Pati­en­ten­si­cher­heit: Zwei­fel­hafte Anti­bio­tika-Ver­ord­nun­gen im Tagesverlauf

25.01.2015 | Service


Im Tages­ver­lauf nimmt die Ent­schei­dungs­mü­dig­keit zu – was dazu führt, dass Ärzte zu „leich­ten“ Ent­schei­dun­gen ten­die­ren und bei­spiels­weise dem Pati­en­ten­wunsch nach einer Arz­nei­mit­tel­ver­ord­nung eher ent­spre­chen. Das zeigt ein aktu­el­les, von der Pati­en­ten­si­cher­heit Schweiz erstell­tes „Paper of the Month“.

Lin­der et al. (JAMA Inter­nal Medi­cine 2014) unter­such­ten, ob der Zeit­punkt einer Kon­sul­ta­tion im Tages­ver­lauf mit einer zwei­fel­haf­ten Anti­bio­ti­ka­ver­ord­nung asso­zi­iert ist. Das heißt, dass sie die bis­he­rige Tages­be­las­tung durch Kon­sul­ta­tio­nen als „Stell­ver­tre­ter“ für kogni­tive und phy­sio­lo­gi­sche Erschöp­fung und Ent­schei­dungs­mü­dig­keit verwendeten.

Die Ärzte wer­te­ten Daten aus 22.000 Kon­sul­ta­tio­nen bei 204 Ärz­ten in 23 Pra­xen aus der elek­tro­ni­schen Pati­en­ten­do­ku­men­ta­tion sowie von Ver­ord­nun­gen aus Grund­ver­sor­gungs­pra­xen aus; die Pati­en­ten waren zwi­schen 18 und 64 Jahre alt. Dabei wur­den alle Fälle, in denen eine akute Atem­wegs­er­kran­kung dia­gnos­ti­ziert wor­den war, aus­ge­wer­tet. Pati­en­ten mit chro­ni­schen Erkran­kun­gen oder aku­ten Begleit­dia­gno­sen, bei denen eine Anti­bio­tika-Ver­ord­nung indi­ziert sein kann (zum Bei­spiel eine Haut­in­fek­tion), wur­den aus­ge­schlos­sen. Nach den ent­spre­chen­den Gui­de­lines wur­den akute Atem­wegs­in­fek­tio­nen klas­si­fi­ziert in sol­che, bei denen Anti­bio­tika manch­mal indi­ziert sein kön­nen (zum Bei­spiel Oti­tis media, Sinu­s­i­tis) und sol­che, bei denen Anti­bio­tika nie indi­ziert sind (zum Bei­spiel akute Bron­chi­tis, Influ­enza). Mit­hilfe von Regres­si­ons­ver­fah­ren wurde die Wahr­schein­lich­keit einer zwei­fel­haf­ten Anti­bio­tika-Ver­ord­nung im Tages­ver­lauf berech­net, das heiß: als Funk­tion der bis­he­ri­gen kogni­ti­ven Belas­tung am Tag (Tages­zeit sowie Anzahl der Kon­sul­ta­tio­nen). Ver­schie­dene andere Varia­blen und Pati­en­ten­merk­male wur­den adjus­tiert. Ins­ge­samt wur­den bei 44 Pro­zent der Kon­sul­ta­tio­nen wegen aku­ter Atem­wegs­in­fek­tio­nen Anti­bio­tika ver­ord­net. Sowohl für nicht-indi­zierte als auch für manch­mal-indi­zierte Dia­gno­sen stieg die Wahr­schein­lich­keit einer Anti­bio­tika-Ver­ord­nung von der ers­ten Kon­sul­ta­ti­ons­stunde am Mor­gen bis zum Mit­tag und ebenso wie­der nach der Mit­tags­pause bis zum Abend (linea­rer Trend p0.001). Das Odds-Ratio der vier­ten Kon­sul­ta­ti­ons­stunde im Ver­hält­nis zur ers­ten Stunde betrug 1.3. Das heißt: Zu Ende der vier­stün­di­gen Sprech­stunde erhiel­ten etwa fünf Pro­zent mehr Pati­en­ten Anti­bio­tika-Ver­ord­nun­gen als zu Beginn. Der Anteil der Kon­sul­ta­tio­nen mit aku­ten Atem­wegs­in­fek­tio­nen, bei denen ein Anti­bio­ti­kum manch­mal indi­ziert sein kann, vari­ierte nicht mit der Tages­zeit. Auch konn­ten keine „peaks“ direkt vor Ende der Sprech­zei­ten beob­ach­tet wer­den; die Zunah­men waren über den Tages­ver­lauf linear und kon­ti­nu­ier­lich. Die Stu­die bestä­tigt die Annahme, dass es eine Zunahme der Ent­schei­dungs­mü­dig­keit im Tages­ver­lauf gibt. Diese führt dazu, dass Ärzte zu „leich­ten“ Ent­schei­dun­gen ten­die­ren und zum Bei­spiel dem Pati­en­ten­wunsch nach einer Arz­nei­mit­tel­ver­ord­nung – in der aktu­el­len Stu­die einer Anti­bio­tika-Ver­ord­nung – eher ent­spre­chen. Es ist nahe­lie­gend, dass sich die Ergeb­nisse auf andere Aspekte der Pati­en­ten­si­cher­heit über­tra­gen las­sen, bei denen Ent­schei­dungs­mü­dig­keit eine wesent­li­che Rolle spie­len kann wie zum Bei­spiel dia­gnos­ti­sche Feh­ler. Wich­tig scheint es, sich die­ses Phä­no­mens bewusst zu sein und durch geeig­nete Maß­nah­men gegen­zu­steu­ern. Dies kön­nen zum Bei­spiel kür­zere Sprech­zei­ten, man­da­to­ri­sche Pau­sen, Vari­anz im Dienst­be­ginn oder EDV-basierte Ent­schei­dungs­un­ter­stüt­zungs­sys­teme sein.
Quelle: Pati­en­ten­si­cher­heit Schweiz/​Prof. Dr. David Schwappach

Wei­tere Bei­träge aus der Reihe „Paper of the Month“ gibt es unter www.cirsmedical.at

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 1–2 /​25.01.2015