Zukunft im Spitalswesen: Am Ende der Geduld?

10.02.2015 | Politik

Wenn es um die Zukunft des Spitalswesens geht, ist Geduld fehl am Platz: Nach langen Diskussionen müssen jetzt endlich Maßnahmen gesetzt und Strukturen geändert werden. Ärztemangel, Arbeitsverdichtung, Bürokratisierung etc. zwingen dazu. Sonst ist die Versorgung in Gefahr, waren sich Experten aus dem Gesundheitswesen bei einer Veranstaltung in Wien einig.
Von Marion Huber

Die Veranstaltung „Zukunft Gesundheit“ der Karl-Landsteiner-Gesellschaft fand Mitte Jänner dieses Jahres bereits zum zwölften Mal statt: Experten des Gesundheitswesens waren diesmal eingeladen, ein gemeinsames Bild zur Zukunft des Spitals zu entwickeln. Zwölf hat es nämlich auch für das Spitalswesen geschlagen, „wenn nicht sogar schon Zehn nach Zwölf“, wie Univ. Doz. Otto Traindl, Präsident des Verbandes der leitenden Krankenhausärzte Österreichs, zu Beginn der Veranstaltung betonte. Wie sollen die Versorgung und das Zusammenspiel von ambulant und stationär in Zukunft ablaufen? Und wie kann das vor dem Hintergrund der Ressourcen und Möglichkeiten gelingen? Auf diese Fragen wollte man Antworten finden.

„Wenn man die Fragen lebt, lebt man vielleicht allmählich, ohne es zu merken, eines fremden Tages in die Antworten hinein.“ Das hat Rainer Maria Rilke in seinem Gedicht „Über die Geduld“ geschrieben. Zeit, Geduld und Muße sind aber fehl am Platz, wenn man an die drastischen Entwicklungen im Spitalswesen denkt. Die Arbeit verdichtet sich, die Patienten strömen ungehindert in die Spitäler; gleichzeitig werden die personellen Ressourcen immer weniger. Und das sind bei weitem nicht alle Problemfelder. Eines war damit für alle Experten am Podium klar: Über die Phase der Diskussion ist man hinaus, jetzt muss man Maßnahmen setzen.

Der gelernte Österreicher weiß, dass die Aussage „Wir machen es so, weil es immer so war“ oft als Rechtfertigung dient. Gabriele Jaksch, Präsidentin des Dachverbandes der gehobenen medizinischtechnischen Dienste, ist das aber zu wenig: „Wir müssen trotzdem etwas verändern, auch wenn es bis jetzt halbwegs funktioniert hat.“ Aber wie kann man eingefahrene Systeme ändern? Das Motto muss lauten: neue Wege gehen, internationale Modelle heranziehen und auf Österreich umlegen. Jaksch ist überzeugt: „In den Gesundheitsberufen steckt noch so viel mehr Potential drinnen, das man nutzen muss.“

In der Krise liegt auch eine Chance, meint Univ. Prof. Karlheinz Tscheliessnigg, Vorstandsvorsitzender der KAGes (Steiermärkische Krankenanstaltengesellschaft mbH.): „Endlich kann man neue, effiziente Strukturen einführen.“ Und das muss man auch. Die Entwicklungen vom Wertewandel, der Feminisierung der Ärzteschaft über die Globalisierung und Technisierung zwingen uns dazu. Die zunehmende Individualisierung tut das Ihre: Patienten wollen individuell behandelt werden; die Ärzte wollen individuell arbeiten. „Zu Recht“, betonte Tscheliessnigg. Denn noch viel ausgeprägter als bei den Finanzen ist der Ressourcenmangel laut Traindl beim Personal. Der Ärztemangel baut sich dramatisch auf – gepaart mit der neuen Arbeitszeit- Regelung für Spitalsärzte. Traindl dazu: „Das ist keineswegs eine Entwicklung, die es erst seit gestern gibt.“

Man müsse mit der Ressource „Arzt“ sorgfältiger umgehen als heute, forderte der Bundeskurienobmann der Angestellten Ärzte in der ÖÄK, Harald Mayer, eindringlich. Deshalb hat sich die Bundeskurie Angestellte Ärzte in einem Prozess proaktiv damit auseinandergesetzt, wie man als Spitalsarzt in Zukunft arbeiten könnte. Ergebnis ist das Konzept „Spitalsärztin/ Spitalsarzt 2025“, das neue Organisations- und Kooperationsstrukturen beschreibt, die Ärzten wie Patienten Vorteile bringen. (Details siehe ÖÄZ 15/16 vom 15. August 2014).

