Styriamed.net: Ein Vorzeigemodell

25.10.2015 | Politik

Wie Pri­mär­ver­sor­gung wirk­lich funk­tio­nie­ren kann, zeigt das Ärz­te­netz­werk Styriamed.net. Auf Initia­tive von Ärz­ten ist 2009 ein Netz­werk ent­stan­den, in dem die Koope­ra­tion im nie­der­ge­las­se­nen Bereich und mit den Spi­tä­lern aktiv gelebt wird.
Von Marion Huber

Pri­mär­ver­sor­gung – wie sie von der Poli­tik plötz­lich laut­stark gefor­dert wird – wird von den Haus­ärz­tin­nen und Haus­ärz­ten schon jetzt tag­täg­lich gelebt“, weiß ÖÄK-Prä­si­dent Artur Wech­sel­ber­ger. Ärzte setz­ten bei­spiel­hafte eigene Initia­ti­ven, aus ihrer eige­nen Moti­va­tion her­aus – „und ohne, dass es von oben herab oktroy­iert wird“, betonte er kürz­lich bei einer Pres­se­kon­fe­renz in Wien. Die Poli­tik ver­stehe unter Pri­mär­ver­sor­gung offen­bar aber etwas ande­res als die ÖÄK: Sie plane, über eine eige­nes Gesetz (PHC-Gesetz) die Schaf­fung einer Ein­heits­struk­tur in Umge­hung des bewähr­ten Gesamt­ver­trags­sys­tems, kri­ti­sierte Wech­sel­ber­ger: „Aber wir ver­ste­hen unter Pri­mär­ver­sor­gung die Stär­kung der bestehen­den nie­der­ge­las­se­nen Struk­tu­ren, Viel­falt und Fle­xi­bi­li­tät.“ Genauso, wie es Ärz­te­netz­werke à la Styriamed.net und das in Pla­nung befind­li­che Pannoniamed.net erfolg­reich vorleben.

Dik­tat von oben kontraproduktiv

Styriamed.net gibt es seit 2009 und mitt­ler­weile bereits in zehn von 13 stei­ri­schen Bezir­ken. Das Netz­werk kann eine beacht­li­che Bilanz auf­wei­sen: Der­zeit ver­sor­gen 209 nie­der­ge­las­sene All­ge­mein­me­di­zi­ner (davon zwölf ohne GKK-Ver­trag), 147 nie­der­ge­las­sene Fach­ärzte (42 ohne GKK-Ver­trag) und 15 Spi­tä­ler mehr als 740.000 Men­schen – was rund 61 Pro­zent der stei­ri­schen Bevöl­ke­rung ent­spricht. Was Styriamed.net aus­macht: „es ist eine Regio­nen-über­grei­fende vir­tu­elle Grup­pen­pra­xis, die All­ge­mein­me­di­zi­ner und Fach­ärzte mit und ohne Kas­sen­ver­trag sowie Spi­tals­ärzte umfasst“, erklärte der Prä­si­dent der Ärz­te­kam­mer Stei­er­mark, Her­wig Lind­ner. Ein Netz­werk, in dem Pri­mär­ver­sor­gung aktiv gelebt und Team­work und Kom­mu­ni­ka­tion groß geschrie­ben werden.

Wer sage, Ärzte seien gegen Pri­mär­ver­sor­gung, der täu­sche sich, betonte Lind­ner: „Aber wir wol­len Refor­men von innen her­aus, auf Initia­tive der Ärzte.“ So sei auch Styriamed.net ent­stan­den – und zwar ohne poli­ti­sche Unter­stüt­zung und „ohne einen Cent“ an öffent­li­chen Gel­dern. Lind­ner dazu: „Wir Ärzte reden nicht dau­ernd über Refor­men. Wir machen sie.“ Mit Styriamed.net habe man gezeigt, dass Ärzte und Pati­en­ten im Netz­werk zufrie­de­ner seien: Laut einer Eva­lu­ie­rung aus 2012 fühl­ten sich 75 Pro­zent der befrag­ten Pati­en­ten im Netz­werk bes­ser betreut; außer­dem glaub­ten 60 Pro­zent der befrag­ten Ärzte an eine Ver­bes­se­rung des Pati­en­ten­ma­nage­ments und 50 Pro­zent an eine Ver­bes­se­rung der Kom­mu­ni­ka­tion unter den Ärzten.

