Standpunkt – Präs. Artur Wechselberger: Versäumnisse holen uns ein

25.01.2015 | Standpunkt

© Dietmar Mathis

Dem sprichwörtlichen Vogel Strauß gleichen all jene, die die Zeichen der Zeit nicht erkennen wollen und glauben, gesundheitspolitische Versäumnisse der vergangenen Jahre auch jetzt noch nicht lösen zu müssen.

Die damals etablierten Gehaltsstrukturen in den Krankenhäusern und die nicht kostendeckenden Honorare bei den Vertragsärzten, aber auch die leichtfertige Vergeudung von Ausbildungszeit durch niedrig qualifizierte Systemarbeit oder die Anhäufung von administrativen Zeitfressern in den Arztpraxen bereiten den Krankenhausträgern, den Krankenkassen und der Gesundheitspolitik derzeit Kopfzerbrechen. Denn sie müssen jetzt in einer Zeit des Mangels das lösen, was in einer Zeit des Überflusses leicht lösbar gewesen wäre. Das systemimmanente Sparen zulasten der Ärztinnen und Ärzte, die in den Jahren der Ärzteschwemme auch bei schlechten Rahmenbedingungen zwangsläufig bereit waren, ihre Versorgungsleistung zu erbringen, muss so schnell wie möglich attraktiven Angeboten von Krankenhausträgern und Krankenkassen weichen – selbst, wenn die Wirtschaftslage derzeit schwierig ist. – So geböte es jedenfalls die Vernunft und die versorgungspolitische Verantwortung, um auf die geänderten Arbeitsmarktbedingungen adäquat zu reagieren. Auf diesem knappen Arbeitsmarkt zeigt sich plötzlich der Wert von Ärztinnen und Ärzten für eine funktionierende und qualitätsvolle Gesundheitsversorgung. Die Möglichkeit, die ärztlichen Leistungen in einem wachsenden privaten Versorgungsbereich anzubieten, stärken deren Position ebenso wie die große Zahl an finanziell lukrativen und beruflich attraktiven internationalen Arbeitsangeboten.

Dem gegenüber verliert ein System an Konkurrenzfähigkeit, das angestellte Ärztinnen und Ärzte zwingt, ihr mageres Grundgehalt durch Bereitschaftsdienste und Überstunden aufzufetten. Das Gleiche gilt für Honorierungssysteme, die den Arztpraxen nur unter Akkordbedingungen im Durchschleusen von kaum zu bewältigenden Patientenzahlen wirtschaftliche Überlebensfähigkeit garantieren oder für Vertragsbedingungen, die sinnvolle Kooperationsmöglichkeiten verhindern.

Auch wenn es Systemstrategen lustvoller erscheinen mag, Zukunftsträume zu bearbeiten,darf nicht übersehen werden, dass derzeit der Hut brennt und dem Systemerhalt die uneingeschränkte Aufmerksamkeit und ein rasches Handeln gebührt. Die Diskussion um virtuelle Budgets, um zentralistische Systemplanung und Systemsteuerung, die Geplänkel um Systemkompetenzen verhindern ein rasches Handeln. Jede Hausapotheke, die inzwischen wegbricht, jede Spitalsambulanz und Spitalsabteilung, die geschlossen wird und jede Kassenstelle, die nicht besetzt werden kann, verschlechtert die ärztliche Versorgung. Ins Reich der Träume gehören auch alle Vorstellungen und Pläne, durch großzügige Verlagerung von bisher Ärzten vorbehaltenen Aufgaben zu anderen Gesundheitsberufen Versorgungslecks schließen zu können. Schließlich fehlt es ja auch bei diesen Versorgern an allen Ecken und Enden. Man denke nur an den großen Mangel an Pflegekräften in Pflege- und Altenheimen, die deshalb den Folgen der demografischen Entwicklung jetzt schon kaum und in Zukunft bei Weitem nicht nachkommen können.

Akut gilt es, Aufbruchsstimmung zu erzeugen, um möglichst viele arrivierte wie auch junge Ärztinnen und Ärzte der österreichischen Gesundheitsversorgung zu erhalten und sie zu motivieren, trotz der erfahrenen Widrigkeiten eines selbstgefälligen Systems ihr Wissen und Können als Krankenhaus- und Vertragsärzte einzubringen. Diese Aufbruchsstimmung muss jedoch mit realen Verbesserungen unterlegt werden. Konkurrenzfähige Gehälter und Honorare, familienfreundliche Arbeitsplätze, großzügige Aus- und Fortbildungsmöglichkeiten, berufliche Selbstentfaltung und Weiterentwicklung, liberale Zusammenarbeitsmöglichkeiten aber auch der Abbau von Bürokratie und unzumutbaren wie auch wirtschaftlich meist sinnlosen Kontrollregimen wären einige der Punkte, die sofort gelöst werden müssen und auch rasch lösbar sind. Wer aber glaubt, dass lethargisches Beharren auf dem Bestehenden ein Ausdruck politischer Konsequenz und Selbstbeherrschung ist, dem sei ein Zitat des Schweizer Publizisten Markus M. Ronner ans Herz gelegt: „Selbstbeherrschung ist die Mutter vieler Versäumnisse!“

Artur Wechselberger
Präsident der Österreichischen Ärztekammer

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 1-2 / 25.01.2015