Herzinsuffizienz: Die große Herausforderung

10.09.2016 | Medizin

In den letzten 30 Jahren hat sich die Zahl der Menschen, die wegen Herzinsuffizienz stationär behandelt werden, verdreifacht. Ob die Inzidenz der Herzinsuffizienz zunimmt, ist umstritten; die Prävalenz steigt aber eindeutig, wie Experten bei einem Round Table der ÖÄZ betonten. Von Marion Huber

Die Herzinsuffizienz ist zu einer der größten Herausforderungen in der Kardiologie geworden“, sagt Deddo Mörtl, Leiter der Arbeitsgruppe Herzinsuffizienz der Österreichischen Kardiologischen Gesellschaft bei einem von der ÖÄZ veranstalteten Experten-Round Table. „Weil wir heute bei der Behandlung des Myokardinfarkts sehr erfolgreich sind und die Sterberate so niedrig ist, steigt die Häufigkeit der Herzinsuffizienz als Folgeerkrankung“, lautet seine Erklärung für die steigende Zahl an Betroffenen. „Relativ gesehen hat der Myokardinfarkt seinen Schrecken verloren“, stimmt Univ. Doz. Franz Xaver Roithinger, Präsident der Österreichischen Kardiologischen Gesellschaft, zu. In der Akutsituation ist die Spitalssterberate einer akuten Herzinsuffizienz und eines Myokardinfarkts nahezu identisch; aber: „Hat man den Infarkt stabilisiert, hat er fast keine Sterberate mehr, die Herzinsuffizienz aber eine fünffach so hohe“, sagt Roithinger. Bei einem Myokardinfarkt sei die Therapie klar, es gäbe gibt viele Klasse 1A-Indikationen, aber bei einer akuten Herzinsuffizienz „tappen wir im Dunkeln“, erklärt der Kardiologe.

Prävalenz steigt

„Auch wenn umstritten ist, ob die Inzidenz der Herzinsuffizienz zunimmt, die Prävalenz steigt eindeutig“, weiß Mörtl, der in der Klinischen Abteilung für Innere Medizin 3 am Universitätsklinikum St. Pölten tätig ist. Zur Verdeutlichung: In den letzten drei Jahrzehnten hat sich die Zahl der Menschen, die wegen Herzinsuffizienz stationär behandelt werden, verdreifacht. Tendenz steigend. Die Bevölkerungspyramide trägt das Ihre dazu bei: Gibt es immer mehr ältere Menschen, gibt es auch immer mehr Herzinsuffizienz- Patienten. Immerhin sind 80 Prozent der Betroffenen über 65 Jahre alt. Auch Lebensstil-Faktoren wie Bewegungsmangel und Übergewicht gelten allesamt als Risikofaktoren für Herzinsuffizienz. Für Christoph Dachs, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Allgemeinmedizin (ÖGAM), sind daher jene Patienten „potentiell“ gefährdet, die ein hohes koronares Risiko haben, an Hypertonie, Diabetes mellitus oder Hypercholesterinämie leiden und Raucher sind. Ein Hausarzt müsste etwa dann an eine Herzinsuffizienz denken, wenn ein Patient berichtet, dass er nur noch schwer Stiegen steigen könne und kaum Luft bekomme. „Da sollten alle Alarmglocken läuten und man sollte in Richtung Herzinsuffizienz abklären“, so Dachs, der seit 1990 als Allgemeinmediziner tätig ist.

Zwei Drittel aller Herzinsuffizienz-Patienten haben eine koronare Herzkrankheit und „bei den meisten von ihnen ist das auch die Ursache für die Herzinsuffizienz“, erklärt Mörtl. An erster Stelle stehe der Myokardinfarkt; er ist vermutlich für rund 40 Prozent der Herzinsuffizienzen verantwortlich. Zweithäufigste Ursache ist die Hypertonie, die entweder direkt zur Herzinsuffizienz oder indirekt über den Myokardinfarkt zur Insuffizienz führt. Diabetes mellitus wiederum verursacht eher eine Herzinsuffizienz mit erhaltener Pumpfunktion. Zu den selteneren Ursachen zählen laut Mörtl Chemotherapie, Strahlentherapie, virale Myokarditiden und auch peripartale Ursachen.

