Primary Health Care: Ein Gesetz ist in Arbeit

10.09.2015 | Politik


Eine Punktation für ein PHC-Gesetz hat Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser Ende August präsentiert. Demnach soll es künftig Einzelverträge mit den PHCs geben, in denen sowohl der Leistungsumfang als auch die Honorierung festgelegt ist. Der Stellenplan ist dann Geschichte.
Von Agnes M. Mühlgassner

Nach vielen – nahezu unzähligen – Dementis aus dem Ministerium hat die Gesundheitsministerin selbst allen möglichen Spekulationen ein Ende bereitet: Im Morgenjournal vom 20. August erklärte sie, dass an einem PHC-Gesetz gearbeitet werde. Noch dazu auch sehr flott, wie sich im Zuge des Interviews herausstellte: So sollen die Verhandlungen dazu bereits im September beginnen. Auch äußerte Oberhauser die Hoffnung, dass „wir bis Ende des Jahres diesen Prozess abgeschlossen haben“ – mit dem Beschluss durch das Parlament.

Wenn alles so kommt, wie es jetzt in der Punktation des Ministeriums vorgesehen ist, dann wird sich einiges grundsätzlich ändern. Das sind die wichtigsten Eckpunkte des geplanten Gesetzes:

  • Es soll einen neuen, bundesweit einheitlichen, eigenständigen Gesamtvertrag über die ärztlichen Leistungen der neuen Primärversorgungseinheit geben.
  • Einzelverträge mit den neuen Primärversorgungseinheiten werden hinsichtlich der ärztlichen Leistungen auf Grundlage dieses neuen Gesamtvertrags geschlossen.
  • Der Einzelvertrag wird wesentlich wichtiger als der Gesamtvertrag und enthält detaillierte Regelungen wie zum Beispiel die gesamte Vergütung der mit der Primärversorgung vereinbarten Leistungen.
  • Es soll eine Kündigungsmöglichkeit geben bei Bedarfsänderungen, Nicht-Erfüllung vereinbarter Leistungen oder Änderungen im Organisationskonzept.
  • Die konkreten Planungs- und Qualitätskriterien der neuen Primärversorgungseinheiten erfolgen im ÖSG und RSG durch die Landeszielsteuerungskommission.
  • Der Bedarf an Primärversorgung (Anzahl, Region, Umfang/Größe und Leistungsinhalte) soll im RSG geregelt werden.
  • Die Planung der Stellen in der Primärversorgungseinheit erfolgt im RSG und nicht im Stellenplan. Die an einer Primärversorgungseinheit teilnehmenden Ärztinnen und Ärzte sind auf den Stellenplan anzurechnen.

Verwundert angesichts der nun präsentierten Punktation zeigt sich ÖÄK-Präsident Artur Wechselberger – hat man doch monatelang darüber diskutiert, wie dieses Team um den Hausarzt aussehen soll und ist ja letztlich zu einem Konsens gekommen. Wechselberger dazu: „Was nun auf dem Tisch liegt, weicht klar von dem akkordierten Modell ab. Plötzlich soll es nun doch Einzelverträge geben, die eine höhere Wertigkeit als der Gesamtvertrag bekommen und Detailregelungen enthalten sollen“. Der ÖÄK-Präsident weist außerdem darauf hin, dass es schon jetzt einen Gesamtvertrag mit der Ärztekammer gibt, von dem die Einzelverträge mit den Ärzten abgeleitet werden. Wolle man das auch für die Primärversorgung, brauche man kein eigenes Gesetz, so Wechselberger, denn „das steht schon im ASVG“. Wieso es nun dennoch ein Gesetz geben soll? Als Grund dafür vermutet der ÖÄK-Präsident, dass der künftige Gesamtvertrag unter Ausschluss der Ärztekammer gemacht werden soll. Weshalb der einzelne Arzt wohl künftig einem „mächtigen Gegner“ – nämlich der Sozialversicherung – ausgeliefert wäre, wenn der Schutz durch die Ärztekammer nicht mehr gegeben ist. Schließlich stelle sich – angesichts der geplanten leichteren Kündigungsmöglichkeit solcher Einzelverträge – auch die Frage, wer noch das Risiko einer Ordinationsgründung auf sich nehmen werde.

