KA-AZG und Ausbildung: Änderungen notwendig

25.11.2015 | Politik

Die kürzere Arbeitszeit durch die Novelle des KA-AZG hat Auswirkungen auf den Spitalsalltag. Wie sie sich ganz konkret auf die Ausbildung auswirkt, diskutierten Turnusärzte-Vertreter der Landesärztekammern vor kurzem bei einem von der ÖÄZ veranstalteten Round Table. Fazit: Ob Ausbildung gelingt, ist immer auch eine Frage der Ausbildungskultur.
Von Marion Huber

Wir konsumieren die hart erkämpften Vorteile als Person, aber wir kompensieren die Konsequenzen als Team“ – diese Aussage von Karlheinz Kornhäusl, Bundeskurienobmann-Stellvertreter der Kurie angestellte Ärzte in der ÖÄK, gibt prägnant zusammengefasst wieder, wie die Novelle des KA-AZG den Spitalsalltag verändert hat. „Aus persönlicher und privater Sicht ist es ein Hit, nach 25 Stunden Dienst nachhause gehen zu können“, zeigt Michaela Zalka, Turnusärzte-Vertreterin der Ärztekammer Burgenland, die positive Seite der Medaille auf. Die andere Seite: im Arbeitsalltag merke man es „extrem“, dass jetzt Stellen fehlen. Von zwölf zusätzlichen Stellen, die man an ihrer Abteilung bräuchte, seien nur zwei bewilligt worden. „Das bricht uns regelmäßig das Genick“, schildert Zalka, die Assistenzärztin am Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Eisenstadt ist. Als Arzt in Ausbildung schwanke man im Klinikalltag oft zwischen Unterforderung und vollkommener Überforderung, weiß sie aus eigener Erfahrung: „Ich bin teilweise an meinem Krankenhaus die Einzige im Dienst, die einen Herzschrittmacher einsetzen könnte. Das habe ich aber ohne Backup nie gemacht und ich mache es auch nicht.“ Regelmäßig blieben Arbeiten, die früher am Vormittag erledigt worden wären, für den Nachmittagsdienst liegen; diensthabende Ärzte würden „mindestens“ zwei Stunden Zeit damit verbringen, das abzuarbeiten, was von den Diensthabenden am Vormittag nicht erledigt werden konnte. Denn auch wenn niemand pünktlich zu Arbeitsschluss alles fallen lasse, müsse man das Gesetz einhalten, so Kornhäusl: „Die Arbeit bleibt dann für den nächsten Diensthabenden liegen.“ Dass seit der Novelle „einfach Personal fehlt“, erlebt auch Doris Pecival, Turnusärzte-Vertreterin der Ärztekammer Tirol, im Klinikalltag. „Wenn ein Arzt nicht im Opt out ist, ist er natürlich jetzt sehr viel weg.“ Und das sei für den regulären Betrieb „ein großes Problem“, wenn nicht zusätzliche Stellen geschaffen werden, die man nach der Novelle des KA-AZG so dringend bräuchte. An vielen Abteilungen kämpfe man jetzt massiv mit der täglichen Arbeitsbelastung und gerate immer mehr unter Druck: „Alles hinkt hinten nach.“

Man hätte die Situation in der Übergangszeit der KA-AZG-Novelle dennoch entschärfen können, ist Kornhäusl überzeugt. „Wären die Spitalsträger mit Wertschätzung und Plan an die Sache herangegangen, hätte man vieles ohne Eskalationsszenario regeln können.“

Jetzt sei man in der Situation, dass die Bedingungen untertags „wirklich grenzwertig“ sind, weiß Zalka: „Es geht einfach nichts mehr.“ Die Oberärzte seien dermaßen mit Arbeit eingedeckt, dass sich die Ausbildung seit der Novelle des KA-AZG in einigen Bereichen „massiv verschlechtert“ hat, sind sich die Turnusärzte-Vertreter einig. Zalka bringt es auf den Punkt: „Ausbildung ist nur marginal und irrsinnig schwer möglich. Es geht nur durch persönlichen Einsatz.“ Wie Zalka selbst damit umgeht? „Ich bleibe im Spital, wenn ich außer Dienst bin, weil sonst einfach keine Zeit ist, um etwas zu lernen.“ Auch wenn Ausbildung momentan nur so stattfinden könne, sei das „genau nicht der Sinn“ der KA-AZG-Novelle, dass man die Freizeit im Krankenhaus verbringe, um zu lernen. „Und ich bin sicher kein Einzelfall“, ist Zalka überzeugt. Was von theoretisch möglichen 100 Prozent Ausbildung nun übrig bleibt? „Vielleicht 30 Prozent“, schätzt sie. Zalka möchte damit aber keinesfalls den Ausbildnern etwas vorwerfen: „Es ist einfach keine Zeit da.“

An der verfügbaren Zeit allein liege es aber nicht, wie gut ein Arzt ausgebildet ist. „Wenn ich es als Abteilungsleiter beziehungsweise als Abteilung nicht schaffe, einen jungen Arzt in 48 Stunden auszubilden, schaffe ich es auch in mehr Stunden nicht“, ist Kornhäusl überzeugt. Es hänge auch davon ab, wie man den Tag und den Dienst organisiert. „Man muss den verfügbaren Stunden mehr Inhalt geben – und das geht“, glaubt Kornhäusl: „Da sind die Abteilungsleiter gefordert“ – ganz nach dem Motto: Wie sinnvoll wird die Zeit – auch wenn sie noch so begrenzt ist – genutzt? Es sei eine Frage der Ausbildungskultur und des Stellenwerts der Lehre. Das gilt für die Ausbildner ebenso wie für die jungen Ärzte, sagt Doris Müller, Turnusärzte-Vertreterin der Ärztekammer Oberösterreich: „Man muss auch als junger Arzt seine Ausbildungszeit intensiv nutzen und sich engagieren.“

