Mys­tery Shop­ping: Staat­lich geneh­migte Bespitzelung

15.07.2015 | Politik

Mit Schein­pa­ti­en­ten, absicht­lich fal­schen Anga­ben und eige­nen Test-E-Cards sol­len Ärzte unter dem Man­tel des Sozi­al­be­trugs­be­kämp­fungs­ge­set­zes kon­trol­liert wer­den. Die ÖÄK will mit Auf­klä­rungs­ar­beit gegen das geplante „Mys­tery Shop­ping“ vor­ge­hen; auch ÖVP-Gesund­heits­spre­cher Erwin Rasin­ger ist vehe­ment dage­gen und sieht darin einen „fata­len Feh­ler“. Von Marion Huber

„Die Ärz­te­schaft ist auf­ge­bracht“, kon­sta­tiert ÖÄK-Prä­si­dent Artur Wech­sel­ber­ger in einer Pres­se­kon­fe­renz. Das Mys­tery Shop­ping – das „Bespit­zeln von Ärz­ten durch Schein­pa­ti­en­ten“ –, das im Rah­men des Sozi­al­be­trugs­be­kämp­fungs­ge­set­zes umge­setzt wer­den soll, sei aus Sicht der Ärzte ein „untrag­ba­res Ansin­nen“. Nicht umsonst habe die Voll­ver­samm­lung der Ärz­te­kam­mer im Rah­men des 131. Ärz­te­kam­mer­ta­ges Ende Juni ein­stim­mig eine Reso­lu­tion dazu beschlos­sen. „Die Ärz­te­schaft fühlt sich dadurch in ihren Grund­fes­ten bedroht“, erklärte der ÖÄK-Präsident.

Ein Arzt gehe grund­sätz­lich davon aus, dass ein Pati­ent, der ärzt­li­che Hilfe sucht, auch Hilfe braucht und krank ist. Könne man die­ses Grund­ver­trauen nicht mehr vor­aus­set­zen, werde das nur zu einem füh­ren: „Man schafft Miss­trauen dort, wo Empa­thie herr­schen muss und zer­stört einen Raum des Ver­trau­ens“, wird doch damit laut Wech­sel­ber­ger eine der Grund­fes­ten der Arzt-Pati­ent-Bezie­hung unter­lau­fen. Die Folge seien zusätz­li­che Unter­su­chun­gen und Absi­che­rungs­me­di­zin – aber nicht auf einer medi­zi­ni­scher Grund­lage basie­rend, son­dern weil der Arzt „kei­nen Angriffs­punkt“ für Schein­pa­ti­en­ten und Kran­ken­kasse bie­ten möchte.

Mit der Umset­zung des Mys­tery Shop­ping würde die „pau­schale Vor­ver­ur­tei­lung von Ärz­ten und Bevöl­ke­rung“ in ein Gesetz geschrie­ben, so Wech­sel­ber­ger wei­ter: „Das zeigt, was der Staat von sei­nen Bür­gern hält.“ Mys­tery Shop­ping ist für Wech­sel­ber­ger damit „ein objek­ti­ver Feh­ler“. Denn die Zahl der Miss­brauchs­fälle mit E‑Cards sei wirt­schaft­lich irrele­vant: „Das bringt nichts und hin­ter­lässt nur einen bit­te­ren Nach­ge­schmack.“ Auch den Gedan­ken, die Kran­ken­stands­tage in Öster­reich damit noch wei­ter her­un­ter­zu­schrau­ben, kann Wech­sel­ber­ger nicht nach­voll­zie­hen. Die Kran­ken­stands­tage seien bereits auf einem nied­ri­gen Niveau; immer weni­ger Men­schen wür­den – auch wenn der Arzt es ihnen rät – den Kran­ken­stand gerne in Anspruch neh­men. Würde man die Zahl wei­ter redu­zie­ren wol­len, werde man kranke Men­schen dazu drän­gen, aus Angst gar nicht mehr in den Kran­ken­stand zu gehen und „das ist eines Lan­des wie Öster­reich unwürdig“.

