Recht: Krankschreiben aus Gefälligkeit?

25.11.2015 | Politik

Das Ausstellen einer Arbeitsunfähigkeitsbestätigung („Krankschreiben“) ohne taugliche medizinische Begründung kann zu ernsthaften Konsequenzen führen: disziplinarrechtlich, strafrechtlich und zivilrechtlich. Krankschreiben ist nämlich ärztliche Begutachtung, für die zahlreiche Rechtsnormen zu beachten sind.
Von Johannes Zahrl*

Ärzten ist vielfach nicht bewusst, dass ihr Handeln eine gutachterliche Tätigkeit darstellt. Wer denkt schon – wenn er ein ärztliches Attest über eine Turnbefreiung oder eine andere Bestätigung für die Schule ausstellt – daran, dass dafür die allgemeinen Regeln des Ärztegesetzes über die Begutachtung gelten, wie sie auch für umfangreiche Gerichtsgutachten Anwendung finden? Andere Beispiele lassen sich leicht anfügen: Gesundheitsatteste bei Anstellungen, ärztliche Zeugnisse in Zusammenhang mit Pflegefreistellungen, Sporttauglichkeitszeugnisse, Feuerwehruntersuchungen, Bestätigungen nach Kassenverträgen, Privatgutachten für Versicherungen, Gutachten für Pensions- und Unfallversicherungen, Blutalkohol- und Suchtgiftuntersuchungen, Führerscheinuntersuchungen uva.

Auch die Arbeitsunfähigkeitsmeldung ist rechtlich gesehen ein Gutachten! Der Krankenversicherungsträger muss eine Entscheidung treffen, für die er medizinisches Fachwissen benötigt. Dieses haben jedenfalls seine Vertragspartner, die Kassenärzte. Letztere untersuchen eine Person und ziehen aufgrund ihres Fachwissens den Schluss, ob diese Person arbeitsfähig ist oder nicht. Die Feststellung des Arztes ist für die Entscheidung des Krankenversicherungsträgers jedenfalls von großer Relevanz. Der krankschreibende Arzt hat einen Befund und ein Gutachten erstellt.

Das ÄrzteG sieht für die Erstellung von Befund und Gutachten spezifische Regelungen vor. Besondere Bedeutung erlangt in diesem Zusammenhang § 55 ÄrzteG: „Ein Arzt darf ärztliche Zeugnisse nur nach gewissenhafter ärztlicher Untersuchung und nach genauer Erhebung der im Zeugnis zu bestätigenden Tatsachen nach seinem besten Wissen und Gewissen ausstellen.“

Nach § 55 ÄrzteG hat einem ärztlichen Gutachten und damit auch der Arbeitsunfähigkeitsmeldung im Regelfall also eine ärztliche Untersuchung vorauszugehen. Ein absolutes Verbot, ärztliche Zeugnisse und Gutachten ohne vorhergehende persönliche Untersuchung zu erstellen, wird aus § 55 ÄrzteG weder von der Lehre noch von der oberstgerichtlichen Rechtsprechung abgeleitet. Diese Bestimmung ist als genereller Grundsatz zu sehen, der sich aufgrund der ausdrücklichen Betonung der Gewissenhaftigkeit, gegen jede Form von „Blanko-Bescheinigungen“ und „Gefälligkeitsgutachten“ richtet. Das Unterlassen einer – an sich möglichen – Untersuchung wird nur in begründungspflichtigen Ausnahmefällen zulässig sein, etwa weil sich der Arzt auf andere Weise ausreichende Gewissheit über die zu beurteilenden Tatsachen verschaffen kann. Für die Arbeitsunfähigkeitsmeldung bedeutet das ganz konkret: Im Regelfall kommt sie nur nach erfolgter gewissenhafter Untersuchung durch den behandelnden Arzt in Betracht. Hängt die Beurteilung umgekehrt lediglich von der Schilderung der Symptomatik durch einen dem Arzt ohnehin bekannten Patienten ab (war dieser etwa einige Tage davor beim Arzt und stellt sich nun eine Verschlechterung seines Zustands ein), so kann eine Arbeitsunfähigkeitsmeldung auch aufgrund telefonischer Mitteilungen des Patienten oder auch eines Dritten (zum Beispiel eines Angehörigen) erfolgen. Die Beurteilung einer solchen Situation durch den Arzt ist aber immer die Voraussetzung.

