Chro­nisch ent­zünd­li­che Darm­er­kran­kun­gen: Ver­än­derte Darm­flora: Ursa­che oder Folge?

25.03.2016 | Medizin

Zu Beginn ist oft die Unter­schei­dung zwi­schen M. Crohn und Coli­tis ulce­rosa nicht immer ganz klar; wes­we­gen in rund zehn Pro­zent der Fälle die vor­läu­fige Dia­gnose „Coli­tis inde­ter­mi­nata“ lau­tet. Ob die ver­än­derte Darm­flora bei Betrof­fe­nen Folge oder Ursa­che der Erkran­kung ist, ist noch unklar. Von Verena Isak

Die Dia­gnos­tik bei chro­nisch ent­zünd­li­chen Darm­er­kran­kun­gen rich­tet sich nach der vor­herr­schen­den kli­ni­schen Sym­pto­ma­tik. „Das Leit­sym­ptom der Coli­tis ulce­rosa ist blu­ti­ger Durch­fall, wobei mehr Blut als Stuhl aus­ge­schie­den wird“, erklärt Univ. Prof. Her­bert Tilg von der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät Inns­bruck. Wenn bei blu­ti­gen Durch­fäl­len, die län­ger als vier Wochen bestehen, auch noch die Fami­li­en­ana­mnese posi­tiv ist, sei die Dia­gnose Coli­tis ulce­rosa „sehr wahr­schein­lich“. Tilg wei­ter: „Es ist solange eine Coli­tis ulce­rosa, bis das Gegen­teil bewie­sen ist.“

Schwie­ri­ger gestal­tet sich die Dia­gnos­tik bei Mor­bus Crohn. „Mor­bus Crohn hat viele Gesich­ter“, so Tilg. Durch­fall und Bauch­schmer­zen füh­ren die Pati­en­ten oft zum Arzt. Aber auch unspe­zi­fi­sche Sym­ptome wie Schwä­che, Gewichts­ver­lust oder ein all­ge­mei­nes Krank­heits­ge­fühl tre­ten häu­fig auf.

Den­noch reicht die Ana­mnese allein für die Dia­gnose nicht aus. Diese setzt sich aus der Kli­nik, dem makro­sko­pi­schen Bild bei der Colo­no­sko­pie sowie bei Mor­bus Crohn even­tu­ell bei einer zusätz­li­chen Gas­tro­sko­pie und dem his­to­lo­gi­schen Befund zusam­men. „Die Coli­tis ulce­rosa beginnt typi­scher­weise im Bereich des dista­len Rek­tums und brei­tet sich nach pro­xi­mal aus, wobei die kom­plette Schleim­haut befal­len ist“, weiß Tilg. Der Darm zeich­net sich durch eine erhöhte Vul­nerabi­li­tät mit Kon­takt­blu­tun­gen aus.

Wie auch Coli­tis ulce­rosa prä­sen­tiert sich Mor­bus Crohn eher bei jun­gen Pati­en­ten, meist im drit­ten Lebens­jahr­zehnt. Bei Mor­bus Crohn herrscht jedoch ein ande­res Befalls­mus­ter vor. „Makro­sko­pisch erkenn­bar ist ein seg­men­ta­ler Befall mit gesun­den Abschnit­ten dazwi­schen“, erläu­tert Tilg. Prä­di­lek­ti­ons­stelle ist der ileoz­ö­kale Über­gang; prin­zi­pi­ell kann Mor­bus Crohn jedoch über­all im Gas­tro­in­testi­nal­trakt auf­tre­ten. Anders als bei Coli­tis ulce­rosa ist die kom­plette Darm­wand befal­len, wodurch es zu Kom­pli­ka­tio­nen in Form von Fis­teln und Steno­sen kom­men kann.

Trotz­dem kann anfangs nicht immer klar zwi­schen den bei­den Erkran­kun­gen dif­fe­ren­ziert wer­den – bei etwa zehn Pro­zent der Fälle lau­tet daher die vor­läu­fige Dia­gnose Coli­tis indeterminata. 

