Endo­pro­the­tik: In die rich­tige Rich­tung gelenkt

25.06.2016 | Medizin


Mini­mal-inva­sive Implan­ta­ti­ons­tech­ni­ken und qua­li­ta­tiv hoch­wer­tige Mate­ria­lien gehö­ren heute zum Stan­dard und sor­gen spe­zi­ell beim Hüft­ge­lenks­er­satz für hohe Pati­en­ten­zu­frie­den­heit. Auch müs­sen die Erwar­tun­gen des Pati­en­ten in die rich­tige Rich­tung gesteu­ert wer­den.

Von Mar­lene Weinzierl

Die Hüf­ten­do­pro­the­tik gilt als eine der erfolg­reichs­ten Ope­ra­tio­nen über­haupt: Bei sehr hoher Pati­en­ten­zu­frie­den­heit ist die Kom­pli­ka­ti­ons­rate nied­rig, berich­tet Univ. Prof. Michael Nog­ler von der Uni­ver­si­täts­kli­nik für Ortho­pä­die an der Med­Uni Inns­bruck. Und auch beim Knie­ge­lenk sor­gen neue Ver­fah­ren für ver­bes­serte Standzeiten.

Doch bei wel­chen Pati­en­ten sind künst­li­che Gelenke eigent­lich indi­ziert? Die Vor­be­din­gung für den Erhalt einer Pro­these ist eine kom­plette Gelenks­de­struk­tion auf­grund dege­ne­ra­ti­ver oder ent­zünd­li­cher Vor­gänge, „also das Vor­lie­gen einer akti­vier­ten Arthrose“, wie Univ. Prof. Rein­hard Wind­ha­ger von der Uni­ver­si­täts­kli­nik für Ortho­pä­die der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät Wien erklärt. Ebenso müss­ten ent­spre­chende Beschwer­den vom Gelenk aus­ge­hen sowie eine deut­li­che Funk­ti­ons­ein­schrän­kung vor­han­den sein, so Wind­ha­ger. Eine Reduk­tion der Geh­leis­tung auf unter eine Stunde sowie eine deut­li­che Bewe­gungs­ein­schrän­kung stel­len dem­nach eine Indi­ka­tion für ein künst­li­ches Gelenk dar.

Zuerst immer konservativ

Im Vor­feld habe immer – bis auf wenige Aus­nah­men wie zum Bei­spiel bei einer Hüft­ne­krose – eine kon­ser­va­tive The­ra­pie zu erfol­gen, betont Wind­ha­ger. Dazu gehö­ren laut Univ. Doz. Gerald Gru­ber von der Uni­ver­si­täts­kli­nik für Ortho­pä­die und ortho­pä­di­sche Chir­ur­gie an der Med­Uni Graz bei­spiels­weise Heil­gym­nas­tik, Gang­schu­lung, gege­be­nen­falls lokale Infil­tra­tio­nen und die Inan­spruch­nahme sämt­li­cher Heil­be­helfe. Wur­den all diese Mög­lich­kei­ten aus­ge­schöpft und der Zustand des Pati­en­ten hat sich auch durch kon­ser­va­tive Maß­nah­men nicht gebes­sert, sei ein Ersatz durch Endo­pro­the­sen ange­zeigt, so die Experten.

Man sollte die Ope­ra­tion nicht unnö­tig hin­aus­schie­ben: Das Errei­chen eines gewis­sen Lebens­al­ters sei keine zwin­gende Vor­aus­set­zung für eine zeit­ge­rechte Ope­ra­tion, zumal eine durch zu geringe Belas­tung des Gelenks ver­ur­sachte Atro­phie der Mus­ku­la­tur die Erho­lungs­phase nach einer Ope­ra­tion wesent­lich ver­län­gert, unter­streicht Wind­ha­ger. Beson­ders bei Men­schen, die noch im Berufs­le­ben ste­hen oder sport­lich aktiv sind, trägt ein künst­li­ches Gelenk ent­schei­dend zur Ver­bes­se­rung der Lebens­qua­li­tät bei. Nog­ler weist aller­dings dar­auf hin, dass der Pati­ent für ein zufrie­den­stel­len­des Ergeb­nis selbst von der Not­wen­dig­keit einer Ope­ra­tion über­zeugt sein muss und „nicht Gefahr lau­fen darf, sich von Ver­wand­ten oder Freun­den zum Ein­griff drän­gen zu lassen“.

