5. Tag der Gesundheitsberufe: Ethik versus Ökonomisierung?

25.02.2015 | Politik

Allokationsentscheidungen werden oft auf den Endverbraucher abgewälzt, erklärte Festredner Univ. Prof. Ulrich Körtner bei der fünften Gesundheitsberufe-Konferenz Ende Jänner in Wien. Was aber gilt als Maßstab einer ethisch gerechten Zuteilung – angesichts von knappen Ressourcen? Von Marion Huber

Mangelnde Ressourcen und Defizite im Gesundheitswesen resultierten oftmals aus fehlenden Strukturreformen, sagt Univ. Prof. Ulrich Körtner, Vorstand des Instituts für Ethik und Recht in der Medizin der Universität Wien. Aber nicht nur die Reformen, auch der demographische Wandel in der Gesellschaft werfen Fragen nach den Kosten auf. Ist es künftig noch möglich, die notwendige Medizin für alle zu finanzieren?

Der Zwang zur Ökonomisierung stehe oft im Widerspruch zu ethischen Entscheidungen im Sinne der Patienten. Was in der Diskussion gerne tabuisiert werde, sei das Allokationsproblem, wie Körtner weiter ausführt. Allokationsentscheidungen – also die Zuordnung beschränkter Ressourcen – werde oft auf dem Rücken der Patienten und der Gesundheitsberufe ausgetragen. Weil man aber nicht umhin kommt, diese Entscheidungen auf irgendeiner Ebene zu treffen, würden sie meist auf den Endverbraucher abgewälzt, kritisiert Körtner. Bei aller Knappheit der Ressourcen dürfe aber nicht nur die Unterversorgung diskutiert werden; ein Problem sei auch die Überversorgung, die zu Ungerechtigkeiten führt. Werde diese Überversorgung dann abgebaut, dürfe man das nicht mit Unterversorgung verwechseln.

Wie werden die knappen Ressourcen nun zugeteilt? Welche Form der Gerechtigkeit gilt als Maßstab? Und wer entscheidet über die Zuteilung: der Bund, die Länder oder Spitäler und einzelne Abteilungen? Das sind laut Körtner die Fragen, die sich in diesem Zusammenhang stellen. Auch auf einer weiteren Ebene spiele Allokation eine Rolle: Welchen Anteil der beschränkten Mittel geben wir für die Medizin, welchen für den Pflegebereich und wie viel für andere Bereiche aus? Körtner ist „skeptisch“, dass man mit dem jetzigen System den Ausbau der Pflege, so wie es dem Bedarf entspricht, finanzieren könne.

Zum Stichwort Gerechtigkeit: Sie sei ein Begriff, der in der Definition viel Spielraum übrig lasse. „Jedem das Seine“ bedeute laut Körtner nicht unbedingt „jedem das Gleiche“. So ziele etwa die Priorisierung darauf ab, Ressourcen je nach Dringlichkeit zu verteilen; behandelt werden dabei über kurz oder lang aber alle Patienten. Ganz im Gegensatz zur Triage. Sie führt oft zu einem ethischen Dilemma, das Generationen und Gesellschaften schon immer beschäftigt. Welche Neugeborenen können oder sollen in Krisen überleben? Werden bei Kriegsgefechten zuerst Soldaten oder Zivilisten gerettet…?

Für Körtner steht fest: Der Maßstab für Gerechtigkeit und Verteilung dürfe nicht davon hergeleitet werden, wie es für das System am effizientesten ist. Effektivität und Effizienz müssten immer patientenzentriert erfolgen. Auch wenn man die Ökonomie nicht außer Acht lassen dürfe, dürfe sie – so der Experte – dennoch kein hinreichendes Kriterium sein.

Neben der Frage „Was können wir uns leisten?“, stelle sich immer mehr auch die Frage, was wir uns leisten wollen. So seien etwa individuelle Gesundheitsleistungen ein großes Feld, das sich Menschen privat leisten; die Solidargesellschaft müsse dies aber nicht tragen. Sobald Ärzte Anbieter solcher Leistungen sind, agieren sie gleichsam als Dienstleister im Gesundheitswesen und als Verkäufer am Markt. Daraus resultiert jedoch eine Verunsicherung in der Arzt-Patienten-Beziehung.

Generell sieht Körtner das Bild der Medizin im Wandel. Die Medizin entwickle sich zusehends von der Heilung und Behandlung von Krankheit hin zur Erfüllung von individuellen, ästhetischen Wünschen. Die laut Körtner entscheidende Frage: „Was von dem, was die Medizin kann, soll durch das Gesundheitssystem, durch Steuern und Beiträge finanziert werden?“

Gesundheitsberufe-Konferenz verleiht Förderpreise

„Sich an einen Tisch zusammensetzen, sich zusammenraufen und zusammenstreiten, um zum Wohle des Patienten etwas Gutes hervorzubringen“ – das machen 23 Gesundheitsberufe im Rahmen der Gesundheitsberufe-Konferenz, wie Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser zur Eröffnung des Tages der Gesundheitsberufe in Wien erklärt. Die Ansprüche der Patienten, die Ansprüche im Alltag – all das sei ständig im Wandel und erschwere die Zusammenarbeit. Um dies zu erleichtern, könne Oberhauser in ihrer Funktion als Gesundheitsministerin nicht nur Diskussionsprozesse in Gang bringen; sie sei auch „bereit“, die Berufsgesetze im Sinne der besseren Kooperation zu gestalten, wie sie erklärte.

„Was eine Einheit bilden soll, muss der Art nach verschieden sein“ – zitierte Marion Hackl, Präsidentin von ergotherapie austria und Vorsitzende der Gesundheitsberufe-Konferenz, Aristoteles. So sei es zwar eine Herausforderung, alle Gesundheitsberufe unter einen Hut zu bringen, wie sie betont, „allerdings eine Herausforderung, die uns wachsen lässt.“ Für eine optimale Versorgung der Patienten und für ein gemeinsames großes Ganzes setzen sich alle Gesundheitsberufe aktiv ein, so Hackl. Auch dieses Jahr wurden wieder die Förderpreise der Gesundheitsberufe-Konferenz verliehen. Gewonnen hat das Projekt „Voneinander lernen im interprofessionellen Team“ des Multiple-Sklerose-Zentrums in Wien. Im Fokus steht dabei die Vernetzung unter den Gesundheitsberufen sowie mit den Studierenden. Platz zwei geht an das Projekt „Schmerzmanagement in einem geriatrischen Krankenhaus“. Bei diesem im Haus der Barmherzigkeit in Wien eingeführten Leitfaden geht es um die Behandlung von Patienten, die Schmerzen nicht mehr artikulieren können. Den dritten Platz belegt das Schulungsprogramm „MOSES“ (Modulares Schulungsprogramm Epilepsie“, im Rahmen dessen in Salzburg Patienten und ihren Angehörigen Wissen über Epilepsie vermittelt wird.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 4 / 25.02.2015