Ein wich­ti­ges Unter­schei­dungs­kri­te­rium zwi­schen funk­tio­nel­ler und ent­zünd­li­cher Genese der Erkran­kung ist die Cal­pro­tec­tin-Kon­zen­tra­tion im Stuhl. Neben erhöh­ten Ent­zün­dungs­pa­ra­me­tern im Blut ist bei chro­nisch ent­zünd­li­chen Darm­er­kran­kun­gen Cal­pro­tec­tin im Stuhl erhöht, beim Reiz­darm­syn­drom jedoch nicht. Auch Leber- und Pan­kreas­en­zyme sowie der Hae­moc­cult-Test sind bei funk­tio­nel­len Stö­run­gen im Normbereich.

Kri­te­rien für Reizdarmsyndrom

Das Reiz­darm­syn­drom, eine der häu­figs­ten Ursa­chen für gas­tro­in­testi­nale Beschwer­den, liegt gemäß den Rom-III-Kri­te­rien vor, wenn abdo­mi­nelle Beschwer­den an min­des­tens drei Tagen im Monat wäh­rend der letz­ten drei Monate mit Beginn ins­ge­samt vor mehr als sechs Mona­ten vor­lie­gen sowie min­des­tens zwei der fol­gen­den Kri­te­rien erfüllt sind: Bes­se­rung durch bezie­hungs­weise nach Stuhl­gang, der Beginn der Beschwer­den geht ein­her mit einer Ände­rung der Stuhl­fre­quenz oder Stuhl­kon­sis­tenz. Es wird zwi­schen einem Diarrhoe‑, einem Obs­ti­pa­ti­ons- und einem Misch­typ unter­schie­den. Die Über­ar­bei­tung der der­zei­tig noch gül­ti­gen Rom-III-Kri­te­rien wird im Mai die­ses Jah­res von der Ame­ri­can Gas­tro­en­te­ro­lo­gi­cal Asso­cia­tion (AGA) als Rom-IV-Kri­te­rien präsentiert.

Neben psy­cho­so­ma­ti­schen Ursa­chen wie etwa chro­ni­schem Stress, Angst­zu­stän­den, Depres­sio­nen oder trau­ma­ti­schen Erleb­nis­sen, deren Kor­re­la­tion durch die Kom­mu­ni­ka­tion des ente­r­alen mit dem zen­tra­len Ner­ven­sys­tems über die Brain-Gut-Axis zustande kommt, han­delt es sich in rund einem Vier­tel der Fälle um ein post-infek­tiö­ses Reiz­darm­syn­drom. „Nach einer infek­tiö­sen Erkran­kung wie zum Bei­spiel mit Sal­mo­nel­len oder einer län­ge­ren Behand­lung mit Anti­bio­tika und zusätz­lich chro­ni­schem Stress ist das Risiko für ein Reiz­darm­syn­drom erhöht“, führt Univ. Prof. Gabriele Moser von der Uni­ver­si­täts­kli­nik für Innere Medi­zin III am AKH Wien aus. „Tage­lange mas­sive Schmer­zen und eine gestörte Darm­flora füh­ren über das Bauch­hirn zu einer Sen­si­bi­li­sie­rung des Darms und der Per­son selbst“, betont die Exper­tin. Die­ser Mecha­nis­mus ist auch bei einer chro­nisch ent­zünd­li­chen Darm­er­kran­kung erkenn­bar. „Rund zehn bis 20 Pro­zent der Pati­en­ten mit einer Coli­tis ulce­rosa, die bereits über län­gere Zeit in Remis­sion ist, ent­wi­ckeln ein Reiz­darm­syn­drom“, sagt Tilg.

Das hat auch Aus­wir­kun­gen auf die Darm­flora. Moser dazu: „Die Diver­si­tät und Dichte der Darm­flora ist bei funk­tio­nel­len und ent­zünd­li­chen Darm­er­kran­kun­gen redu­ziert, bei Pati­en­ten mit chro­nisch ent­zünd­li­chen Darm­er­kran­kun­gen aber mehr als bei Pati­en­ten mit Reiz­darm­syn­drom. Der­zeit sei jedoch noch unklar, ob die Dys­biose die Ursa­che oder die Folge ist. Bei gesun­den Ver­wand­ten von Pati­en­ten mit chro­nisch ent­zünd­li­chen Darm­er­kran­kun­gen lässt sich eben­falls eine gering redu­zierte Diver­si­tät fest­stel­len. Auch psy­chi­sche Kom­po­nen­ten wie etwa Stress haben einen Ein­fluss auf die Zusam­men­set­zung der Darm­bak­te­rien. Basie­rend auf die­sen Beob­ach­tun­gen liegt der Fokus auf der Mikro­biom-For­schung. „Wel­che the­ra­peu­ti­schen Kon­se­quen­zen sich dar­aus erge­ben, muss noch erforscht wer­den“, betont Moser.

