Standpunkt – Präs. Artur Wechselberger: Paradiesischer Kreislauf

25.04.2015 | Standpunkt

© Dietmar Mathis

Das Aufpassen ist risikoloser und mit mehr Ansehen verbunden“ – brachte es unlängst der Kolumnist einer heimischen Tageszeitung auf den Punkt. „Daher entlassen unsere Schulen und Universitäten immer mehr Kontrolleure und immer weniger Produzenten“, so seine Erklärung, warum das wachsende Heer der Aufpasser und Kontrolleure die Schar derer, die bereit sind, unternehmerisches Risiko auf sich zu nehmen, Neues zu entwickeln, innovative Entscheidungen zu treffen oder produktive berufliche Verantwortung zu tragen, zahlenmäßig überflügelt.

Die damit verbundene hierarchische Neuordnung, in der sich Kontrolle vor Leistung positioniert, durchdringt auch seit Jahren unser Gesundheitssystem. Was anfangs nur als ökonomische Notwendigkeit zur gerechten Verteilung knapper Mittel schleichend Einzug hielt, hat mittlerweile alle Bereiche erfasst und in vielen Gebieten überhand genommen. Experten der Unproduktivität haben es dabei nicht nur geschafft, sich in Institutionen und Organisationen der medizinischen Versorgung festzusaugen und die Spielregeln vorzugeben. Als Einflüsterer und Ezzes-Geber führen sie auch schon lange die Hände der politischen Entscheidungsträger. Dass diese es ihnen dabei nicht allzu schwer machen, liegt in der Natur der Sache. Risikoavers, dem Zeitgeist gehorchend, bieten sie sich als Werkzeuge geradezu an. Versprechen neue Überwachungsstrategien und Kontrollempfehlungen doch einfache und zudem populäre – im Sinne von mehrheitsfähigen – Lösungen für komplexe Probleme.

Das Mehr an Administration, das diese Strategie gebiert, stört dabei nicht. Im Gegenteil: Es wird sogar gerne in Kauf genommen. Schließlich versteht sich Administration als ein Synonym für Amtsgewalt, Apparat, Führung, Herrschaft, Institution, Leitung, Verwaltung oder Verwaltungsbehörde. Bereiche, für die man sich schließlich verantwortlich fühlt und die nicht zuletzt die eigene Existenz rechtfertigen und sichern. Ebenso wird auch die verpflichtende Dokumentation als wesentliches Instrument der Administration gesehen und damit als unabwendbar in Kauf genommen. So werden die damit verbrachten Stunden und die dabei vergeudete Zeit hochqualifizierter Beschäftigter im Gesundheitswesen auch nicht als Kollateralschaden überbordender Bürokratie empfunden sondern vielmehr als Grundlage effektiver Kontrolle dekretiert.

Dem zu Folge werden die Strukturen, Prozesse und Ergebnisse der Krankenbehandlung oft nicht mit medizinischem Sachverstand beurteilt. Konsequent nimmt damit die Überprüfung der Dokumentation mehr oder weniger relevanter Parameter durch fachfremde Kontrolleure wesentlichen Einfluss auf die medizinischen Leistungserbringung, die Zuteilung von Ressourcen sowie Standort- und Personalentscheidungen.

Die kritiklose Überbewertung von Administration als Führungs- und Lenkungsinstrument verhindert, dass die Transaktionskosten, die aus der Kontrollphilosophie entstehen und die Gesundheitsleistungen verteuern, erfasst oder gar transparent gemacht werden. Warum sollte man auch? Schließlich lebt man ganz gut von der Intransparenz. Egal, wie hoch die Kosten direkter und indirekter Administration auch sind: Sie tragen jedenfalls zur Verknappung der Mittel im Gesundheitswesen bei. Diese aber verstärkt wiederum den Ruf nach Kostenkontrolle und Dokumentation bei den medizinischen Leistungsträgern. Ein paradiesischer Kreislauf für alle Kontrolleure.

Artur Wechselberger
Präsident der Österreichischen Ärztekammer

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 8 / 25.04.2015