Fort­schritte erzielt

In den ver­gan­ge­nen Jahr­zehn­ten habe man es geschafft, einer­seits die Ope­ra­ti­ons­tech­ni­ken bei Hüfte und Knie und ande­rer­seits die Qua­li­tät der ein­ge­setz­ten Mate­ria­lien stark zu ver­bes­sern, beton­ten die Exper­ten uni­sono. Spe­zi­ell im Bereich der Hüfte konn­ten die Weich­teil­schä­den durch mini­mal-inva­sive Implan­ta­ti­ons­tech­ni­ken mas­siv redu­ziert und die Gleit­paa­rungs­tech­nik ver­bes­sert wer­den, betont Wind­ha­ger. Das Opti­mum hin­sicht­lich Abrieb­fes­tig­keit und Abrieb­dau­er­haf­tig­keit ist Kera­mik-Kera­mik. Aber auch ein Kera­mik­kopf in Kom­bi­na­tion mit hoch­ver­netz­tem Poly­ethy­len lie­fere „exzel­lente Lang­zeit­er­geb­nisse“ (Wind­ha­ger) und finde heute viel brei­tere Anwen­dung als noch vor 15 Jah­ren. Bei den Hüft-Endo­pro­the­sen wie­derum ist es vor allem im Schaft­be­reich vie­ler Implan­tate zu Ver­bes­se­run­gen gekom­men. Implan­tate, die Mus­kel-scho­nend ein­ge­bracht wer­den kön­nen und dabei die glei­chen Lang­zeit­er­geb­nisse erzie­len wie etwa der kon­ven­tio­nelle zement­freie Zwey­mül­ler-Schaft wer­den grund­sätz­lich bevorzugt.

Bei den Knie-Endo­pro­the­sen konnte bei neuen Implan­ta­ten die Kine­ma­tik durch geo­me­tri­sche Ver­fei­ne­run­gen wesent­lich ver­bes­sert wer­den, so die Exper­ten. Durch die Neue­run­gen beim Pro­the­sen­de­sign wird weni­ger Abrieb erzeugt und eine etwas phy­sio­lo­gi­schere Gelenks­mo­bi­li­tät gewähr­leis­tet, sagt Gru­ber. Moderne Implan­tate, die das hin­tere Kreuz­band scho­nen, unter­schei­den sich enorm von den bis­he­ri­gen Model­len im Hin­blick auf die Sta­bi­li­tät in allen Beu­ge­stel­lun­gen, so Wind­ha­ger. Dadurch erwar­tet man sich auch eine län­gere Haltbarkeit.

Apro­pos Halt­bar­keit: Dank der Ent­wick­lun­gen in den ver­gan­ge­nen drei Jahr­zehn­ten ver­fü­gen alle heute am Markt ver­füg­ba­ren Pro­the­sen über einen guten Stan­dard. Abhän­gig von Implan­tat und der Ope­ra­ti­ons­tech­nik beträgt die Zehn-Jah­res-Über­le­bens­rate bei Hüft-Endo­pro­the­sen mehr als 96 Pro­zent, bei Knie-Endo­pro­the­sen rund 95 Pro­zent, sagt Windhager.

Je nach Alter und Akti­vi­täts­le­vel des Betrof­fe­nen sind jedoch Stand­zei­ten bis zu 20 Jah­ren und mehr mög­lich. Bei einer iso­lier­ten Abnüt­zung in einem Knie­ge­lenks­ab­schnitt sollte nicht auf die Mög­lich­keit eines Teil­ge­lenk­er­sat­zes ver­ges­sen wer­den, der eine rasche Mobi­li­sie­rung bei sehr guten Lang­zeit­er­geb­nis­sen erlaubt, ergänzt Gruber.

Unter­schiede bei der Zufriedenheit

Bei der Zufrie­den­heit mit der Hüft-Endo­pro­these bezie­hungs­weise Knie-Endo­pro­these gibt es Unter­schiede. Wie Wind­ha­ger aus der Pra­xis berich­tet, sind durch­schnitt­lich drei bis fünf Pro­zent aller Pati­en­ten nach einer Hüft-Endo­pro­these unzu­frie­den. Mit zehn bis 20 Pro­zent ist die Rate der Unzu­frie­de­nen nach einer Knie-Endo­pro­these wesent­lich höher. Gründe dafür sind das Fremd­kör­per­ge­fühl; wei­ters kommt es nach einer Knie-Ope­ra­tion wesent­lich häu­fi­ger zu Beschwer­den. Wind­ha­ger wei­ter: „Daher ist es wich­tig, den Pati­en­ten bereits vor der Ope­ra­tion dar­über zu infor­mie­ren.“ Mit­un­ter wür­den bei zement­freien Hüft-Implan­ta­ten bei gewis­sen Designs Schaft­schmer­zen registriert.