Schon seit vie­len Jah­ren ortet der ÖÄK-Prä­si­dent, dass ver­schie­dene Stel­len nach Macht und Kon­trolle im Gesund­heits­we­sen stre­ben. Glau­ben sie doch, die Ver­sor­gung kran­ker Men­schen über das Bud­get regeln und kon­trol­lie­ren zu kön­nen, wie Wech­sel­ber­ger wei­ter aus­führt: „Sie wol­len spa­ren und zen­tra­lis­tisch füh­ren und set­zen den Hebel bei den Ärz­ten an.“ Ein Aus­wuchs des­sen sei auch das jetzt geplante Mys­tery Shop­ping. Was die ÖÄK dage­gen tun wird? Wäh­rend die Ärz­te­kam­mer Wien in einer Reso­lu­tion neben Pro­test­maß­nah­men auch einen Streik nicht aus­schließt, setzt die ÖÄK auf Öffent­lich­keits- und Auf­klä­rungs­ar­beit. „Wir wol­len die kurze Zeit, die bis zum mög­li­chen Beschluss bleibt, zur Auf­klä­rung und Infor­ma­tion nut­zen“, so Wech­sel­ber­ger. Außer­dem gehe die ÖÄK davon aus, dass „die Abge­ord­ne­ten des Natio­nal­rats dem Gene­ral­ver­dacht gegen alle Öster­rei­che­rin­nen und Öster­rei­cher nicht zustim­men wer­den“. Alle Abge­ord­ne­ten haben einen Brief der ÖÄK erhal­ten, in dem sie auf­ge­ru­fen wer­den, diese „unsach­li­chen, über­schie­ßen­den, unver­hält­nis­mä­ßi­gen“ Pas­sa­gen des Geset­zes­ent­wurfs zum „Mys­tery Shop­ping“ abzulehnen.

„Ärzte sind zurecht empört“

Dass die Ärzte „zurecht empört“ sind, betonte auch Erwin Rasin­ger, Gesund­heits­spre­cher der ÖVP, vor kur­zem vor Jour­na­lis­ten. Er könne die­sen Vor­stoß des Gesund­heits­mi­nis­te­ri­ums inhalt­lich „nur mit Kopf­schüt­teln“ kom­men­tie­ren: „Das Minis­te­rium zer­stört welt­weit ein­ma­lig das Arzt-Patienten-Verhältnis.“

Unter­bin­den und bestra­fen wolle man – so Rasin­ger – mit­hilfe des „Mys­tery Shop­pings“:
1. dass E‑Cards mehr­fach miss­bräuch­lich ver­wen­det wer­den,
2. dass unrich­tige Kran­ken­stands­be­stä­ti­gun­gen aus­ge­stellt wer­den und
3. dass Leis­tun­gen absicht­lich falsch abge­rech­net werden.

Wofür all das? Es wird behaup­tet, man könne 15 Mil­lio­nen Euro – 0,7 Pro­zent der Bei­trags­summe – dadurch ein­spa­ren. „Die­sen angeb­li­chen Ein­spa­run­gen ste­hen bei einer Umset­zung aber auch Kos­ten gegen­über“, gibt Rasin­ger zu beden­ken. Bei jeder der Gebiets­kran­ken­kas­sen müss­ten soge­nannte Miss­brauchs­ein­hei­ten gegrün­det wer­den – etwa nach dem Vor­bild der MEP-(Missbrauch-Entdecken-Prävention)-Abteilung in der Wie­ner GKK. Genau diese Metho­den der WGKK hat das Wie­ner Lan­des­ge­richt aber erst Anfang des Jah­res als „bedenk­lich“ kri­ti­siert. „Und jetzt soll vom Staat per Gesetz legi­ti­miert wer­den, dass alle öster­rei­chi­schen Ärzte prin­zi­pi­ell als Gau­ner ver­däch­tigt wer­den und fal­sche Pati­en­ten im Vier-Augen-Gespräch nach Geset­zes­wunsch des Minis­te­ri­ums offi­zi­ell fal­sche Anga­ben machen müs­sen“, zeigt sich Rasin­ger fas­sungs­los. Auch fal­sche E‑Cards – eigens zu Test­zwe­cken her­ge­stellt – wer­den da als pro­bate Mit­tel gese­hen, um Ärzte mit­tels Mys­tery Shop­ping zu kontrollieren.

