginn der Therapie verhindert zehn Prozent der Komplikationen. Ist eine Operation nicht möglich, erhält der Patient für gewöhnlich eine Radiochemotherapie. Wenn keine klassische Chemotherapie verabreicht werden kann, erhalten die Patienten Cetuximab.

Symptome

Mögliche Symptome bei HNO-Tumoren:

  • Schwellungen im Halsbereich
  • Fremdkörpergefühl im Hals
  • Schluckstörungen
  • Heiserkeit über mehrere Wochen hinweg
  • Schmerzen, die ins Ohr ausstrahlen
  • Ständiger Husten, manchmal mit blutigem Auswurf
  • Schmerzen und Kratzen im Hals
  • Knotenbildung am Hals
  • Lymphknotenschwellungen

Treten diese Symptome über einen Zeitraum von mehreren Wochen hinweg auf, kann dies ein Indiz für ein HNO-Karzinom sein. Tumoren in der Mundhöhle sind selten benign. Der Verdacht auf ein Karzinom an den Stimmlippen (andauernde Heiserkeit) oder an der Zunge (Blickdiagnose: zerklüftetes hartes Areal; unruhige, ulzerierte Oberfläche mit zeitweiligem Bluten) kann manchmal bereits vom Allgemeinmediziner geäußert werden.

HPV-induzierte Tumore verursachen zumeist geringe Beschwerden. Kleine Primärtumore werden häufig erst durch das Auftreten von großen Lymphknotenmetastasen entdeckt; die Heilungschancen sind dennoch sehr gut.

Künftige Therapieoptionen

Roboter-Chirurgie: Die endoskopische Laseroperation wurde in den USA durch die transorale Roboter-Chirurgie ersetzt. Dabei werden Roboterarme in den Mund des Patienten eingebracht und über eine Steuerungskonsole bedient. Solche Geräte gibt es auch in Österreich an einigen Kliniken. Sie befinden sich jedoch noch in der Weiterentwicklung und finden laut Univ. Prof. Dietmar Thurnher hierzulande nur beschränkt Anwendung. Der Einsatz erfolgt vorzugsweise bei ausgewählten Rachenkarzinomen.

Immuntherapie: Als Alternative zur klassischen Chemotherapie können immunmodulierende Antikörper verabreicht werden. Diese neue Generation von Antikörpern ist bei Plattenepithelkarzinomen, die für ihre starke Immunsuppression bekannt sind, „sehr vielversprechend, nicht nur bei HNO-Tumoren“, sagt Thurnher. Das spiegelt sich auch in den zahlreichen Studien wieder, die aktuell laufen. Mit einer ersten Zulassung von immunmodulierenden Antikörpern speziell für HNO-Tumore in Österreich wird in den nächsten Monaten gerechnet.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 17 / 10.09.2016