Depressionen: Therapie-resistent

25.10.2016 | Medizin


Bis zu 20 Prozent aller Menschen, die an einer Depression leiden, sind therapieresistent. Gründe dafür sind insuffiziente Vorbehandlungen, Dosierungsfehler und Komorbiditäten. Davon zu unterscheiden ist die Pseudo-Therapieresistenz, wenn der Betroffene beispielsweise von sich aus das Medikament zu früh absetzt. Von Marlene Weinzierl

Etwa 60 Prozent der Patienten mit Depressionen sprechen gut auf eine Erstbehandlung an, erreichen jedoch keine Remission mit völliger Symptomfreiheit, berichtet Univ. Prof. Wolfgang Fleischhacker vom Department für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik der Medizinischen Universität Innsbruck. Ein Drittel der Patienten wiederum spricht nur ungenügend auf die Therapie an. Charakteristisch dafür sind eine verbesserte Stimmung der Patienten bei nach wie vor vorhandenen somatischen Beschwerden und Angstzuständen, wie Univ. Prof. Siegfried Kasper von der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie am AKH Wien erklärt. Eine besondere Gruppe stellen Patienten mit einer komplexen oder therapieresistenten Depression (TRD) dar: Es handelt sich dabei um Patienten, die auf zwei verschiedene Antidepressiva, die in ausreichender Dosis mindestens vier bis sechs Wochen lang verabreicht wurden, nicht ansprechen. In Österreich sind zwischen zehn (Kasper) und 20 (Fleischhacker) Prozent der Menschen, die an einer Depression leiden, davon betroffen.

Skalen zur Differenzierung

Eine Differenzierung zwischen Therapieresistenz, partiellem Ansprechen, Ansprechen und Remission ist auch mit Hilfe von Skalen möglich. Zu den gängigsten gehören die Hamilton-Depressionsskala (HAMD) und die Montgomery-Asberg-Depressionsskala (MADRS). Darauf basierend handelt es sich bei einer Verbesserung von weniger als 25 Prozent um ein klassisches Nicht-Ansprechen, also um eine Therapieresistenz. Vor allem ältere Patienten weisen aufgrund der Multimorbidität insgesamt ein schlechteres Ansprechen auf. Denn die Wechselwirkungen von unterschiedlichen Medikamenten können beispielsweise einen beschleunigten Abbau des Antidepressivums beziehungsweise auch eine nicht erwünschte Erhöhung des Plasmaspiegels zur Folge haben. Doch auch jüngere Patienten mit körperlichen oder psychiatrischen Komorbiditäten – besonders jene, die bereits mehrere depressive Episoden in der Anamnese aufweisen – haben laut Fleischhacker generell ein erhöhtes Risiko, dass die Therapie nicht ausreichend anspricht.

Beide Experten weisen darauf hin, dass es in vielen Fällen einer vermeintlichen Therapieresistenz jedoch schlicht und einfach daran liegt, dass das ausgewählte Antidepressivum nicht ausreichend lange gegeben oder nicht hoch genug dosiert wurde. Dies kann verschiedene Gründe haben. Oft nimmt der Patient die Medikamente gar nicht oder nur unvollständig ein, weil der Erfolg zu lange auf sich warten lässt oder anfänglich nur Nebenwirkungen zu bemerken sind. Betroffene, die mehrmals den Arzt und/oder die Medikamente wechseln, beklagen die ausbleibende Wirkung und geraten in Verdacht, therapieresistent zu sein, „obwohl es sich in Wirklichkeit um eine Person handelt, die nie auch nur mit einem einzigen Medikament ausreichend und lange genug behandelt worden ist“, sagt Fleischhacker. Manchmal liegt die Ursache auch beim Verschreiber selbst: Möchte ein Arzt bei der Verschreibung eines Medikamentes die in der Fachinformation niedrigste Dosisempfehlung nicht überschreiten, kann es durchaus vorkommen, dass diese Dosis für den Patienten nicht ausreicht, um eine entsprechend hohe Konzentration im Blut zu erreichen. Außerdem kann es trotz anfänglichem Behandlungserfolg zu Rückfällen kommen; nämlich dann, wenn das Medikament „in der Hoffnung, geheilt zu sein, vom Patienten selbst frühzeitig abgesetzt wurde“, ergänzt Fleischhacker. Und weiter: „Man spricht in all diesen Fällen von einer ‚Pseudo-Therapieresistenz‘, weil bei der Gabe des richtigen Medikamentes in einer vernünftigen Dosierung und bei ausreichend langer Therapie auch der gewünschte Erfolg erzielt wird. Die Behandlungsresistenz löst sich dann bei adäquater Therapie nicht selten in Wohlgefallen auf.“

Ultrarapid Metabolizer

Ein Grund für eine tatsächliche Therapieresistenz kann auch sein, „dass manche Patienten ‚Ultrarapid Metabolizer‘ sind, welche die verabreichten Substanzen aufgrund ihrer genetischen Disposition zu rasch abbauen“, sagt Kasper. Ebenso besteht die Möglichkeit, dass das Zentralnervensystem beziehungsweise die relevanten Neurotransmitter-Transportersysteme nicht sensitiv genug sind, damit sich die Wirkung des Antidepressivums entfalten kann. Therapieresistente Depressionen neigen auch zur Chronifizierung mit allen damit verbundenen negativen Konsequenzen wie beispielsweise Verlust des Arbeitsplatzes, Partnerproblematik und erhöhtem Suizidrisiko.

„Wichtige Behandlungpartner“ sind den Aussagen der Experten zufolge Allgemeinmediziner: Sie sind meist die erste Anlaufstelle für Menschen mit Depressionen. Kasper dazu: „Eine Depression betrifft sehr viele Menschen und sollte so selbstverständlich wie Bluthochdruck behandelt werden – möglichst ohne den Versuch, einen Bogen darum zu machen.“ Ein Arzt-Patienten-Gespräch mit einer Aufklärung über den Behandlungsverlauf und die realistischen Erwartungen muss ebenso zum Standardrepertoire des Hausarztes gehören wie die medikamentöse Einstellung der Patienten. Bei Vorliegen einer Therapieresistenz, bei suizidalem Verhalten oder wenn der Patient psychotische Merkmale im Sinn einer wahnhaften Depression zeigt, ist eine Überweisung an den Facharzt ratsam.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 20 / 25.10.2016