Pati­en­ten­si­cher­heit: Elek­tro­ni­sche Ver­ord­nungs­sys­teme: Ana­lyse von Fehlern

10.05.2015 | Service

Es meh­ren sich die Hin­weise, dass mit elek­tro­ni­schen Ver­ord­nungs­sys­te­men neue Ris­ken und Feh­ler­quel­len auf­tre­ten kön­nen. Ergeb­nisse einer Stu­die zei­gen, wie schwie­rig die Abwä­gung zwi­schen einem pra­xis­taug­li­chen und fle­xi­blen Sys­tem ist, das nicht stän­dig Warn­mel­dun­gen aus­gibt, und der Not­wen­dig­keit von Bar­rie­ren und Limits, um die Nut­zer und Pati­en­ten vor erns­ten Feh­lern zu schützen.

Die Grund­über­le­gung beim Ein­satz von elek­tro­ni­schen Ver­ord­nungs­sys­te­men (com­pu­te­ri­sed phy­si­cian order entry, CPOE) ist, dass die Tech­no­lo­gie den Benut­zer durch Limi­tie­run­gen (zum Bei­spiel Dosie­rungs­gren­zen) und Warn­hin­weise vor feh­ler­haf­ten Ver­ord­nun­gen schützt.

Schiff et al. vom Brig­ham and Women‘s Hos­pi­tal in Bos­ton (USA) unter­such­ten dies in einer sehr pra­xis­na­hen, zwei­stu­fi­gen Stu­die (erschie­nen im BMJ Qua­lity & Safety 2015, online). In einem ers­ten Schritt ana­ly­sier­ten sie Medi­ka­ti­ons­feh­ler-Mel­dun­gen, mehr­heit­lich mit Schä­di­gung des Pati­en­ten, die im US-ame­ri­ka­ni­schen Berichts­sys­tem MEDMARX doku­men­tiert waren, und bei denen von der mel­den­den Per­son das CPOE als feh­ler­be­güns­ti­gen­der Fak­tor ange­ge­ben war. Eine Taxo­no­mie für CPOE-asso­zi­ierte Feh­ler wurde erstellt. In einem zwei­ten Schritt wur­den basie­rend auf den Mel­dun­gen typi­sche Sze­na­rien von feh­ler­haf­ten Ver­ord­nun­gen ent­wi­ckelt. Diese „Test-Sze­na­rien“ wur­den dann in ver­schie­de­nen Spi­tä­lern und mit unter­schied­li­chen CPOE-Sys­te­men aus­pro­biert. Die Frage dabei war, wie leicht es in den betref­fen­den Sys­te­men ist, pro­to­ty­pi­sche feh­ler­hafte Ver­ord­nun­gen zu plat­zie­ren bezie­hungs­weise wie gut das Sys­tem vor sol­chen Feh­lern schützt. Die Wis­sen­schaft­ler beob­ach­te­ten vor Ort die Ein­gabe der feh­ler­haf­ten Ver­ord­nun­gen und doku­men­tier­ten dabei, ob die Ver­ord­nung vom CPOE-Sys­tem akzep­tiert wurde, ob dafür „Umge­hun­gen“ (work-arounds) not­wen­dig waren und ob das CPOE Warn­mel­dun­gen aus­gab. Im ers­ten Teil der Unter­su­chung ana­ly­sier­ten kli­ni­sche Phar­ma­zeu­ten mehr als 10.060 Feh­ler­mel­dun­gen und kodier­ten für jede Mel­dung, was pas­siert war (101 Codes der neu ent­wi­ckel­ten Taxo­no­mie), warum der Feh­ler pas­sierte (67 Codes) und wel­che poten­ti­el­len Prä­ven­ti­ons­maß­nah­men den Feh­ler ver­hin­dert hät­ten (73 Codes). Beson­ders häu­fig berich­te­ten die ana­ly­sier­ten Mel­dun­gen von „feh­len­den oder fal­schen Ein­nah­me­instruk­tio­nen“, der Ver­ord­nung einer „fal­schen Dosis oder Stärke“, „feh­lende oder fal­sche Men­gen­an­ga­ben“, die Ver­ord­nung eines „fal­schen Zeit­plans“ sowie die Mehr­fach­ver­ord­nung eines „exak­ten Dupli­ka­tes“. Unter den kodier­ten Grün­den für den gemel­de­ten Medi­ka­ti­ons­feh­ler waren die häu­figs­ten „der Ein­satz meh­re­rer elek­tro­ni­scher Sys­teme“, die „Ver­wen­dung von Abkür­zun­gen“ und das „feh­lende Ein­hal­ten von Pro­ze­du­ren und Standards“.