„Selbst­ver­ständ­lich“ ist Rasin­ger nicht gegen Kon­trol­len, aber die Kran­ken­kas­sen „haben ja jetzt schon alle Mög­lich­kei­ten und jede Menge Kon­troll­me­cha­nis­men“, um Kran­ken­stände und Auf­fäl­lig­kei­ten zu über­prü­fen und Pati­en­ten zu befra­gen. „Im sel­ben Augen­blick, in dem ein Arzt jeman­den krank mel­det, hat die Kran­ken­kasse alle Infor­ma­tio­nen.“ Und auch um E‑Card-Miss­brauch ein­zu­schrän­ken, könnte man es ein­fa­cher haben: „Was die Wie­ner Linien, jeder Fit­ness­club etc. schafft, müsste der Haupt­ver­band auch schaf­fen – ein Foto auf der E‑Card zu plat­zie­ren.“ Wieso man statt­des­sen jetzt Bespit­ze­lung staat­lich vor­schrei­ben will, ver­steht Rasin­ger des­halb umso weni­ger. Und auch die geplante Bestra­fung bei Ver­stö­ßen steht für Rasin­ger in kei­ner Rela­tion: „Betrof­fe­nen Ärz­ten den Kas­sen­ver­trag zu kün­di­gen, bedroht deren Exis­tenz. Das ist völ­lig überzogen.“

Die im Par­la­ment beschlos­sene Ände­rung des Bank­ge­heim­nis­ses sei offen­sicht­lich mehr wert als das ver­trau­ens­volle Arzt-Pati­en­ten-Ver­hält­nis. Man konnte sich beim Bank­ge­heim­nis schluss­end­lich zumin­dest dar­auf eini­gen, dass ein Rich­ter die Kon­ten­ein­sicht geneh­mi­gen muss und selbst gegen diese Ent­schei­dung Beschwerde bei einem Rich­ter­se­nat ein­ge­legt wer­den kann, bevor Kon­ten­ein­sicht geneh­migt wer­den muss. „Auch das Mys­tery Shop­ping müsste als Min­dest­maß der Rechts­kon­trolle unter­lie­gen. Es kann nicht allein im Ermes­sen der Kran­ken­kas­sen lie­gen, was wie wann getan wird“, for­derte Rasin­ger. Es sei ein „mas­si­ver Kul­tur­bruch“ und dürfe nicht sein, dass das Gesetz erlas­sen wird, ohne dass man die zustän­dige Stan­des­ver­tre­tung anhört.

Mehr­fach habe er Gesund­heits­mi­nis­te­rin Sabine Ober­hau­ser gesagt, dass sie mit die­sem Gesetz „einen fata­len Feh­ler“ mache. Und er habe ihr offi­zi­ell, noch vor dem Minis­ter­rat am 16. Juni 2015, vor­ge­schla­gen wenigs­tens fol­gen­den Satz im Geset­zes­ent­wurf zu ergän­zen: Die Prüf­or­gane dür­fen gegen­über dem Arzt keine unrich­ti­gen Anga­ben über ihren Gesund­heits­zu­stand machen. „Das wurde abge­lehnt“, ist Rasin­ger ent­täuscht und kün­digt an, dem Ent­wurf „sicher nicht“ zuzu­stim­men: „Ober­hau­sers fata­ler Feh­ler wird das Arzt-Pati­en­ten-Ver­hält­nis, wel­ches zu 100 Pro­zent auf Ver­trauen auf­ge­baut ist, schwer beschädigen.“

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 13–14 /​15.07.2015