„Wenn man uns Ärzte nur lässt und unsere Mei­nung hört, sind wir immer vorne dabei, wenn es um eine Ver­bes­se­rung für die Pati­en­ten geht“, so Lind­ner. „Wir sind für Pri­mär­ver­sor­gung, für Team­work – aber gegen ein sinn­lo­ses Gesetz, das die Büro­kra­tie ver­mehrt, den Pati­en­ten nicht nützt und die Ärzte vor den Kopf stößt.“ Auch Wech­sel­ber­ger ist über­zeugt: „Wir brau­chen nicht noch ein neues Gesetz, das wei­tere Auf­la­gen bringt und die ärzt­li­che Eigen­in­itia­tive behin­dert.“ Was dabei her­aus­kommt, zeige das Grup­pen­pra­xen-Gesetz, das „untaug­lich ist, um die Ver­sor­gungs­not­wen­dig­keit zu erfül­len“. Moderne Pri­mär­ver­sor­gungs-Modelle müss­ten sich bot­tom-up ent­wi­ckeln und nicht top-down vor­ge­schrie­ben wer­den. „Nur dann wer­den sie auch funk­tio­nie­ren“, ist Wech­sel­ber­ger überzeugt.

Das beste Bei­spiel sei Styriamed.net: das Modell war nicht nur unter den drei Fina­lis­ten des stei­ri­schen Gesund­heits­prei­ses „Salus“; es wurde auch mit dem ers­ten Preis der bun­des­wei­ten Selbst­hil­fe­platt­form „Alli­anz Chro­ni­scher Schmerz“ aus­ge­zeich­net. Das Styriamed.net Hart­berg-Fürs­ten­feld erhielt die „Gol­dene Dolo­res“ für die exzel­lente über­re­gio­nale Koope­ra­tion zwi­schen nie­der­ge­las­se­nen Ärz­ten und dem Lan­des­kran­ken­haus Hart­berg in der Ver­sor­gung von Schmerz­pa­ti­en­ten. Für Wech­sel­ber­ger ist Styriamed.net damit „ein weg­wei­sen­des Vor­bild für Öster­reich, wie Pri­mär­ver­sor­gung wirk­lich funk­tio­niert und den Men­schen einen Nut­zen bringt.“ Dass die­ses Vor­bild wirkt, zei­gen die Akti­vi­tä­ten in ande­ren Bun­des­län­dern. So ist zum Bei­spiel das bur­gen­län­di­sche Pro­jekt Pannoniamed.net auf dem bes­ten Weg. Andere wer­den wohl folgen.

Drei Fra­gen an Chris­toph Schweighofer

Stell­ver­tre­ten­der Obmann der Kurie nie­der­ge­las­sene Ärzte und Sty­ria­med-Refe­rent der Ärz­te­kam­mer Steiermark

ÖÄZ: Als Initia­tor von Styriamed.net sind Sie auch selbst von Anfang an in die­sem Netz­werk tätig – mit wel­chen Erfah­run­gen?
Schweig­ho­fer: Ich selbst bin mit mei­ner Arbeit als Haus­arzt im Netz­werk viel zufrie­de­ner. Das höre ich auch von vie­len mei­ner Kol­le­gen, dass es ihnen auch so geht. Wir Ärz­tin­nen und Ärzte im Netz­werk ste­hen in engem Kon­takt mit­ein­an­der, kön­nen so alle Behand­lungs­schritte auf­ein­an­der abstim­men, bei Zuwei­sun­gen zu nie­der­ge­las­se­nen Fach­ärz­ten genauso wie bei der Zuwei­sung in ein Spital.

Was hat sich in Ihrer täg­li­chen Arbeit kon­kret geän­dert?
Es zeigt sich ein­mal mehr, wie wich­tig die Kom­mu­ni­ka­tion unter­ein­an­der ins­ge­samt ist. So zum Bei­spiel ach­ten die Spi­tals­ärzte bei den Ent­las­sungs­brie­fen ver­mehrt dar­auf, dass es kon­krete Hand­lungs­emp­feh­lun­gen für uns Haus­ärzte gibt. Und wir Nie­der­ge­las­sene wis­sen durch den inten­si­ve­ren Aus­tausch mit unse­ren Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen im Spi­tal, wel­che Vor­un­ter­su­chun­gen not­wen­dig sind.

Wie bewährt sich die­ses Sys­tem bei den Pati­en­ten?
Bei einer Eva­lu­ie­rung 2012 haben 75 Pro­zent der befrag­ten Pati­en­ten ange­ge­ben, sich bes­ser ver­sorgt zu füh­len. Einer der Haupt­gründe dafür ist, dass sich die Pati­en­ten dar­auf ver­las­sen kön­nen, dass der Haus­arzt sie durchs Sys­tem lotst. Rund zwei Drit­tel der Ärzte geben an, dass sich das Pati­en­ten­ma­nage­ment ver­bes­sert hat. Aber nicht nur die Pati­en­ten haben Vor­teile durch Styriamed.net, son­dern auch das Gesund­heits­we­sen: Die vor­han­de­nen Res­sour­cen wer­den opti­mal genutzt, was eine grö­ßere Kos­ten­ef­fi­zi­enz mit sich bringt, ohne dass die Behand­lungs­qua­li­tät dar­un­ter leidet.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 20 /​25.10.2015