Vorstellungen der künftigen Ärztegeneration: „Sonst sind wir weg…“

10.02.2015 | Politik

Wenn angehende Ärzte an ihre Zukunft denken, denken sie vor allem an Eines: dass sich im österreichischen Gesundheitswesen etwas ändern muss. Sonst sind sie weg. Die Vertreter der jungen Generation sind flexibel, mobil und haben ihre eigenen Vorstellungen vom und Ansprüche an den Arztberuf. Welche das sind, erzählen sie im Gespräch mit der ÖÄZ. Von Marion Huber

Die österreichische Landschaft ist etwas Schönes – und bald ist sie vielleicht auch das Einzige, das junge Ärzte noch im Land hält“, kritisiert Lukas Wedrich, stellvertretender Vorsitzender in der ÖH (Österreichische Hochschülerschaft) Med Wien. Aber ob das ausreicht? Der Alltag zeigt schon heute: Viele erfahrene Ärzte verlassen die Krankenhäuser und Ordinationen; die Jungen flüchten gleich scharenweise ins benachbarte Ausland.

Die Gründe dafür sind bekannt: Arbeitsbedingungen, Work-Life-Balance, Karrierechancen etc. – um nur einige zu nennen. Nur: Gegenmaßnahmen wurden bislang wenige bis gar keine getroffen. „Da spielen zurzeit so viele Faktoren mit“, schildert Wedrich, der die Ansichten der angehenden Ärzte aus erster Hand kennt. „Unsere Generation hat einfach keine Lust, 70 Stunden pro Woche im OP Haken zu halten, um vielleicht in vielen Jahren einmal Karriere zu machen.“ Wenn er an seine Zukunft denkt, denkt er auch an Familie, soziale Kontakte und ein gutes Arbeitsklima. All das erlaube das jetzige System aber kaum, so Wedrich weiter: „Und wenn, dann nur mit harten Gehaltseinbußen, die den Job wegen der trotzdem sehr hohen Verantwortung sehr unattraktiv machen.“

Unter den derzeitigen Bedingungen könnten es sich viele junge Ärzte nicht vorstellen, in Spitälern zu arbeiten – weder heute noch für ihren weiteren Lebensweg, betont Falk Preißing, ebenfalls stellvertretender Vorsitzender der ÖH Med Wien. Was die Jungen kritisieren: die Anzahl der Wochenstunden, das Grundgehalt, die Sichtweise der Gesellschaft, die geringe Wertschätzung durch die Politik, die Anzahl der Patienten pro Arzt und Schicht und vieles mehr. Auch der Turnus ist für viele angehende Ärzte, die direkt mit der Facharzt-Ausbildung beginnen wollen, „ein Stein, der ihnen in den Weg gelegt wird“, so Preißing. International gebe es viel attraktivere Systeme und Angebote. Die junge Generation sei enorm flexibel, sagt er: „Für uns ist es überhaupt kein Problem, im Ausland unser Glück zu suchen.“ Schon im Studium werde vermittelt, wie wichtig Internationalität und Mobilität sind.

Umso mehr ist Wedrich „verärgert, dass sich die Verantwortlichen jetzt wundern, wenn wir das für unseren Vorteil nutzen“. Denn das Ausland biete vieles, was in Österreich fehlt: Skandinavien etwa lockt mit Wohnungen, Sprachkursen, Kinderbetreuungsplätzen, Programmen für ganze Familien – noch dazu mit einem attraktiven Gehalt und einer flachen Hierarchie im Krankenhaus. Zumindest was das Gehalt betrifft, hätten auch die deutschsprachigen Nachbarländer „die Nase deutlich vor unseren Spitälern“, betont Wedrich. Inwieweit sich die jetzt angelaufenen Reformen der Gehaltssysteme auf dieses Missverhältnis auswirken, wird die Zukunft zeigen. Und die Ausbildung? Vor mehr als zehn Jahren möge das Medizinstudium ein „großer Meilenstein“ gewesen sein, so Wedrich. Die Grundidee des integrativen Studiums beurteilen die ÖH Med- Vertreter als positiv; auch die frühe Einbindung von klinischen Elementen im Studium sei international noch eine Seltenheit. Am Papier sehe das Studium daher sicher gut aus, so Wedrich. Und weiter: „Leider gibt es wie so oft in der Umsetzung große Probleme.“ Als größtes Manko sehen die ÖH Med-Vertreter das derzeitige Prüfungssystem. Einmal im Jahr wird mit einer großen Multiple-Choice-Prüfung der gesamte Jahresstoff abgeprüft. Weil nicht für jeden Prüfungstermin neue Fragen erstellt werden könnten, würden viele Studierende ab dem ersten Jahr vor allem die Fragen vergangener Prüfungen auswendig lernen. „Mit dem klinischen Alltag und dem späteren Berufsbild des Arztes hat das alles sehr, sehr wenig zu tun“, resümiert Preißing. Was zu tun ist, liegt für die ÖH Med-Vertreter auf der Hand: Das Medizin-Studium muss reformiert werden – weg von Multiple- Choice-Fragen hin zu Fall-Vignetten oder intelligenten E-Learning-Modulen.

Die Turnus-Ausbildung per se im jetzigen System beurteilt Preißing zwar als nicht schlecht; allerdings gehe es vor allem um das „Wie“ und nicht nur um das „Was“. Die künftigen Ärzte müssten viel mehr für ihre Arbeit wertgeschätzt werden. „Anstatt als Systemerhalter angesehen zu werden, müssen sie endlich ihre Rolle als Auszubildende wahrnehmen dürfen.“ Die Lehre müsse prinzipiell einen höheren Stellenwert bekommen; die Lehrenden müssten sich ihrer Verantwortung gegenüber den Turnusärzten mehr bewusst werden, fügt Wedrich hinzu, denn: „Medizin kann nur in der Praxis gut vermittelt werden.“ Essentiell für beide ÖH-Vertreter ist ein gutes Betreuungsverhältnis zwischen Lehrenden und Lernenden. „Und dazu gehört auch, dass man Operationen, Krankheitsbilder, Therapien, Gespräche etc. hören, sehen und kennenlernen kann und nicht nur für Briefe und Blutabnahmen abgestempelt wird“, betont Preißing. Sowohl Wedrich als auch Preißing fordern mehr Wertschätzung für die junge Generation ein: „Der Gedanke, dass wir Jungen nur mehr Geld wollen, ist falsch“, sagt Wedrich. Adäquate Bezahlung sei zwar wichtig, habe aber längst nicht mehr den Stellenwert, den sie etwa für Vertreter der älteren Generation hatte. „Junge Ärzte wollen keine Militärhierarchien in ihrer Arbeit und sie wollen ein Leben außerhalb des Spitals.“ Was also muss geschehen? „Das österreichische Gesundheitswesen muss endlich im 21. Jahrhundert ankommen“, fordert Wedrich. Preißing ergänzt: „Die Politik muss merken, dass sie mit dem jetzigen Fahrplan in eine Sackgasse fährt.“

Die junge Ärztegeneration sei flexibel und schlau genug, um sich Alternativen zu suchen. Beginnen müsse man mit einer anderen, besseren Einstellung gegenüber den Ärzten und Studierenden. „Nur wenn die Politik erkennt, dass etwas getan werden muss und die Qualität der Ausbildung nicht hält, was sie auf dem Papier verspricht, kann sich etwas ändern“, so Preißing.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 3 / 10.02.2015