Formkunst: Von Dreiecken und Kreisen

10.06.2016 | Horizonte

Dreiecke, Rhomben und Kuben, die zu komplexen Gebilden in Werken werden: Im Zeichenunterricht der Donaumonarchie wurde das Geometrische als das Formschöne gelehrt. Das Belvedere in Wien zeigt den roten Faden, der sich durch das Werk der Wiener Moderne und des Prager Kubismus zieht.
Von Marion Huber

Es ist der Zeichenunterricht in der Zeit der Donaumonarchie – die geometrische Trigonometrie und das Freihandzeichnen von Formen –, der die Werke der Wiener Moderne und des Prager Kubismus verbindet. Das Untere Belvedere in Wien stellt zur Zeit 280 Exponate der Formkunst aus – und zieht damit einen roten Faden von František Kupka zu anderen klingenden Namen wie Gustav Klimt, Oskar Kokoschka, Egon Schiele, Erika Giovanna Klien, Alois Bilek und Pablo Picasso.

Kupka und die bunten Formen

František Kupka wurde 1871 in Tschechien geboren. Um 1895 verschlägt es ihn nach Frankreich, wo er nach der Wende zum 20. Jahrhundert als erster Künstler vom Jugendstil zur Abstraktion findet. Inspiriert von Isaac Newtons Farbtheorie experimentiert er mit Farbspektren: Kreise in Lila, Blau, Gelb und Rot lassen Werke unter dem Begriff „Die Scheiben des Newton“ entstehen. Farbe spielt von da an in seinem Schaffen eine entscheidende Rolle. Kupka wird erst posthum weltweit anerkannt; heute sind seine Bilder auch in renommierten Museen wie dem Guggenheim und dem MoMa in New York oder dem Pariser Centre Pompidou zu finden.

Die Schaut stellt eine Verbindung her, die es auf den ersten Blick nicht unbedingt gibt: zwischen Künstlern wie dem tschechischen Maler František Kupka – er ist kaum einer Stilrichtung zuzuordnen – und den Malern der Wiener Secession oder des Prager Kubismus, die stets als Sonderentwicklungen angesehen wurden. „Der ganzheitliche Anspruch und die Reduktion des künstlerischen Ausdrucks auf die Form bilden hierbei die Beziehungspunkte zwischen den in Wien tätigen Formkünstlern und dem tschechischen Kubismus“, erklärt der Kurator der aktuellen Ausstellung, Alexander Klee.

Formen im Zeichenunterricht

Was all diese Namen verbindet, ist der Stellenwert von geometrischen Formen in ihren Werken. Wie erklärt sich das? Zeichnen hatte in der Donaumonarchie als Ausdrucksform eine besondere Bedeutung; das zeigt sich auch am damaligen Ausbildungssystem. Im Rahmen der Reformen im Bildungswesen wurde der verpflichtende, flächendeckend einheitliche Zeichenunterricht eingeführt; künstlerische Förderung war enorm wichtig. Auf Basis der geometrischen Trigonometrie – der Zerlegung in Dreiecke – lernten die Schüler das freihändige Zeichnen von rhombischen, kubischen und flächigen Formen; aus den geometrischen Grundformen wurden schließlich komplexe Gebilde und Bildschöpfungen geschaffen. Das geometrische Gebilde wurde als Grundlage des Formschönen gelehrt. Linien, Formen und Farben konnten schön sein, ohne einen Gegenstand abzubilden. Aus diesem Blickwinkel erscheinen die Werke vieler Künstler der Donaumonarchie in einem neuen Licht. Und daraus erklärt sich auch die Nähe der Wiener Formkünstler zu den tschechischen Kubisten.

In Wien war es vor allem die Secession, die die Verbreitung der Formkunst betrieb. Das Jahr 1897 gilt mit der Gründung der Wiener Secession unter der Führung von Gustav Klimt in der österreichischen Kunst als Geburtsstunde der Moderne. Ob Muster, Ornamente, geschwungene Linien oder geometrische Flächen – charakteristisch für die Formkunst ist die Bedeutung der Anordnung und des Fügens der Formen. So fügten die Künstler der Wiener Secession die geometrischen Formen zu ornamentalen Kompositionen und Flächen zusammen.

Der Wiener Kinetismus in den 1920er Jahren – entstanden in Franz Cizeks Kurs für „Ornamentale Formenlehre“ – stellt Formen und Farben in rotierender Bewegung dar. Es handelt sich um eine Mischung von kubistischen und futuristischen Stilelementen; dennoch herrscht eine strenge Formauffassung vor, die der Formkunst sehr nahe ist. Die Flächigkeit und die Zerlegung in Formen verweisen darauf. Dauerhaft hat sich der Kinetismus in Wien aber nicht etabliert.

Warum auch Pablo Picasso einen Platz in der Ausstellung findet – und sogar im Ausstellungstitel vorkommt? Der Gedanke dahinter ist, dass die tschechischen Kubisten besonders dem französischen Kubismus zugeneigt waren. Und es war Picasso, der gemeinsam mit Georges Braque um 1908 den Kubismus begründet hat. Kein Wunder, dass etwa das Werk „Zuschauer“ (1912) von Emil Filla – dem wichtigsten Vertreter des tschechischen Kubismus – deutliche Parallelen mit Picassos „Bildnis Fernande Olivier“ zeigt.

Kupka: teuerstes tschechisches Gemälde

Kupkas „Form in Blau“ („Shape of Blue“, 1913) erzielte bei einer Auktion im April 2012 den Rekordpreis von umgerechnet 2,3 Millionen Euro und war damit das teuerste je verkaufte Gemälde eines tschechischen Malers. Weil das Kulturministerium aber entschieden hatte, dass das Werk ein tschechisches Kulturdenkmal ist, durfte es das Land nicht verlassen. Auch der bis dahin gültige Rekordpreis wurde für ein Werk von Kupka erzielt: 2011 wurde seine „Bewegung“ („Pohyb“, 1913-1919) bei Sotheby‘s in London um mehr als 1,8 Millionen Euro erworben.

„Klimt, Kupka, Picasso und andere – Formkunst“

Bis 19. Juni 2016/Unteres Belvedere
Rennweg 6, 1030 Wien / www.belvedere.at

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 11 / 10.06.2016