Pati­en­ten­si­cher­heit: Ein­fluss von Ablenkungen

15.07.2015 | Service


In einer Stu­die konnte unter expe­ri­men­tel­len Bedin­gun­gen gezeigt wer­den, dass vor allem kogni­tive Unter­bre­chun­gen zu Feh­lern bei der Links-Rechts-Ein­schät­zung füh­ren. Da sie anfäl­lig für Ablen­kun­gen ist, sollte sie früh­zei­tig trai­niert wer­den, um Schwie­rig­kei­ten zu erkennen.

McKin­ley et al. (Medi­cal Edu­ca­tion 2015) unter­such­ten die Rechts-Links-Unter­schei­dungs­fä­hig­keit von Medi­zin­stu­den­ten unter expe­ri­men­tel­len Bedin­gun­gen, die ver­schie­dene Ablen­kun­gen invol­vier­ten. Dafür wur­den 234 Medi­zin­stu­den­ten des zwei­ten Stu­di­en­jahrs der Uni­ver­si­tät Bel­fast zufäl­lig auf eine von vier Bedin­gun­gen ver­teilt: Rechts-Links-Test ohne Ablen­kung; Test unter akus­ti­scher Ablen­kung (vor­auf­ge­zeich­ne­ter, typi­scher Sta­ti­ons­lärm); Test unter kogni­ti­ver Ablen­kung (zusätz­li­che kli­ni­sche Infor­ma­tion, die zwi­schen den Test­ka­pi­teln bear­bei­tet wer­den musste); Test unter akus­ti­scher und kogni­ti­ver Ablen­kung. Um die Rechts-Links-Unter­schei­dung stan­dar­di­siert zu mes­sen, wurde der Ber­gen-Links-Rechts-Dis­kri­mi­nie­rungs­test (BLRDT) ein­ge­setzt. Dabei han­delt es sich um ein vali­dier­tes psy­cho­me­tri­sches Ver­fah­ren, in dem bei Strich­männ­chen jeweils eine Hand mar­kiert wer­den muss. Die Figu­ren sind zum Teil von vorn, zum Teil von hin­ten gezeich­net (Ori­en­tie­rung) und die Posi­tion eines oder bei­der Arme vari­iert erheb­lich zum Bei­spiel über Kreuz. Unter jeder Figur ist ange­ge­ben, ob die linke oder rechte Hand mar­kiert wer­den soll.

Der Test besteht aus 144 Figu­ren, die in drei Kapi­teln ange­ord­net sind. Pro Kapi­tel ste­hen jeweils maximal 90 Sekun­den zur Ver­fü­gung. Pro rich­tig beur­teil­ter Figur wird ein Punkt erzielt (maximal also 144 Punkte). Außer­dem unter­such­ten die Autoren, ob die Selbst­ein­schät­zung der Rechts-Links-Unter­schei­dungs­fä­hig­keit mit der tat­säch­li­chen Leis­tung kor­re­lierte, also wie gut sich die Stu­die­ren­den sich selbst ein­schät­zen konn­ten. Die Ergeb­nisse in der Kon­troll­gruppe (ohne Ablen­kung) zei­gen, dass die Rechts-Links-Unter­schei­dungs­fä­hig­keit am schlech­tes­ten für das Test­ka­pi­tel mit gemisch­ter Ori­en­tie­rung der Strich­männ­chen war (durch­schnitt­lich 37 von 44 BLRDT-Punk­ten). Die Ergeb­nisse der Gruppe mit aus­schließ­lich akus­ti­scher Ablen­kung waren nicht signi­fi­kant schlech­ter. In den Grup­pen der kogni­ti­ven und der kogni­ti­ven plus akus­ti­schen Ablen­kun­gen hin­ge­gen war die Links-Rechts-Unter­schei­dungs­fä­hig­keit deut­lich und signi­fi­kant nega­tiv beein­träch­tigt. Bei gemisch­ter Ori­en­tie­rung der Strich­männ­chen (man­che von vorne, man­che von hin­ten zu sehen) wurde unter akus­ti­scher und kogni­ti­ver Ablen­kung die rich­tige Seite durch­schnitt­lich nur bei 27 der 44 Figu­ren rich­tig erkannt. Nur bei die­ser schwie­rigs­ten Auf­gabe hatte die zusätz­li­che akus­ti­sche Ablen­kung einen signi­fi­kan­ten Effekt über die rein kogni­tive Ablen­kung hin­aus. Die Kor­re­la­tion der Selbst­ein­schät­zung der Stu­die­ren­den mit ihren Test­ergeb­nis­sen war nur mode­rat (Kor­re­la­ti­ons­ko­ef­fi­zi­ent r=0.39). Sowohl Über- als auch Unter­schät­zung der eige­nen Rechts-Links-Unter­schei­dungs­fä­hig­keit waren weit verbreitet.

Die Stu­die zeigt, dass vor allem kogni­tive Unter­bre­chun­gen zu Feh­lern bei der Links-Rechts-Ein­schät­zung füh­ren. Rein akus­ti­sche Ablen­kun­gen hat­ten wenig Effekt auf die Leis­tung. Anspruchs­volle Unter­schei­dun­gen – näm­li­che sol­che, bei denen die Ori­en­tie­rung im Raum berück­sich­tigt wer­den muss – sind beson­ders anfäl­lig für Stö­run­gen. Kogni­tive Ablen­kun­gen sind im kli­ni­schen All­tag häu­fig. Wich­tig ist es, einer auf den ers­ten Blick „bana­len Sache“ wie der Rechts-Links-Unter­schei­dung Auf­merk­sam­keit in Aus­bil­dung und Trai­ning zu schen­ken. Ein ers­ter Schritt dazu könnte sein, die Dis­kri­mi­nie­rungs­fä­hig­keit in der Aus­bil­dung stan­dard­mä­ßig zu tes­ten. Dies kann zu einer adäqua­te­ren Selbst­ein­schät­zung füh­ren. Zum ande­ren kön­nen Per­so­nen mit weni­ger guter Leis­tung Stra­te­gien ent­wi­ckeln, wie sie ihre Rechts-Links-Unter­schei­dungs­fä­hig­keit stei­gern kön­nen und weni­ger anfäl­lig für Unter­bre­chun­gen sind.

*) Prof. Dr. Die­ter Schwapp­ach, Pati­en­ten­si­cher­heit Schweiz

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 13–14 /​15.07.2015