Generell sei eine Verbilligung der Medizin zu befürchten, die auf dem Rücken der Patienten ausgetragen werden soll – und zwar in Form einer qualitativ schlechteren Versorgung der Patienten. Die so gerne als Vorzeigemodelle strapazierten Versorgungssysteme in den skandinavischen Staaten seien nicht 1:1 auf die regionalen Gegebenheiten in Österreich übertragbar. Dass es zu einer Ausdünnung der wohnortnahen Versorgung im niedergelassenen Bereich kommt, befürchtet der Kurienobmann der niedergelassenen Ärzte in der ÖÄK, Johannes Steinhart. Nicht nur das: „Es verwundert mich doch sehr, dass Gesundheitsministerin Oberhauser als eine der höchsten Gewerkschafterinnen einen Großangriff auf den ärztlichen Kollektivvertrag vorbereitet.“ Steinhart sieht darin auch einen „ersten großen Schritt“ hin zur Zentralisierung des Gesundheitswesens und Ausprägung als Nachfragemonopol durch die Sozialversicherung, der der einzelne Arzt gegenübersteht. Auch kann er das Vorpreschen der Ministerin zum jetzigen Zeitpunkt nicht ganz nachvollziehen: Habe man sich doch beim ersten PHC-Pilotprojekt in Wien, das auf fünf Jahre angelegt ist, darauf verständigt, sich hier einmal die Ergebnisse der Evaluierung anzusehen. „Die Politik will hier etwas umsetzen, was noch nicht erprobt ist. Das Gesetz zielt auf eine Schwächung der Ärzteschaft ab – wir Ärztinnen und Ärzte sind ja nicht in die Gestaltung eingebunden.“ Das könne auch nicht im Interesse der Patienten sein. Und Steinhart kündigt Widerstand an: „Sollte das Gesetz so kommen wie vorgesehen, werden wir unsere Patientinnen und Patienten über die Folgen einer solchen radikalen Strukturänderung informieren.“


Zustimmung für ihr Vorhaben erntete Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser von der Obfrau der Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK), Ingrid Reischl, und von SPÖ-Gesundheitssprecher Erwin Spindelberger. Reischl verweist auf den in Österreich ersten Pilotversuch eines Primärversorgungszentrums in Wien Mariahilf, der „sehr gut“ angenommen werde. Reischl sieht in den neuen Versorgungsformen eine „Win-Win-Situation“ für alle Beteiligten, weswegen sie „eine gesetzliche Regelung wert sind“.
Auch Spindelberger begrüßt die angekündigte gesetzliche Stärkung der Primärversorgung und appelliert an die Ärztekammer: „Ich erwarte mir von der Ärztekammer eine konstruktive Verhandlungsführung, bei der die Interessen der Patienten und gerade auch junger Ärzte im Mittelpunkt stehen und nicht die Standespolitik.“


Aus der Sicht der NEOS habe man „viel zu lange am klassischen Hausarztmodell festgehalten“. Deren Gesundheitssprecher Gerald Loacker bedauert, dass der neue Entwurf „keineswegs schnell“ zur Umsetzung kommen wird. „Die Bedingungen für Ärzte sind untragbar, weil an veralteten Beschränkungen nichts geändert wird.“ Gruppenpraxen wären der natürliche Vorläufer der Primärversorgungszentren. Diese würden jedoch durch die Regelungen der Kassenverträge und durch das Verbot der Anstellung von Ärzten bei Ärzten „de facto unmöglich gemacht“. Würde die Regierung den Gruppenpraxen endlich mehr Freiheit geben, wäre die Entwicklung von Primärversorgungszentren für die jeweiligen Ärzte „der nächste logische Schritt“, so Loacker weiter. „So wird diese Entwicklung jedoch von vornherein verhindert.“ Das Tempo der Umsetzung selbst – bis 2016 soll ein Prozent der Bevölkerung in Primärversorgungszentren behandelt werden – bezeichnet Loacker als „definitiv zu langsam“.