In der Ordination eines Allgemeinmediziners steht in der Regel keine spezielle technische Ausstattung für die Diagnose „Herzinsuffizienz“ zur Verfügung. Anhand einer Anamnese und einer körperlichen Untersuchung könne aber laut Dachs ein Großteil der Verdachtsdiagnosen gestellt werden. „Unter den Allgemeinmedizinern ist das Bewusstsein heute groß, früh einen Internisten beizuziehen“, sagt er. Dort folgt bei Verdacht auf Herzinsuffizienz zur Diagnose ein Algorithmus aus EKG, Thorax- Röntgen (v.a. bei akutem Beginn) sowie die Bestimmung von BNP/NT-pro BNP und Echokardiographie.

Dominante Marker

Natriuretische Peptide haben als prognostische Marker für Herzinsuffizienz durch die neuen Guidelines einen „dominanten Stellenwert“ (Mörtl) eingenommen. Obwohl man sie eigentlich seit den 1980er Jahren kennt, war ihr diagnostischer Wert zunächst nicht bekannt. Heute weiß man: Bei einem BNP-Wert <35 pg/ml beziehungsweise einem NT-proBNPWert <125 pg/ml kann man eine Herzinsuffizienz praktisch ausschließen. Sind die Werte erhöht, folgt in einem nächsten Schritt ein Herzultraschall, um die Herzinsuffizienz zu bestätigen. „Ein genialer Parameter“, wie Mörtl den BNP-Wert bezeichnet. Die Experten sind einhellig einer Meinung, dass es dem Gesundheitssystem Kosten sparen würde, wenn auch niedergelassene Allgemeinmediziner – im klaren Rahmen von Algorithmen und begründbaren Kriterien – einen NT-proBNPTest durchführen könnten. „Damit könnte man sich weitere Untersuchungen ersparen“, konstatieren die Experten. Im Spital hängt das Procedere im Aufnahmeverfahren davon ab, ob der Herzinsuffizienz-Patient akut über die Notaufnahme kommt oder ob er geplant und elektiv für einen späteren Zeitpunkt wiederbestellt werden kann. „Für beide Fälle gibt es klare Algorithmen, wie diagnostisch und therapeutisch vorzugehen ist“, erklärt Mörtl. Im Endeffekt werden auch die meisten Patienten mit akuten Beschwerden nach der Stabilisierung zu chronisch kranken Patienten. Ein Großteil dieser Patienten mit einer gut eingestellten und behandelten Herzinsuffizienz wird langfristig vom Allgemeinmediziner betreut. Denn eines – darin sind sich die Experten einig – steht außer Zweifel: Es können nicht alle Patienten im Krankenhaus gemanagt und betreut werden. Hospitalisierungen reduzieren

Schon heute fallen rund 70 Prozent aller Kosten durch Herzinsuffizienz im stationären Bereich an. Um die Hospitalisierungen zu reduzieren, müsste man „nur wenig Geld in die Hand nehmen“, ist Roithinger überzeugt. Seine Vorstellung: Die Bildung eines Netzwerks von Internisten, Hausarzt, Kardiologen etc. Mörtl ergänzt: „Im Krankenhaus brauche ich für einen komplexen Patienten ungefähr zehn Visiten, bis er gut betreut ist.“ Eigentlich könnte der Patient nach einer einmaligen stationären Behandlung aber innerhalb eines solchen Netzwerks weiterbetreut werden. Vereinfacht gesagt: „So könnten wir im Krankenhaus im Rahmen von 100 Visiten nicht nur zehn, sondern 100 Patienten behandeln.“

Die Behandlung der Herzinsuffizienz ist schwierig: Neben der mangelnden Vernetzung und der Komplexität der Erkrankung „kämpft man in der Praxis am meisten mit der Adherence“, weiß Dachs: „Patienten, die für den Arzt optimal eingestellt sind, haben durch Nebenwirkungen wie Schwindel und gesteigerten Harndrang oft eine eingeschränkte Lebensqualität und damit sinkt die Adherence enorm.“ Durch regelmäßige Kontrolle und mobile Betreuung – wie es in einem Disease Management Programm der Fall ist – könne man hier Verbesserungen erzielen. Für den Allgemeinmediziner besonders wichtig: dem Patienten immer wieder einfach und eindringlich zu erklären, wie wichtig seine Therapietreue ist. „So eine intensive Betreuung kann man im Krankenhaus gar nicht erreichen“, fügt Roithinger hinzu.