Aufgrund dieser Rechtslage ist Ärzten aber mit größtem Nachdruck von jeder Form einer Arbeitsunfähigkeitsmeldung ohne medizinisch wirklich nachvollziehbaren Grund – etwa aus Gefälligkeit gegenüber langjährigen Patienten – abzuraten. Wie eingangs bereits festgehalten, steht man hier schnell und ohne jede böse Absicht „im Kriminal“, denn die Rechtsfolgen sind vielfältig!

Mögliche Sanktionen

Ein Verstoß gegen § 55 ÄrzteG kann zunächst eine Verwaltungsübertretung bedeuten, welche mit einer Geldstrafe bis zu 2.180 Euro zu bestrafen ist (§ 199 Abs 3 ÄrzteG). Weiters ist an disziplinarrechtliche Sanktionen zu denken, da eine Arbeitsunfähigkeitsmeldung, welche in Widerspruch zu § 55 ÄrzteG steht, im Regelfall eine Verletzung von Berufspflichten im Sinne des § 136 Abs 1 Z 2 ÄrzteG darstellen wird. Sehr viel einschneidender sind aber die zivil- und strafrechtlichen Auswirkungen von Gefälligkeitsattesten.

Aus dem Behandlungsvertrag schuldet der Arzt seinem Patienten zunächst eine Behandlung lege artis, daneben aber auch zahlreiche Nebenleistungen wie etwa die ordnungsgemäße Erstellung einer Arbeitsunfähigkeitsmeldung. Unzweifelhaft ergibt sich daher – schuldhaftes Verhalten und die sonstigen Bedingungen einer zivilrechtlichen Haftung vorausgesetzt – eine solche Haftung des Arztes, der beim Ausstellen eines Gefälligkeitsattestes als Sachverständiger tätig wird. Da ein Patient allerdings meist ein Interesse an der falschen Arbeitsunfähigkeitsmeldung haben wird, sind Fälle, in denen dieser seinen Arzt klagt, nicht realistisch. Zu fragen ist aber, ob der Arzt zivilrechtlich nicht auch gegenüber dem Arbeitgeber bzw. gegenüber dem Krankenversicherungsträger, also gegenüber Personen bzw. Institutionen, die am Behandlungsvertrag gar nicht beteiligt sind, haftet. Werden nämlich nach dem dem Sachverständigen erkennbaren Zweck eines Gutachtensauftrages auch Interessen eines bestimmten Dritten mitverfolgt, so erstrecken sich die Sorgfaltspflichten des Gutachters auch auf diesen. Im Ergebnis wird ein Arzt, der aus Gefälligkeit oder aus anderen unsachlichen Gründen eine falsche Arbeitsunfähigkeitsmeldung ausstellt, im Regelfall auch solchen Dritten gegenüber haften.