Der Gesundheitssprecher der ÖVP, Erwin Rasinger, lehnt den geplanten Aufbau einer neuen Primärversorgung ab. Das sei weder sein politischer Wille noch jener der ÖVP, betont Rasinger. PHCs würden eine „deutliche Verschlechterung“ der Gesundheitsversorgung bedeuten. Erste Anlaufstelle für den Patienten müsse der Hausarzt sein, der auf allen Ebenen aufgewertet werden müsse. Diese Aufwertung des Hausarztes sei auch im Regierungsprogramm festgeschrieben – nicht jedoch die Zentren.


Heftige Kritik kommt von der FPÖ. Gesundheitssprecherin Dagmar Belakowitsch-Jenewein sieht als Ziel der „Gesundheitsreform sozialistischen Zuschnitts die Errichtung einer Gesundheitsversorgung á la DDR“. Demnach sollten die Primärzentren den niedergelassenen Arzt des Vertrauens verdrängen. Das Gesundheitssystem könnte ihrer Ansicht nach gesunden, wenn die Einsparungspotentiale in der Verwaltung durch die Krankenversicherungsträger genutzt würden. Die SPÖ-Gesundheitsreform mache das System bundesweit noch kränker als es schon ist, so Belakowitsch-Jenewein.


Die Grüne Gesundheitssprecherin Eva Mückstein begrüßt, dass die Reform der Primärversorgung in Schwung kommt. Im Zuge dessen dürften die solidarische Versorgung der Patienten und die kollektivvertraglichen Gesamtvertragsregelungen nicht aufgelöst werden. Skeptisch betrachten die Grünen die Einzelverträge für jede neue Primärversorgungseinheit. Mückstein: „Es besteht die Gefahr, dass es dann zu Ausschreibungen kommt und Billigstbietende den Zuschlag bekommen.“ Abgelehnt werden die privatwirtschaftliche Organisation bei der Errichtung der Primärversorgungszentren und ein reines Diktat der Krankenkassen. „Primärversorgungszentren dürfen nicht der erste Schritt zur Privatisierung des Gesundheitssystems mit allen nachteiligen Folgen werden“, warnt Mückstein.


PHC-Gesetz: Die Details

Primärversorgung: Das will das Gesundheitsministerium

  1. Neue Primärversorgungseinheiten arbeiten als Team zusammen. Sie treten nach außen – gegenüber der Bevölkerung und der Sozialversicherung – als Einheit auf.
  2. Die Arbeit im Team braucht klare Strukturen und Rechtssicherheit. Primärversorgungseinheiten müssen daher über eine eigene Rechtspersönlichkeit verfügen, gemäß den geltenden gesetzlichen Bestimmungen.
  3. Entsprechend den örtlichen Verhältnissen können Primärversorgungseinheiten an einem Standort oder als Netzwerk an mehreren Standorten organisiert sein und zwar in jeder zulässigen Betriebsform in der jeweils zulässigen Rechtsform.
  4. Eine neue Primärversorgungseinheit muss über ein Organisationskonzept verfügen, in dem die Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen explizit und verbindlich festgelegt ist. Das Organisationskonzept ist Voraussetzung für die Invertragnahme durch die Sozialversicherung.