Als eines der Kernprobleme im Spitalswesen identifiziert Mayer die „Rund-umdie- Uhr-Selbstzuweisung“ der Patienten. Um die Ambulanzen zu entlasten und die Patientenströme besser zu koordinieren, müsste man den Zugang ins Spital neu regeln, so Mayer: „Nur noch kompetente Zuweiser wie niedergelassene Allgemeinmediziner und Fachärzte, ärztliches Personal in Pflegeheimen sowie Gruppenpraxen sollen die Patienten zuweisen.“ Schuld daran, dass der Patient frei zwischen den Versorgungsebenen wählt und beliebig hin und her wechselt, ist für Traindl, dass der niedergelassene und stationäre Bereich zu wenig verzahnt seien.

Strukturen integriert betrachten

Was Harald Gaugg, Geschäftsführer des Gesundheitsfonds Steiermark, der Gesundheitsreform abgewinnen kann: „Wenn die Zielsteuerung etwas leistet, dann das, dass das Gesundheitssystem und die Strukturen jetzt einmal integriert betrachtet werden.“ Die Schwäche liege aber darin, dass es kein Bild gebe, wo das System hingehen soll, wer welche Funktion ausfüllt etc. Dass die Spitäler auch in Zukunft eine zentrale Rolle spielen, ist für Gaugg und Traindl klar; klar ist aber auch, dass die Krankenhäuser sich vor neuen Strukturen nicht verschließen dürfen. Es werde zu einer Konzentration kommen müssen; kleine Spitäler und Abteilungen müssten sich zentralisieren und spezialisieren. Umsetzen könne man das aber nur gezielt, geordnet, gut überlegt und durchkalkuliert. Wenn es um die Anzahl und Verteilung der Spitalsstandorte geht, sei aber die Politik „nicht immer hilfreich“, wie der Bundeskurienobmann der Angestellten Ärzte, Mayer, hinzufügte. Wenn die medizinische Versorgung effizient sein soll, dürften Bundesländergrenzen keine „unüberwindbaren Barrieren“ sein; man müsse vielmehr in neuen Versorgungsregionen denken und planen. Aber auch Primary Health Care oder Einzelpraxen und konzentrierte Spitäler allein werden nicht reichen, ist sich Gaugg sicher; dazwischen braucht es auch andere Versorgungsformen. Das Ziel: Ein ausgebautes Primary Health Care-System mit allen anderen Berufsgruppen neben dem Allgemeinmediziner, flächendeckend mit Koordinationsfunktion für Patienten, damit alle Leistungen verfügbar sind. Zur Entlastung des Systems und um den Patienten zu führen, werde der Generalist mit breiter Ausbildung wieder wichtiger werden. Was nicht bedeuten soll, dass Generalisten Spezialisten ersetzen oder umgekehrt. Sie müssen sich ergänzen, wie Mayer betonte. Am anderen Ende der Versorgung stehen konzentrierte Krankenhäuser. Das Angebot zwischen diesen Fixgrößen wird für Stadt und Land unterschiedlich sein müssen, meint Gaugg; an einem „massiven Ausbau“ von Primary Health Care werde aber seiner Ansicht nach nichts vorbeiführen.

Wieder näher zusammenrücken

Ärzte, Pflege und andere Gesundheitsberufe müssen wieder näher zusammenrücken, appellierte Traindl: „Wenn das System trotz Ärztemangel funktionieren soll, müssen wir gewisse Tätigkeiten auslagern.“ Alle Gesundheitsberufe müssten dort eingesetzt werden, wofür sie ausgebildet sind. Auch Mayer ist davon überzeugt, dass in einem gemeinsamen Prozess viel erreicht werden kann: „Vorausgesetzt, jeder schaut einmal aus seinem Schrebergarten heraus.“

Welche Versorgungsangebote es künftig auch sein werden – sie alle müssen so gestaltet sein, dass sie für Patienten verwendbar sind, forderte auch Gaugg: „Momentan ist das überhaupt nicht gegeben.“ In der Nacht, am Wochenende, an Feiertagen haben nur Ambulanzen offen; die Patienten hätten keine Möglichkeit, auszuweichen. So gesehen erachtet Gaugg die Debatte über Primary Health Care für sinnvoll. Sinnlos werde es dann, wenn man immer wieder zusätzliche Strukturen schafft, so seine Kritik: „Es ist tödlich, immer noch eine Ebene draufzusetzen.“

Für die Experten steht fest: Wird weiterhin so langsam diskutiert, wird man den nVersorgungsauftrag für die Patienten bald nicht mehr erfüllen können. Denn: „Wir haben den Eisberg zwar erkannt, auf den wir zufahren – wir reagieren aber nicht“, so Traindl abschließend.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 3 / 10.02.2015