Wie Jung­ärzte ihre Zukunft sehen: „Wir brau­chen mehr Zeit“

25.06.2015 | Politik

Sie wol­len die Freude an ihrem Beruf nicht ver­lie­ren und auch in Zukunft noch gerne Arzt sein: Öster­reichs Jung­ärz­tin­nen und Jung­ärzte wis­sen genau, was sie wol­len. Was sie behin­dert und was genau sie dazu brau­chen, dar­über dis­ku­tier­ten Tur­nus­ärzte-Ver­tre­ter der Lan­des­ärz­te­kam­mern bei einem von der ÖÄZ ver­an­stal­te­ten Round Table.Von Marion Huber

Im Alter von fünf Jah­ren wusste Patrick Cle­mens genau, was er wer­den will: Arzt. „Und ich bin gerne Arzt“, sagt der Vor­arl­ber­ger, der mitt­ler­weile als Assis­tenz­arzt an der Abtei­lung für Strah­len­the­ra­pie-Radio­on­ko­lo­gie am Lan­des­kran­ken­haus Feld­kirch tätig ist. Er möchte auch in Zukunft noch gerne Arzt sein. Aber was wünscht sich ein jun­ger Arzt in sei­nem Arbeits­all­tag? Was braucht es, damit man gerne zur Arbeit ins Kran­ken­haus geht? Wäh­rend man in letz­ter Zeit durch die Gehalts­ver­hand­lun­gen haupt­säch­lich von Geld spricht, zäh­len für junge Ärz­tin­nen und Ärzte – abge­se­hen vom Gehalt – in ers­ter Linie die Arbeits- und Aus­bil­dungs­be­din­gun­gen. „Geld allein ist es bei wei­tem nicht; das ist nur ein Aspekt. Wert­schät­zung – das zählt“, sagt Cle­mens, der auch Obmann-Stell­ver­tre­ter der Kurie Ange­stellte Ärzte in der Ärz­te­kam­mer Vorarlberg.

Auch von Work-Life-Balance, Ent­las­tung von „Sys­tem­er­hal­ter-Tätig­kei­ten“ und fle­xi­blen Arbeits­zeit­mo­del­len ist immer wie­der die Rede. Ent­schei­dend bei all dem ist der Fak­tor „Zeit“. Zeit für die Pati­en­ten, die kaum noch vor­han­den sei; Zeit für die Aus­bil­dung, die oft fehle; Zeit, die ein­ge­spart wer­den muss, obwohl die Arbeits­last für jeden ein­zel­nen Arzt zunehme. Da kommt auch die Novelle des Kran­ken­an­stal­ten-Arbeits­zeit­ge­set­zes ins Spiel: „In man­chen Abtei­lun­gen gibt es jetzt Zeit­aus­gleichs-Blö­cke, wo man sich frei­neh­men muss“, schil­dert Doris Peci­val, Tur­nus­ärzte-Ver­tre­te­rin der Ärz­te­kam­mer Tirol. Wenn tags­über Ärzte abge­zo­gen wer­den, bleibt weni­ger Zeit am Pati­en­ten. Die Arbeit muss aber trotz­dem erle­digt wer­den – „die rest­li­chen Kol­le­gen müs­sen sie dann bewäl­ti­gen“, so Peci­val wei­ter. Zwar würde die junge Gene­ra­tion der Ärzte – im Sinne einer aus­ge­wo­ge­nen Work-Life-Balance – weni­ger Stun­den arbei­ten, aber „als Mann­schaft kom­pen­sie­ren wir das auch“, sagt Cle­mens: „Auch wenn kaum ein Arzt pünkt­lichst die Kelle fal­len lässt, wird es unter­tags zeit­lich immer enger.“ Das mer­ken auch die Pati­en­ten, weiß Peci­val: „Sie berich­ten, dass sie den Arbeits­druck, der auf Ärz­ten las­tet, als extrem wahr­neh­men.“ Und die Pati­en­ten mer­ken auch, dass für Vie­les – allen voran für Gesprä­che – keine Zeit mehr ist.