    Vertragsrecht

  5. Als neue Primärversorgungseinheiten mit umfassendem Versorgungsauftrag können nur Vertragseinrichtungen fungieren („Sachleistungsprinzip für Primärversorgungseinheiten“).
  6. Es gibt einen neuen, bundesweit einheitlichen, eigenständigen Gesamtvertrag über die ärztlichen Leistungen der neuen Primärversorgung. Für neue Primärversorgungseinrichtungen sind ausschließlich die Bestimmungen dieses neuen Gesamtvertrages maßgeblich.
  7. Dieser neue Gesamtvertrag regelt die Grundzüge der ärztlichen Hilfe in neuen Primärversorgungseinrichtungen.
  8. Einzelverträge mit den neuen Primärversorgungseinheiten werden hinsichtlich der ärztlichen Leistungen auf Grundlage dieses neuen Gesamtvertrags zwischen Krankenversicherung und Primärversorgungseinheit geschlossen und konkretisieren diesen.
  9. Der konkrete Primärversorgungsvertrag zwischen Sozialversicherung und Primärversorgungseinheit regelt die aus dem Gesamtvertrag abgeleiteten ärztlichen Leistungen und alle anderen Gesundheitsdienstleistungen sowie alle weiteren notwendigen Vertragsinhalte. Der Einzelvertrag wird wesentlich wichtiger und enthält detaillierte Regelungen, wie zum Beispiel die gesamte Vergütung der mit der Primärversorgung vereinbarten Leistungen.
  10. Die Honorierung der Leistungen der Primärversorgungseinheit hat sich aus Grund- und Fallpauschalen, Einzelleistungsvergütungen sowie aus Bonuszahlungen für die Erreichung definierter Ziele zusammenzusetzen.
  11. Das von der Primärversorgungseinheit anzubietende Leistungsspektrum wird verbindlich zwischen Einheit und Sozialversicherung vereinbart.
  12. Bei Nichterreichen eines Gesamtvertrags beziehungsweise Eintreten eines vertragslosen Zustands kann die Sozialversicherung Sonder-Einzelverträge mit Zustimmung der zuständigen Ärztekammer abschließen. Kommt es zu keiner Einigung, so ist aufgrund des öffentlichen Interesses nach Ablauf einer angemessenen Frist ein Abschluss durch die Sozialversicherung möglich.
  13. Es braucht ein Kündigungsregime, das bei Bedarfsänderungen, Nicht-Erfüllung vereinbarter Leistungen oder Änderungen im Organisationskonzept die Kündigung der Verträge ermöglicht.
  14. Bei der Auflösung einer Primärversorgungseinrichtung sind Übergangsregelungen für das Wiederaufleben von in die Primärversorgungseinrichtung eingebrachten Einzelverträgen vorzusehen.

    Planung von Primärversorgungseinheiten

  15. Die konkreten Planungs- und Qualitätskriterien der neuen Primärversorgungseinheiten – soweit nicht schon gesetzlich festgelegt – erfolgen im Rahmen der integrierten Planung im ÖSG und im RSG durch die Landeszielsteuerungskommission:
    • Der ÖSG gibt die bundesweiten Parameter vor.
    • Der RSG stellt die regionale Planung auf Basis der Vorgaben des ÖSG dar.
  16. Da neue Primärversorgungseinheiten nur als Sachleister bestehen können, ist der Bedarf an Primärversorgung im RSG abschließend zu regeln (insbesondere im Hinblick auf Anzahl, Region, Umfang/Größe und Leistungsinhalte).
  17. Ein im RSG festgestellter Bedarf beziehungsweise ein entsprechender Beschluss der Landeszielsteuerungskommission ersetzen ein behördliches Bedarfsprüfungsverfahren für Gruppenpraxen und Ambulatorien.
  18. Die Planung der Stellen in Primärversorgungseinheiten erfolgt im RSG und nicht im Stellenplan. Die an einer Primärversorgungseinheit teilnehmenden Ärztinnen und Ärzte sind auf den Stellenplan, insbesondere im Hinblick auf frei werdende Stellen, anzurechnen.

    Auswahl einer Primärversorgungseinheit

  19. Ist ein Bedarf im RSG oder per Einzelbeschluss durch die Landeszielsteuerungskommission festgestellt, hat die Sozialversicherung ein objektives Auswahlverfahren zur Invertragnahme der Primärversorgungseinheit durchzuführen. In einem ersten Schritt ist das Auswahlverfahren innerhalb einer angemessenen Frist auf bestehende Vertragspartner beschränkt.

 

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 17 / 10.09.2015