Pharma-Rahmenvertrag: Nix ist fix

25.10.2015 | Politik

Die Gespräche zwischen Hauptverband und Pharmaindustrie über den millionenschweren Arzneimittelrabatt sind ins Stocken geraten.
Von Agnes M. Mühlgassner

Ende des Jahres läuft er aus, der zwischen Hauptverband und Pharmaindustrie vereinbarte Pharma-Rahmenvertrag. 2008 erstmals abgeschlossen, wurden in den ersten drei Jahren insgesamt 180 Millionen Euro von der Pharmaindustrie zur Verfügung gestellt. Der Generalsekretär der Vereinigung der Pharmazeutischen Industrie Pharmig, Jan Oliver Huber, zeigte sich damals erfreut darüber, dass es „ohne legistische oder rechtliche Vorgaben und ohne Androhung von Zwangsmaßnahmen der Politik gelungen ist“, einen derartigen Vertrag zustande zu bringen. Die am 1. Juli 2011 vereinbarte Verlängerung läuft nun mit Jahresende aus; insgesamt wurden in diesem Zeitraum 82 Millionen Euro durch die Pharmawirtschaft gutgebucht. Neu daran ist, dass 6,75 Millionen Euro davon im Rahmen gemeinsamer Gesundheitsziele zweckgebunden sind – und zwar für Kindergesundheit und Prävention.

Doch jetzt spießt es sich. „Wir liegen de facto noch weit auseinander“, sagt Huber zum aktuellen Stand der Gespräche mit dem Hauptverband. Zwar bezeichnete er es als „Sinn“ des Pharma-Rahmenvertrages, den Hauptverband und die Krankenkassen bei der Kostendämpfung zu begleiten. „Aber es kann nicht sein, dass die pharmazeutische Industrie die Verantwortung für die steigenden Kosten hat.“ Als Kostentreiber sieht Huber die demographische Entwicklung – zwei Drittel aller Medikamente werden über 60-Jährigen verordnet – und die Innovationen.

Der Hintergrund für die nun virulent gewordene Diskussion rund um die Pharmarabatte: Die Krankenkassen rechnen für heuer mit einem Verlust von 129,3 Millionen Euro, nachdem sie im Vorjahr noch ein Plus von 88 Millionen Euro verzeichnen konnten. In der „aggressiven Preispolitik“ und dadurch steigenden Ausgaben für Medikamente sowie den steigenden Arbeitslosenzahlen sieht Hauptverbandschef Peter McDonald die Ursachen für diese Entwicklung. Geht man von seinem Ansatz aus, – er rechnet mit einer Steigerung von sieben bis acht Prozent bei den Arzneimittelkosten – besteht eine Finanzierungslücke von 125 Millionen Euro, die es zu schließen gilt. Die Therapie laut Peter McDonald: Die Rabatte von Pharmaindustrie und Großhandel von derzeit 18 auf 65 Millionen Euro anheben; weitere 60 Millionen sollen durch Preisreduktionen erzielt werden – vor allem bei Generika.

So gab es laut Hauptverband im ersten Quartal dieses Jahres bei den Arzneimittelausgaben eine Steigerung von zehn Prozent. Der Anteil der Ausgaben der sozialen Krankenversicherung für Medikamente betrug im Jahr 2014 knapp 3,2 Milliarden Euro (19 Prozent der Ausgaben der sozialen Krankenversicherung), 3,94 Milliarden Euro (24 Prozent) für ärztliche Hilfe und 4,69 Milliarden Euro (29 Prozent) für die Spitäler. Bei den Arzneimitteln selbst wurde beispielsweise 2008 ein Anstieg von 7,81 Prozent verzeichnet; ab 2009 ging er wieder zurück auf Werte zwischen 0,42 und 2,49 Prozent. 2014 wurde neuerlich eine Steigerung registriert – diesmal um 5,78 Prozent.

Im Jahr 2004 lagen die Kosten pro Verordnung bei 18,87 Euro; zum Vergleich: 2014 bei 22,57 Euro, was einer Steigerung von 4,97 Prozent entspricht. Die verordnungsstärksten therapeutischen Untergruppen im Jahr 2014 waren Mittel mit Wirkung auf das Renin-Angiotensin-System, Pharmaka gegen säurebedingte Erkrankungen, Psychoanaleptika sowie Mittel, die den Lipidstoffwechsel beeinflussen. 2014 betrugen die Kosten dafür pro Versichertem 426 Euro.

Wiener GKK im Minus

Mit dem größten Minus in diesem Jahr – prognostiziert sind rund 65 Millionen Euro – muss die Wiener GKK rechnen. Laut Obfrau Ingrid Reischl sind die neuen Medikamente für die Behandlung der Hepatitis C „allein für die Hälfte des Abgangs“ verantwortlich, die der Wiener GKK innerhalb eines Jahres 30,3 Millionen Euro gekostet haben. Eine Packung Sovaldi® mit 28 Stück kostet 14.270 Euro; drei bis vier Packungen pro Patient sind erforderlich.