For­schun­gen über Gallensäureverlust

Ein wei­te­rer For­schungs­an­satz ist die Tat­sa­che, dass bei rund 20 Pro­zent der Pati­en­ten mit Reiz­darm­syn­drom ein erhöh­ter Gal­len­säu­re­ver­lust über den Stuhl beob­ach­tet wird. „Ob die Gal­len­säure-Aus­schei­dung kon­stant erhöht ist, und wel­che Fak­to­ren eine Rolle spie­len, müs­sen wir noch anhand von Stuhl­pro­ben, Ernäh­rungs­ge­wohn­hei­ten, Medi­ka­men­ten­ein­nah­men und Stress­pro­to­kol­len der Pati­en­ten her­aus­fin­den“, gibt Moser einen Ein­blick in der­zeit lau­fende Forschungsprojekte.

Die aktu­elle The­ra­pie des Reiz­darm­syn­droms besteht einer­seits aus der Lin­de­rung der Sym­ptome etwa durch Spas­mo­ly­tika wie zum Bei­spiel Mebe­ve­rin bei Bauch­krämp­fen, Lope­ra­mid oder Cho­le­s­ty­ra­min bei Durch­fäl­len sowie osmo­ti­schen Laxan­tien oder Linac­lo­tid bei Obs­ti­pa­tion. „Bei star­ken Schmer­zen sind nied­rig dosierte Psy­cho­phar­maka hilf­reich“, so Tilg. Auch eine Umstel­lung der Ernäh­rung kann bei man­chen Pati­en­ten bereits zur Bes­se­rung der Beschwer­den füh­ren. „Eine Fod­maparme Ernäh­rung, also das Weg­las­sen von fer­men­tier­tem Zucker, oder die Gabe von Pro­bio­tika kann eine posi­tive Wir­kung erzie­len“, ergänzt Moser.

Eine wei­tere Säule stellt die funk­tio­nelle The­ra­pie dar. „Vor allem bei schwe­ren For­men des Reiz­darm­syn­droms kom­men häu­fi­ger Angst­stö­run­gen vor“, berich­tet Moser aus der Pra­xis. In die­sem Fall kann eine Psy­cho­the­ra­pie zur Stei­ge­rung der Lebens­qua­li­tät bei­tra­gen. Eine wei­tere Behand­lungs­mög­lich­keit ist die bauch­ge­rich­tete Hyp­nose, mit der auch bei beson­ders schwe­ren, the­ra­pie­re­frak­tä­ren For­men „bemer­kens­werte Erfolge“ erzielt wer­den konnten.

Bei den chro­nisch ent­zünd­li­chen Darm­er­kran­kun­gen hängt die The­ra­pie vom Schwe­re­grad der Erkran­kung ab. „Vor allem bei schwe­ren For­men wird im aku­ten Schub Cor­ti­son als Kurz­zeit­the­ra­pie für etwa zwei Monate gege­ben“, erläu­tert Tilg. Die Erhal­tungs­the­ra­pie ist bei leich­te­ren For­men der Coli­tis ulce­rosa mit­tels 5‑Aminosalicylsäure mög­lich. Ansons­ten erfolgt sie – wie auch bei Mor­bus Crohn – mit Aza­thio­prin; in schwe­ren Fäl­len mit TNF-α-Inhi­bi­to­ren. Neuere The­ra­pie­an­sätze zie­len auf die Hem­mung von Adhä­si­ons­mo­le­kü­len ab. Vedo­li­zu­mab bei­spiels­weise ver­hin­dert die Ein­wan­de­rung von Lym­pho­zy­ten ins Darm­ge­webe. Für die Hem­mung von Zyto­ki­nen sind eben­falls neue Medi­ka­mente in Ent­wick­lung. „Inter­leu­kin-12-Ant­ago­nis­ten wer­den im Moment kli­nisch getes­tet und ver­mut­lich bald zuge­las­sen“, berich­tet Tilg. Auch die For­schung im Bereich der IL-23-Ant­ago­nis­ten sehe „sehr viel­ver­spre­chend“ aus.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 6 /​25.03.2016