Standpunkt – Vize-Präs. Karl Forstner: Passend gemachte Wahrheiten

15.12.2015 | Standpunkt

© AEK für Salzburg

Es besteht kein Zweifel: Wir stehen in allen Bereichen unserer Gesellschaft – getrieben durch die IT – inmitten einer stetig und rasant wachsenden Informationsflut. Allerdings haben wir weitgehend die Kontrolle darüber verloren, was uns erreicht und allzu häufig gestalten wir nicht mehr, was über uns bekannt ist, in der Folge mit anderen Daten vernetzt und letztlich genutzt wird. Die überwiegende Mehrheit in der Bevölkerung wirkt darüber nicht wesentlich beunruhigt oder scheint zumindest auf nationale und internationale Schutzregulative zu vertrauen.

Das Gesundheitswesen steht weltweit im besonderen Fokus der IT-Branche. Die Gründe dafür sind vielfältig. Neben dem zweifelsfrei für die Wirtschaft verlockenden ökonomischen Potential dieses Gesellschaftssegments sind es die bisher nicht oder kaum vorstellbaren Möglichkeiten in wissenschaftlicher, administrativer und technischer Hinsicht. Diese Entwicklungen werden – und dafür braucht man nichts Prophetisches an sich – auch die Arbeitswelt der Ärzteschaft entscheidend verändern.

Eine der bleibenden und in der Dimension zunehmenden Herausforderungen wird das Management dieser Informationsflut sein. Dies gilt im Besonderen für die Aktualisierung des sich immer schneller umwälzenden medizinischen Wissens. Ist es zunächst die Quantität der verfügbaren Informationen, die kaum bewältigbar scheint, ist die qualitative Bewertung oft noch fordernder. Für viele medizinische Themen und Problemstellungen sind daher systematisierte Analysen im Sinne der EBM heute verfügbar und in Leitlinien eingeflossen. Aber auch andere Aspekte unserer Arbeitswelt wie Technologien oder organisatorische Prozesse unterliegen einer systematischen Beurteilung in Form des Health Technology Assessments. Die Ergebnisse sollen und werden wohl auch für Entscheidungsträger zunehmend handlungsleitend sein. Das diesjährige Cochrane Colloquium in Wien hat sich mit einer Vielzahl damit in Zusammenhang stehender Probleme beschäftigt.

Mich überzeugt der methodische Ansatz der Evidenzbasierung trotz vieler offener Fragen – die Realität, jedenfalls in unserem Land, ist allerdings zumindest fragwürdig. Eine nicht kleine Zahl formal wohl unabhängiger Institutionen wirbt auf diesem speziellen „Markt“ in Österreich um ihre oft öffentlichen Auftraggeber. Im Wissen um politische, dogmatische, um ökonomische Interessenslagen der Auftraggeber sehe ich die hier unerlässliche Unabhängigkeit bei weitem nicht gesichert. Wenn ich daher für die Ärztinnen und Ärzte keine Ursache sehe, sich der Methodik grundsätzlich zu verschließen, gibt es hingegen viele Gründe gegen Intransparenz und gegen fehlende Unabhängigkeit.

Unsere Welt verändert sich derzeit mit einer dramatischen Geschwindigkeit und fundamental. Alle wissen es: Das Gesundheitswesen wird nicht unberührt bleiben. Die Ärzte haben diese Veränderungen nicht zu fürchten. Fürchten müssten wir uns allerdings – und dies gemeinsam mit der Bevölkerung – vor „passend gemachten Wahrheiten“. Es liegt an der Politik, Vertrauen zu schaffen. In diesem Sinn will ich es nicht versäumt haben, der Politik auch hier den Dialog mit uns Ärztinnen und Ärzten anzubieten.

Karl Forstner
1. Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 23-24 / 15.12.2015