Mit der Einführung eines Strukturfonds vor fünf Jahren wurde eine weitere Maßnahme zur Sanierung der Kassen gesetzt: Bei Erreichen von bestimmten vorgegebenen Finanzzielen erhielten die Krankenkassen Geld. Waren es zu Beginn im Jahr 2010 einmalig 100 Millionen Euro, folgten von 2011 bis 2014 jeweils 40 Millionen Euro. Nach einer einjährigen Pause wird der Kassenstrukturfonds nun neuerlich für die Jahre 2016 bis 2018 eingeführt – mit zehn Millionen Euro ist er allerdings deutlich geringer dotiert als früher.

Evelyn Walter vom Institut für pharmaökonomische Forschung hat im Rahmen ihrer Studie Preisentwicklungen am europäischen Pharmamarkt untersucht. Verglichen wurden dabei die in Österreich erhältlichen erstattungsfähigen Arzneimittel; der Spitalsmarkt war nicht enthalten. Als Vergleichswerte wurden die Preise der EU15 (EU ohne Dänemark und inclusive Schweiz) sowie der EU25 (Europa insgesamt) herangezogen. Um überhaupt Vergleiche anstellen zu können – wegen unterschiedlicher Packungsgrößen – wurden Standard-Units festgelegt: als etwa eine Tablette, eine Ampulle, eine Spritze etc.

In Österreich wurden 2014 im EU15-Vergleich 19,15 Packungen pro Kopf verschreiben; im EU25-Schnitt waren es 17,6 Packungen. Spitzenreiter ist Frankreich (38,8 Packungen), gefolgt von Griechenland (25,75 Packungen) und Großbritannien (25,13 Packungen). Mit etwas weniger als zehn Packungen rangieren Finnland und Estland am unteren Ende der Skala. Mit minus 3,3 Prozent sei der österreichische Arzneimittelverbrauch im EU-Vergleich „leicht unterdurchschnittlich“, sagt Evelyn Walter. Interessanter Nebenaspekt: 20 Prozent der abgegebenen Packungen liegen schon unter der Rezeptgebühr.

Auch bei den Fabriksabgabepreisen liegt Österreich 2014 mit 12,34 Euro im europäischen Vergleich mit minus 1,4 Prozent leicht unter dem Schnitt; EU15-Mittelwert: 12,51 Euro. An der Spitze liegen Frankreich (22,49 Euro) und die Schweiz (19,58 Euro). Schlusslichter sind hier Polen (4,77 Euro) und Rumänien (4,48 Euro).

Der heimische Kassenpreis im erstattungsfähigen Markt wiederum beträgt pro Packung 15,97 Euro exklusive Umsatzsteuer – und ist mit minus 7,12 Prozent „unterdurchschnittlich“ (Walter) im EU15-Vergleich. (EU15-Mittelwert: 17,20 Euro/Packung). Den zweithöchsten Kassenpreis pro Packung weist Deutschland mit 28,24 Euro auf.

Deutschland: Zwangsrabatte

Versicherte müssen für jedes Arzneimittel in der Apotheke zuzahlen, und zwar zehn Prozent des Verkaufspreises; höchstens zehn Euro und mindestens fünf Euro – jedoch nicht mehr als den Arzneimittelpreis. Seit 1989 gibt es für Gruppen vergleichbarer Arzneimittel – vor allem Generika – Arzneimittelfestbeträge. Dabei handelt es sich um Höchstbeträge für die Erstattung von Arzneimittelpreisen, da die Krankenkassen nicht automatisch jeden Preis zahlen, sondern nur Festbeträge. Verschreibt ein Arzt ein Arzneimittel, dessen Preis über dem Festbetrag liegt, muss der Patient den Differenzbetrag aufzahlen oder er erhält ein anderes, therapeutisch gleichwertiges Arzneimittel ohne Aufzahlung. Der Anteil an Verordnungen von Festbetrags-Arzneimitteln beträgt rund 78 Prozent.

Darüber hinaus kann jede Krankenkasse für patentfreie Arzneimittel mit Pharmafirmen weitere Rabatte ausverhandeln und an die Versicherten weitergeben. So sind seit Juli 2014 rund 53 Prozent aller abgegebenen Packungen mit wirkstoffgleichen Arzneimitteln durch Rabattverträge der Krankenkassen abgedeckt.

Neue patentgeschützte Arzneimittel, die eine therapeutische Verbesserung bedeuten, sind von der Festbetragsbildung ausgenommen. Für diese Arzneimittel müssen die Pharmafirmen den Krankenkassen einen gesetzlich vorgegebenen Rabatt von sechs Prozent des Abgabepreises einräumen. Für patentfreie, wirkstoffgleiche Arzneimittel erhalten die Krankenkassen zehn Prozent Rabatt.

Quelle: Deutsches Bundesministerium für Gesundheit

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 20 / 25.10.2015