Ent­schei­dend für die Pati­en­ten­zu­frie­den­heit ist dar­über hin­aus die Aus­gangs­lage vor der Ope­ra­tion: Ein Pati­ent, der vor der Ope­ra­tion wenig Beschwer­den hat, ist mit etwa­igen Rest-Beschwer­den nach der Ope­ra­tion ungleich unzu­frie­de­ner als Pati­en­ten, die vor­her unter star­ken Schmer­zen zu lei­den hat­ten. „Die rich­tige Indi­ka­ti­ons­stel­lung ist daher wesent­lich“, unter­streicht Wind­ha­ger. Und Nog­ler ergänzt: „Man muss die Erwar­tun­gen der Pati­en­ten rea­lis­tisch steuern.“

Endo­pro­these und Sport

Gene­rell sei die Fähig­keit, Sport zu betrei­ben, mit einem künst­li­chen Hüft­ge­lenk höher als mit einem künst­li­chen Knie­ge­lenk, betont Wind­ha­ger. Die Hüft-Endo­pro­these gestatte – in mode­ra­ter Form – auch län­gere Belas­tun­gen wie zum Bei­spiel Jog­gen. High-Impact-Sport­ar­ten wie Squash, Ten­nis oder Fuß­ball soll­ten gemie­den wer­den ebenso wie grö­ßere Stoß- und Sprung­be­las­tun­gen. Sowohl für Per­so­nen mit einer Hüft-Endo­pro­these als auch mit einer Knie-Endo­pro­these sind zykli­sche Sport­ar­ten gut geeig­net: Wal­ken, Rad­fah­ren, Schwim­men, Wan­dern, Golf, ent­spann­tes Ten­nis. Schi­fah­ren hängt vom Sta­bi­li­täts­ge­fühl und vom Niveau des Schi­fah­rens vor dem Ein­griff ab.

Kom­pli­ka­tio­nen

Infek­tion
Die schwer­wie­gendste Kom­pli­ka­tion, die Infek­tion, tritt laut Wind­ha­ger bei der Hüft-Endo­pro­these bei etwa 0,5 Pro­zent der Betrof­fe­nen auf, bei Knie-Endo­pro­the­sen in rund 0,5 bis 1,5 Pro­zent der Fälle. Re-Ope­ra­tio­nen kön­nen die Folge sein. Mit der län­ge­ren Halt­bar­keit einer Endo­pro­these erhöht sich auch die Tra­ge­zeit, wodurch ganz gene­rell die Wahr­schein­lich­keit für eine Infek­tion durch Wun­den oder Ent­zün­dungs­herde steigt.
Luxa­tion
In den ers­ten drei Mona­ten nach der Ope­ra­tion kann es bedingt durch gerin­gere Mus­kel­ak­ti­vi­tät bezie­hungs­weise feh­lende Sta­bi­li­sie­rung der Gelenks­kap­sel zu einer Luxa­tion im Hüft­be­reich kom­men. Nach der Ver­nar­bung ist die Sicher­heit sehr hoch. Durch neue Gleit­paa­run­gen mit gro­ßen Köp­fen konn­ten die Luxa­ti­ons­ra­ten gesenkt wer­den. Heute sind vor­wie­gend Köpfe mit einem Durch­mes­ser von min­des­tens 32 mm in Ver­wen­dung. Beim Knie­ge­lenk kommt es nur im Fall von mobi­len Inlays bei einem Trauma zur Luxa­tion.
Frak­tu­ren
Das Risiko einer Frak­tur ist mini­mal, wenn das Gewebe gut ver­wach­sen und die Pro­these gut in den Kno­chen inte­griert ist. Ein erhöh­tes Risiko haben Men­schen, die an Osteo­po­rose lei­den, bei denen mit­un­ter zemen­tierte Implan­tate infrage kom­men.
Abnut­zung
Abnüt­zungs­er­schei­nun­gen tre­ten bei allen Mate­ria­lien auf. Sie sind jedoch mitt­ler­weile sehr gering.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 12 /​25.06.2016