21 Test-Sze­na­rien

Basie­rend auf den Ori­gi­nal­mel­dun­gen wur­den 21 Test-Sze­na­rien ent­wi­ckelt, wel­che bei 13 ver­schie­de­nen CPOE-Sys­te­men an 16 Orten getes­tet wur­den. Ins­ge­samt wur­den 375 feh­ler­hafte Ver­ord­nun­gen geprüft. In 80 Pro­zent der Ver­su­che wur­den die feh­ler­haf­ten Ver­ord­nun­gen von den CPOE-Sys­te­men akzep­tiert. In 28 Pro­zent der Fälle konnte die Ver­ord­nung ohne jede Bar­riere (Warn­mel­dung oder work-around), in wei­te­ren 28 Pro­zent mit mini­ma­len work­arounds plat­ziert wer­den. In 24 Pro­zent der Ver­su­che konnte die Ver­ord­nung gar nicht oder nur unter Umge­hung und dem „Aus­trick­sen“ star­ker Sicher­heits­bar­rie­ren abge­schlos­sen wer­den. Bei 61 Pro­zent aller Ver­ord­nun­gen zeig­ten die Sys­teme dem Nut­zer kei­ner­lei Warn­mel­dung an.

Die Stu­die leis­tet sehr wich­tige Pilot­ar­beit, um die Risi­ken von elek­tro­ni­schen Ver­ord­nungs­sys­te­men bes­ser ver­ste­hen zu kön­nen. Ins­be­son­dere die pro­spek­tive Ana­lyse der Feh­ler­an­fäl­lig­keit ist wert­voll; mehr als die Hälfte der feh­ler­haf­ten Ver­ord­nun­gen konn­ten ohne große Hür­den ein­ge­ge­ben wer­den. Mit den auf tat­säch­li­chen Ereig­nis­sen basie­ren­den Test-Sze­na­rien, die eben­falls publi­ziert sind, las­sen sich zukünf­tig auch wei­tere CPOE­Sys­teme prü­fen und deren Feh­ler­an­fäl­lig­kei­ten ver­gleich­bar quan­ti­fi­zie­ren. Dies ist die Vor­aus­set­zung für Ver­bes­se­run­gen der Sys­teme. Auch die Ent­wick­lung einer Taxo­no­mie für CPOE-bezo­gene Feh­ler ist eine hilf­rei­che Wei­ter­ent­wick­lung, die für andere Ana­ly­sen genutzt wer­den kann. Die Ergeb­nisse von Schiff et al. zei­gen die schwie­rige Abwä­gung zwi­schen einem pra­xis­taug­li­chen und fle­xi­blen Sys­tem, das nicht stän­dig Warn­mel­dun­gen aus­gibt, und der Not­wen­dig­keit von Bar­rie­ren und Limits, um die Nut­zer und Pati­en­ten vor erns­ten Feh­lern zu schüt­zen. Hier besteht noch viel Entwicklungsbedarf.

Quelle: Pati­en­ten­si­cher­heit Schweiz/​Prof. Dr. David Schwappach

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© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 9 /​10.05.2015