Stand­punkt – Präs. Artur Wech­sel­ber­ger: Unver­ein­bare Welten

25.10.2015 | Standpunkt

© Dietmar Mathis

Öko­no­mie beschäf­tigt sich ent­spre­chend ihrer Defi­ni­tion mit Pro­duk­tion, Auf­brin­gung, Ver­tei­lung und Kon­sum knap­per Güter. Güter, bei denen die Nach­frage das Ange­bot über­steigt, wie es im Gesund­heits­we­sen etwa Ver­sor­gungs­ein­rich­tun­gen, Ope­ra­ti­ons- oder Behand­lungs­ter­mine, aber auch medi­zi­ni­sches Per­so­nal sind. Gesund­heits­öko­no­mie ver­wal­tet Knapp­heit. Sie sucht – so das Para­digma der sozia­len Kran­ken­ver­sor­gung – eine faire Ver­tei­lung und gerech­ten Zugang bei opti­ma­ler Nut­zung des Ange­bo­tes. Effek­ti­vi­tät ist Grund­vor­aus­set­zung, Kos­ten­ef­fi­zi­enz und ein Höchst­maß an Qua­li­tät das Ziel. Gesund­heits­öko­no­mie soll dabei beson­ders auf volks­wirt­schaft­li­che Erfor­der­nisse bei der Betrach­tung der gesamt­wirt­schaft­li­chen Zusam­men­hänge abstel­len. Bei der Bewer­tung der Kos­ten-Nut­zen-Rela­tion von Gesund­heits­leis­tun­gen flie­ßen des­halb breite gesell­schaft­li­che Wert- und Ziel­vor­stel­lun­gen als Per­spek­ti­ven ein: die des ein­zel­nen Pati­en­ten, der Pati­en­ten­ge­mein­schaft, aber auch der Leis­tungs­er­brin­ger, der Zah­ler, der Kran­ken­haus­be­trei­ber, der Arbeit­ge­ber, der Indus­trie wie auch der Gesell­schaft, der Poli­tik oder der Ethik. Also eine Viel­zahl zum Teil diver­gie­ren­der und kon­kur­rie­ren­der Inter­es­sen um die knap­pen Res­sour­cen. Dabei sind die prak­ti­schen Mög­lich­kei­ten der Mit­tel­al­lo­ka­tion beschränkt. Plan­wirt­schaft steht hier der Markt­wirt­schaft, Aus­lo­sung und damit zufäl­lige Zutei­lung dem Faust­recht und der Anar­chie gegen­über. Das war‚s auch schon. Schei­det man Los, Faust­recht und Anar­chie aus, blei­ben nur noch Plan­wirt­schaft und Markt. Beide nicht frei von Makel. Plan­wirt­schaft bedeu­tet zen­trale Steue­rung, Admi­nis­tra­tion und feh­lende Infor­ma­tion über indi­vi­du­elle Bedürf­nisse sowie lange Reak­ti­ons­zei­ten, die der wis­sen­schaft­li­chen Ent­wick­lung, gesell­schaft­li­chen Trends und indi­vi­du­el­len Bedürf­nis­sen nach­hin­ken. Markt hin­ge­gen erfor­dert umfang­rei­che Infor­ma­tion und Kon­su­men­ten­sou­ve­rä­ni­tät. Beide Vor­aus­set­zun­gen feh­len in der Regel den Men­schen im Krank­heits­fall. Damit funk­tio­nie­ren viele Markt­me­cha­nis­men in der Gesund­heits­ver­sor­gung nicht. Pati­en­ten sind keine Kun­den im klas­si­schen Sinn. In Öster­reich hat man sich – zumin­dest in der sozia­len Pati­en­ten­ver­sor­gung – für zen­trale Steue­rung und Pla­nung ent­schie­den und diese plan­wirt­schaft­li­chen Züge in den letz­ten Gesund­heits­re­for­men noch ver­stärkt. Limi­tierte Bud­gets, staat­li­che Struk­tur­pläne, Ziel­ver­ein­ba­run­gen, Moni­to­ring der Ziel­er­rei­chung und Sank­tio­nen sol­len den scho­nen­den Umgang mit den knap­pen Mit­teln garan­tie­ren. Dem ste­hen aller­dings die zuneh­men­den Mög­lich­kei­ten des medi­zi­ni­schen Fort­schritts, unauf­halt­same epi­de­mio­lo­gi­sche Ent­wick­lun­gen, Wert­vor­stel­lun­gen, Bedürf­nisse und Wün­sche von Pati­en­ten wie auch Leis­tungs­er­brin­gern gegen­über. Zwi­schen Hilf­lo­sig­keit und Arro­ganz agie­ren die poli­ti­schen Ent­schei­dungs­trä­ger aber auch die Öko­no­mie­ver­ant­wort­li­chen auf ope­ra­ti­ver Ebene ob des Dilem­mas, das heu­tige Pla­nun­gen schon gest­rig aus­se­hen lässt. Dem Ver­such, öko­no­mi­schen Druck auf die Leis­tungs­er­brin­ger aus­zu­üben, wei­chen diese in einem freien inter­na­tio­na­len Arbeits­markt fle­xi­bel aus. Die sys­tem­im­ma­nen­ten Schwä­chen geben der Pri­vat­me­di­zin mit ihren Markt- und Wett­be­werbs­ele­men­ten eine Chance; eine Chance, die Pati­en­ten und Ärzte in wach­sen­der Zahl auch nut­zen. Die öffent­li­chen Gesund­heits­an­bie­ter reagie­ren mit noch mehr Öko­no­mi­sie­rung ihrer betriebs­in­ter­nen Abläufe, strin­gen­te­ren Vor­ga­ben, redu­zier­te­ren Ange­bo­ten und Druck auf die Leis­tungs­er­brin­ger. Die volks­wirt­schaft­lich gebo­tene Rück­sicht­nahme auf die Per­spek­ti­ven der Pati­en­ten, der Ärzte, der Wis­sen­schaft und der Ethik bleibt auf der Stre­cke. Mikro­öko­no­mie im Sinne eines betriebs­wirt­schaft­li­chen Erfol­ges soll makro­öko­no­mi­sche, volks­wirt­schaft­li­che Auf­ga­ben lösen, so der grund­sätz­li­che Irrtum.

Ob Öko­no­mi­sie­rung ein ver­meid­ba­rer Trend sei, wurde am dies­jäh­ri­gen Gesund­heits­kon­gress in Mün­chen dis­ku­tiert und machte die schier unver­ein­ba­ren Denk­wel­ten von Ärz­ten und Gesund­heits­ma­na­gern offen­bar. Ärzte als Wah­rer der Inter­es­sen ihrer Pati­en­ten, der Ethik und der Wis­sen­schaft ver­pflich­tet, spre­chen eine andere Spra­che als die, deren öko­no­mi­sches Inter­esse aus­schließ­lich einer Ver­sor­gungs­ein­rich­tung zu gel­ten scheint. Mit einer Begren­zung des Ange­bo­tes und der Aus­ga­ben soll Öko­no­mi­sie­rung Effi­zi­enz und Qua­li­tät schaf­fen, glau­ben die einen. Gegen beruf­li­che Ein­schrän­kun­gen und gegen die Mone­ta­ri­sie­rung von Gesund­heit und Lebens­qua­li­tät weh­ren sich die anderen.

Artur Wech­sel­ber­ger
Prä­si­dent der Öster­rei­chi­schen Ärztekammer

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 20 /​25.10.2015