Grundsätzlich hat sich bei der Therapie von Patienten mit systolischer Herzinsuffizienz (HFrEF) – also einer linksventrikulären Pumpfunktion unter 40 Prozent – in den letzten Jahren viel getan: sowohl bei Medikamenten als auch Devices. „Die Betroffenen lassen sich heute über Jahre bei extrem guter Lebensqualität stabilisieren“, berichtet Mörtl. Die verbleibende Lebenszeit kann bei dieser Indikation durch eine medikamentöse Therapie verdreifacht werden. Roithinger betont, dass speziell Patienten mit HFrEF, für die es gute Therapieoptionen gibt, auch gut diagnostiziert werden. Probleme gibt es bei der diastolischen Herzinsuffizienz (HFpEF), „wo auch die therapeutischen Optionen begrenzt sind“. Bei HFpEF-Patienten – also jenen mit einer Auswurffraktion über 40 Prozent – sind die bisherigen Therapieversuche gescheitert. Mörtl dazu: „Keine der untersuchten Therapien konnte überzeugend eine signifikante Verbesserung des Outcomes zeigen.“

In Sachen Devices und Gerätetherapie berichtet Roithinger von der Resynchronisationstherapie (CRT). Sie ist eine Option für ausgewählte Patienten, nämlich jene mit Symptomen, reduzierter Pumpfunktion und Linksschenkelblock. „Besonders profitieren jene mit Kammerkomplexbreite über 150 Millisekunden.“ Von einem implantierbaren Kardioverter/Defibrillator (ICD) wiederum profitieren Patienten mit reduzierter linksventrikulärer Funktion und Symptomen einer Herzinsuffizienz.

Bei der medikamentösen Therapie gibt es seit vielen Jahren drei Medikamentenklassen mit einer Klasse 1A-Indikation: ACE-Hemmer, Betablocker und Mineralkortikoid- Rezeptor-Antagonisten (MRA). Mit ARNI (Angiotensin-Rezeptor-Neprilysin- Inhibitoren) gibt es zum ersten Mal seit zehn Jahren einen neuen Therapieansatz, der die Gesamtsterberate reduziert und auch alle anderen Endpunkte wie Lebensqualität und Hospitalisierungsrate verbessert. Im bisher größten Herzinsuffizienz- Trial „PARADIGM-HF“ wurde die Therapie mit ARNI – genauer LCZ696 oder Sacubitril/ Valsartan – mit dem ACE-Hemmer Enalapril verglichen. In allen Endpunkten hat ARNI eindeutige Vorteile gezeigt. Das Wirkprinzip von Sacubitril/Valsartan basiert nicht nur auf der etablierten Blockade des Renin-Angiotensin-Aldosteron- Systems durch Valsartan sondern auch auf der Inhibition von Neprilysin, was den Abbau von natriuretischen Peptiden verhindert. Mörtl ist überzeugt: „ARNI wird bei vielen Herzinsuffizienz-Patienten neuer Standard werden und die ACE-Hemmer verdrängen.“

Zahlen zur Herzinsuffizienz

Allein in Österreich könnten rund 250.000 bis 300.000 Menschen von Herzinsuffizienz betroffen sein, in Europa etwa 14 Millionen Menschen. Diese Zahl wird sich laut Experten bis zum Jahr 2020 voraussichtlich auf 30 Millionen erhöhen. Über die Dunkelziffer lässt sich nur spekulieren. Laut Deddo Mörtl, Leiter der Arbeitsgruppe Herzinsuffizienz der Österreichischen Kardiologischen Gesellschaft, sind darin aber meist Patienten mit diastolischer Herzinsuffizienz (HFpEF) erfasst, die oft schwieriger zu diagnostizieren sind. Auch ältere Patienten würden oft nicht richtig diagnostiziert, weil die Symptome als Alterserscheinung interpretiert werden.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 17 / 10.09.2016