Kontinuität geht verloren

Auch wenn Ärzte nach einem Nachtdienst „irrsinnig dankbar“ sind, dass sie in der Früh nachhause gehen können, tut sich damit ein weiteres Problem auf: Die Kontinuität geht verloren. „Oft sind Kollegen am nächsten Tag nicht mehr da, wenn man etwas von ihnen bräuchte“, erzählt Müller, die als Sekundarärztin am Klinikum Wels-Grieskirchen tätig ist. Ein Problem, das Kornhäusl kennt – und das aus seiner Sicht immer schlagender wird: gibt es doch auch immer mehr Ärzte, die Teilzeit arbeiten möchten. „Die Kontinuität, die man früher hatte, gibt es heute natürlich nicht mehr, aber das kann auch kein Argument sein, dem alten System hinterher zu weinen“, sagt Kornhäusl. Für Abteilungsleiter mache das die Diensteinteilung zwar nicht leichter; Lösungen müsse man trotzdem finden. Denn am Trend zu kürzeren Arbeitszeiten und mehr Teilzeit-Anstellungen komme man über kurz oder lang nicht vorbei. Wer die Kontinuität im Arbeiten wahren möchte, wird an seiner Kommunikation und Übergabekultur arbeiten müssen, ist Kornhäusl überzeugt: „Es wird in Zukunft noch viel wichtiger werden, gezielt wichtige Informationen weiterzugeben.“ Kürzere Arbeitszeiten durch die KAAZG-Novelle, mehr Ärzte in Teilzeit, mehr Frauen im Arztberuf etc. „Das ist die Realität und damit muss man arbeiten, anstatt über vergossene Milch zu weinen“, fasst Kornhäusl pragmatisch zusammen. Das System, seine Strukturen, die Arbeitsbedingungen müssten an die neue Situation angepasst werden. Wie das gehen kann? Zalka formuliert es kurz und knapp: mehr Personal, eine durchdachte Struktur und ein Plan dahinter. „Wir brauchen einfach mehr Ärzte, wir brauchen verschiedene Arbeitszeitmodelle und Flexibilität“, stimmt Pecival zu. Nur so könne man der Novelle des KA-AZG Rechnung tragen: „Wenn man das bietet, wird man auch wieder mehr arbeitswillige Ärzte finden.“

Ein Bereich, in dem es angesichts der Entwicklung – Feminisierung der Medizin und Teilzeit – auch noch viel zu tun gibt, ist die Kinderbetreuung. Immerhin sind mittlerweile knapp 65 Prozent derjenigen, die sich in der Facharzt-Ausbildung befinden, Frauen; in der Ausbildung zum Allgemeinmediziner sind es sogar fast 75 Prozent. Kornhäusl dazu: „Bei der Kinderbetreuung hinken wir in Österreich sehr weit hinterher – gesamtgesellschaftlich wie auch im Spitalsbereich per se.“ Auch wenn die Novelle des KA-AZG der Familienfreundlichkeit entgegenkommt, ist es für Kornhäusl ein „Armutszeugnis“, dass es nicht möglich ist, in jedem Krankenhaus Kinderbetreuungsmöglichkeiten anzubieten. Bislang sei es nur vereinzelt gelungen, Projekte in Gang zu setzen. „Es tut sich zwar etwas – aber es muss noch mehr werden“, fordert Kornhäusl.

Was passiert, wenn man nicht mehr tut, sieht man schon heute: Es ist ein regelrechter „Wanderzirkus“ entstanden. Die Angehörigen der jungen Generation sind mobil und gehen dorthin, wo sie die besten Bedingungen vorfinden. So berichtete etwa Kornhäusl von einer Kollegin, die in Österreich ihre Ausbildung begonnen hatte, aber dann nach Deutschland wechselte. Ihre Erfahrung: „Auch dort fließen nicht Milch und Honig. Sie arbeitet viel. Aber in der Zeit, in der sie arbeitet, wird sie verdammt gut ausgebildet“, erzählt Kornhäusl. Vieles steht und fällt für einen jungen Arzt mit der Qualität der Ausbildung, ist Kornhäusl überzeugt: „Die Ausbildung ist schließlich meine Zukunft, sie ist die Zukunft von allen Jungärztinnen und Jungärzten.“ Und immer wieder sind es drei Säulen, auf die es laut Kornhäusl ankommt:

Ausbildungsqualität, Arbeitsbedingungen und Gehalt. Dass sich da sicher nicht von heute auf morgen alles zum Guten wenden wird, das ist auch Kornhäusl bewusst: „Es ist ein permanentes Arbeiten und Evaluieren.“ Apropos evaluieren: Erst kürzlich hat die ÖÄK eine Umfrage über die Ausbildungssituation von Fachärzten gestartet. Dabei sollen die Befragten ihre Erfahrungen und Verbesserungsvorschläge mitteilen. „Die Fahnenstange ist nie erreicht, das perfekte System gibt es nicht“, sagt Kornhäusl, „aber wir müssen Mittel und Wege finden, wie wir unsere jungen Ärzte halten können“. Kreativ sein – heißt es da. „Wer diesen Zug versäumt, ist definitiv auf dem Abstellgleis.“ An einer Abteilung oder einem Krankenhaus allein wird man das Problem aber nicht lösen können, glaubt Kornhäusl: „Es ist ein Problem des Gesamtsystems. Deshalb kann es auch nur durch einen Umbruch im Gesamtsystem gelöst werden.“

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 22 / 25.11.2015