Patientensicherheit: Fehlende Angaben zum Körpergewicht

25.06.2015 | Service

Die Bedeutung des aktuellen Wiegens der Patienten für die Dosisberechnung wird oft unterschätzt; selbst vor der Verabreichung von Hoch-Risiko-Medikamenten wird vielfach nicht gewogen.

Charani et al. untersuchten in ihrer Studie (BMJ open 2015), wie häufig das Körpergewicht beim Eintritt im Spital nicht erhoben und dokumentiert wird – speziell bei Patienten, die Antibiotika mit einem engen therapeutischen Index erhalten. Sie analysierten jeweils an einem Tag die Akten der aktuell auf medizinischen und chirurgischen Stationen hospitalisierten Patienten in drei Spitälern in London (UK), um die Punktprävalenz des „Nicht-Wiegens“ zu bestimmen. Dafür werteten sie alle für Patienten verfügbaren Dokumentationsquellen aus, inklusive Verordnungen und Pflegeassessments. An bis zu fünf möglichen Stellen je Patient hätte das Patientengewicht dokumentiert werden sollen (beispielsweise im Anästhesieprotokoll für Patienten, die operiert werden). Sie untersuchten, ob die Patienten gewogen und das Gewicht an irgendeiner der möglichen Stellen dokumentiert worden war sowie ob und welche Antibiotika verordnet wurden. Als Ergänzung wurde eine kleine Anzahl von Beobachtungen des Aufnahmeprozesses durchgeführt, um Ursachen für das fehlende Wiegen besser zu verstehen.

Die Autoren werteten die Daten von 1.012 Patienten aus. Bei 46 Prozent der Patienten war kein Eintrag zum Gewicht dokumentiert. Dieser Anteil war für alle Altersgruppen sehr ähnlich (zwischen 46 und 49 Prozent). Insgesamt erhielten 236 Patienten intravenös Antibiotika. Darunter waren auch 89 Patienten (neun Prozent aller Patienten), die mindestens einen Wirkstoff erhielten, für den das Gewicht für die Dosisberechnung oder das therapeutische Monitoring (zum Beispiel Antibiotikaspiegel) empfohlen ist. Bei 35 dieser 89 Patienten (39 Prozent) existierte kein Eintrag zum Körpergewicht. Am häufigsten fehlte die Gewichtsangabe bei Patienten, die intravenös Vancomycin erhielten (27 von 61 Patienten). Bei Patienten mit Ko-Morbiditäten und solchen, die wegen einer Infektion oder einer geplanten Operation hospitalisiert worden waren, war das Körpergewicht signifikant häufiger dokumentiert. Außerdem gab es auch nach einer Adjustierung von Patientenmerkmalen deutliche Unterschiede zwischen den drei Spitälern. Beobachtet wurden die Aufnahmeprozeduren von 18 Patienten, von denen bei elf nicht gewogen wurde. Besonders häufig wurde das Wiegen ausgelassen, wenn es Unterbrechungen im Aufnahmeprozess gab (neun Patienten). Eine hohe Arbeitsbelastung beziehungsweise zu wenig verfügbares Personal waren eine weitere Ursache. Bei acht Patienten wurde das Körpergewicht ungeprüft aus der Dokumentation einer früheren Hospitalisations-Episode übernommen.

Die Autoren lenken mit ihrer Studie die Aufmerksamkeit auf ein bisher wenig beachtetes Thema der Patientensicherheit, die fehlende Erhebung und Dokumentation des Körpergewichtes bei hospitalisierten Patienten. Da es sich um eine Prävalenz-Studie handelt, kann keine Aussage zu den outcomes getroffen werden, ob also die fehlende individuelle gewichtsbasierte Therapie negative Konsequenzen hatte. Die Untersuchung zeigt, dass diese in England standardmäßig vorgesehene Maßnahme bei fast der Hälfte der Patienten nicht durchgeführt wird, obwohl sie einfach und günstig ist. Eine Ursache scheint die unklare Verankerung des Wiegens in den Aufnahmeprozess beziehungsweise dessen Anfälligkeit für Störungen zu sein. Dieses Problem ist auch aus der Onkologie bekannt, wo das Körpergewicht für viele Therapien eine Bedeutung hat. Neben der Relevanz für die Medikationssicherheit ist das Körpergewicht auch als zentraler Indikator für das Monitoring des Ernährungszustandes von Patienten während des Spitalsaufenthaltes wichtig.

*) Prof. Dr. David Schwappach, MPH, Patientensicherheit Schweiz

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 12 / 25.06.2015