Weiß der Arzt, dass sein Patient in Wirklichkeit gar nicht krank ist und stellt er dennoch eine Arbeitsunfähigkeitsmeldung aus, so drohen ihm darüber hinaus schwerwiegende strafrechtliche Konsequenzen. Dabei ist zunächst an eine Strafbarkeit wegen Betrugs (§ 146 StGB) zu denken. Den Tatbestand des Betrugs verwirklicht, wer mit Tat- und Bereicherungsvorsatz einen anderen durch Täuschung über Tatsachen in einen Irrtum versetzt, wodurch der Getäuschte zu einer Verfügung veranlasst wird, die ihn selbst oder einen Dritten am Vermögen schädigt. Stellt der Arzt eine falsche Arbeitsunfähigkeitsmeldung mit entsprechendem Vorsatz aus, so täuscht er einen Dritten über den Gesundheitszustand des Patienten. Der Arbeitgeber und/oder der Krankenversicherungsträger werden dadurch in einen Irrtum geführt, welcher zu einer schädigenden Vermögensdisposition (Entgeltfortzahlung) führt. Auch wenn der Arzt nicht unmittelbarer Täter des Betrugs sein wird (das wird der Arbeitnehmer sein), so verwirklicht er damit im Ergebnis als Beitragtäter ein Betrugsdelikt. Da die Täuschung durch „ein anderes solches Beweismittel“ iSd § 147 Abs 1 Z 1 4. Fall StGB erfolgt, wird im Ergebnis sogar ein schwerer Betrug zu bejahen sein, der mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren, übersteigt der Schaden 50.000,- Euro, mit Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren zu bestrafen ist.

Es sei aber ausdrücklich betont, dass eine Strafbarkeit wegen Betrugs ausscheidet, wenn auch nur irgendwelche Symptome einer wirklichen Erkrankung bestehen oder der Patient falsche Angaben macht, die vom Arzt gar nicht oder nur mit unverhältnismäßig großem Aufwand falsifiziert werden könnten. Ein Arzt, der dem Patienten seine Rücken- oder Kopfschmerzen glaubt und aus medizinisch vertretbaren Gründen keine unverhältnismäßig teure Abklärung (zum Beispiel eine sofortige CT- oder MRT-Untersuchung) in die Wege leitet, ihn aber stattdessen krankschreibt, braucht sich vor einer strafrechtlichen Haftung nicht zu fürchten.

Neben der Haftung wegen Betrugs ist aus strafrechtlicher Sicht aber auch noch an eine Strafbarkeit wegen Beweismittelfälschung (§ 293 StGB) zu denken. Nach dieser Norm ist grundsätzlich zu bestrafen, wer ein falsches Beweismittel herstellt oder ein echtes Beweismittel verfälscht und dabei mit dem Vorsatz handelt, dass das Beweismittel in einem gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Verfahren, in einem Ermittlungsverfahren nach der Strafprozessordnung oder im Verfahren vor einem Untersuchungsausschuss des Nationalrates gebraucht werde. Bereits die Abfassung eines Gefälligkeitsattestes kann nach diesem Delikt strafbar sein. Wird ein Kassenarzt wegen einer oder mehrerer mit Vorsatz begangener gerichtlich strafbarer Handlungen zu einer mehr als einjährigen Freiheitsstrafe oder wegen einer mit Bereicherungsvorsatz begangenen gerichtlich strafbaren Handlung rechtskräftig verurteilt, so führt dies automatisch – ohne dass es einer Kündigung durch den Krankenversicherungsträger bedarf – zum Erlöschen seines Kassenvertrages (§ 343 Abs 2 Z 4 ASVG). Bei einer rechtskräftigen Verurteilung wegen eines (schweren) Betrugs, also wegen eines Delikts, das man nur mit Bereicherungsvorsatz begehen kann, tritt diese Rechtsfolge jedenfalls ein.

Im Ergebnis bleibt: Viel größer als die (meist unbegründete) Angst vor einer Haftung wegen Behandlungs- oder Aufklärungsmängeln sollte die Furcht vor den Auswirkungen sogenannter Gefälligkeitsgutachten sein! Die Rechtsfolgen solcher Malversationen können Existenz-bedrohend sein.

Vgl. auch den sehr viel ausführlicheren Beitrag zu diesem Thema in der Manz-Zeitschrift DAG (Österreichische Zeitschrift für das ärztliche Gutachten), Heft 4/2015, 85.

*) Dr. Johannes Zahrl ist Kammeramtsdirektor der ÖÄK; E-Mail: j.zahrl@aerztekammer.at

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 22 / 25.11.2015