All das wirke sich auch auf die Aus­bil­dung aus; Zeit und per­so­nelle Res­sour­cen spie­len auch hier eine ent­schei­dende Rolle. Wenn­gleich Cle­mens zu beden­ken gibt, dass es nicht nur an der ver­füg­ba­ren Zeit liegt, wie gut ein Arzt aus­ge­bil­det ist: „Was ich jeman­dem in 48 Stun­den nicht bei­brin­gen kann, schaff ich in 54 Stun­den auch nicht.“ Um Zeit allein geht es also nicht, son­dern um qua­li­ta­tiv hoch­wer­tige Zeit, ist auch Peci­val über­zeugt. Die Frage ist: Wel­che Kapa­zi­tät an Fach­ärz­ten steht zur Ver­fü­gung? Und wie sinn­voll wird die Zeit genutzt? „Es geht um Rou­ti­ne­tä­tig­kei­ten im Gegen­satz zu Tätig­kei­ten, die ein jun­ger Arzt wirk­lich ler­nen muss“, führt die Tur­nus­ärzte-Ver­tre­te­rin wei­ter aus.

Jun­gen Ärz­ten ist es oft nicht gegönnt, beson­ders viel Zeit direkt am Kran­ken­bett, am Pati­en­ten zu ler­nen. Warum? Weil sie ihren Arbeits­tag nur zu oft mit Tätig­kei­ten ver­brin­gen müs­sen, die unter §15 GuKG fal­len, mit Admi­nis­tra­tion und „Zet­tel­wirt­schaft“, kri­ti­siert Karl­heinz Korn­häusl, Bun­des­ku­ri­en­ob­mann-Stell­ver­tre­ter der Kurie ange­stellte Ärzte in der ÖÄK. Und weil es auch immer weni­ger Tur­nus­ärzte gibt, die nach­kom­men, fällt diese Arbeit mitt­ler­weile teil­weise auch auf Fach­ärzte zurück. Korn­häusl kann dafür „null Ver­ständ­nis“ auf­brin­gen: „Die Tätig­kei­ten des mit­ver­ant­wort­li­chen Tätig­keits­be­reichs gehö­ren schon längst vom Pfle­ge­per­so­nal erbracht.“ Wenn er auch zu beden­ken gibt, dass man mitt­ler­weile in Öster­reich „auf einem guten Weg“ sei. Admi­nis­tra­ti­ons­as­sis­ten­ten wird es brau­chen, sind alle drei Tur­nus­ärz­te­ver­tre­ter sicher. Dies sei eine For­de­rung, die man gemein­sam mit den Pfle­ge­fach­kräf­ten umset­zen müsse, denn „auch sie wer­den vom Büro­kra­tie-Wahn­sinn über­schüt­tet“, wie Korn­häusl weiß. Wenn man nicht end­lich weg­kommt vom Zet­tel-Aus­fül­len und Ter­min­ver­ein­ba­ren, von Rou­tine- und Sekre­ta­ri­ats­tä­tig­kei­ten, werde auch kein jun­ger Arzt zufrie­den sein. Ob dafür eine neue Berufs­gruppe wie etwa Sta­ti­ons­se­kre­tä­rin­nen geschaf­fen wer­den soll, sei dahin­ge­stellt. Fakt ist: „Die Trä­ger wer­den gefor­dert sein, die Ärzte, die sie noch haben, durch zusätz­li­che Mit­ar­bei­tende zu ent­las­ten“, so Kornhäusl.

Mas­sive Kri­tik an der der­zei­ti­gen Situa­tion kommt von Korn­häusl: Ist ein Assis­tenz­arzt unter­tags einen Groß­teil sei­ner Zeit ent­we­der mit Admi­nis­tra­tion und Doku­men­ta­tion beschäf­tigt oder er wird in der Ambu­lanz gebraucht; immer öfter hört er, dass ange­hende Chir­ur­gen unter­tags den OP kaum von Innen sehen – „im Nacht­dienst soll man das Ope­rie­ren dann aber kön­nen“. In Neu­see­land etwa sei das anders, erzählt er von sei­nen Erfah­run­gen. Dort wird einem Chir­urg vom ers­ten Tag an einen erfah­re­nen Ober­arzt zur Seite gestellt; der „Junge“ steht vom ers­ten Tag an im OP und ope­riert selbst, der „Erfah­rene“ lehrt.

Was nicht hei­ßen soll, dass erfah­re­nere, ältere Ärzte nicht mehr selbst ope­rie­ren sol­len – im Gegen­teil, stellt Korn­häusl klar: „Aber die Erfah­re­nen sol­len die Mög­lich­keit haben, ihr rei­ches Wis­sen und Kön­nen an die Jun­gen wei­ter­zu­ge­ben.“ Denn ein jun­ger Arzt braucht einen Men­tor, fügt Peci­val hinzu: „Jeman­den, an den man sich wen­den kann, der einen unter­stützt.“ Und für die­sen Men­tor müsse zumin­dest eine halbe Stelle fix als Lehr­stelle defi­niert sein, die nur für die Aus­bil­dung von jun­gen Ärz­ten zur Ver­fü­gung steht. Etwas, das auch als Kar­rie­re­mo­dell für Fach­ärzte inter­es­sant sein kann – zum Bei­spiel die Posi­tion als Funk­ti­ons­ober­arzt, die auch mit Funk­ti­ons­zu­la­gen ent­spre­chend hono­riert wird. In der Stei­er­mark etwa gebe es mitt­ler­weile an jeder Abtei­lung einen Aus­bil­dungs­ober­arzt, wie Korn­häusl, der selbst Stei­rer ist, stolz erzählt. Der Funk­ti­ons­ober­arzt ist es, der sich um den Aus­bil­dungs­stand der jun­gen Ärzte, ihre Zah­len, die Zutei­lung und Orga­ni­sa­tion von Fort­bil­dun­gen etc. küm­mert. Ein Kon­zept, das Korn­häusl für „zukunfts­wei­send“ hält.

Erfah­rene Ärzte als Tutoren

„Know-How hal­ten anstatt in Pen­sion schi­cken“ – ein Leit­satz, den Cle­mens aus Vor­arl­berg gut kennt. Dort wird die­ses Motto gelebt, indem erfah­rene Kol­le­gen im Rah­men von „Tutor­stun­den“ eine direkte Eins-zu-Eins-Aus­bil­dung für junge Ärzte anbie­ten. „Das Wis­sen der erfah­re­nen Ärzte ist so viel wert, wir müs­sen es hüten wie einen Schatz“, ist er über­zeugt. Aber anstatt die­sen Schatz zu heben, wür­den jenen, die bereit sind, über das Pen­si­ons­an­tritts­al­ter hin­aus im Kran­ken­haus tätig zu sein, auch noch Steine in den Weg gelegt, so die Kri­tik von Korn­häusl. Alle drei Tur­nus­ärzte-Ver­tre­ter ken­nen Bei­spiele aus ihren Bun­des­län­dern, wo es erfah­re­nen Ärz­ten durch Hin­der­nisse im Sys­tem mas­siv erschwert wird. Dabei müsste man für die­ses Enga­ge­ment unend­lich dank­bar sein und Anreize schaf­fen. „Leis­tung, die erbracht wird, muss auch etwas wert sein“, sagt Korn­häusl. Und wei­ter: „Wenn die Poli­tik da keine Meter macht, ist Öster­reich da auf dem Abstellgleis.“

Drin­gen­den Hand­lungs­be­darf sieht Cle­mens in der Fort­bil­dung; sie ist ihm ein „Her­zens­an­lie­gen“. An Kon­gres­sen teil­neh­men, sich mit ande­ren aus­tau­schen, Fälle aus der Pra­xis bespre­chen – das soll man als jun­ger Arzt dür­fen. Am Kran­ken­haus Feld­kirch wer­den Assis­tenz­ärz­ten fünf Tage zur Fort­bil­dung gewährt; zusätz­lich ist ein Fort­bil­dungs­bud­get vor­ge­se­hen. „Das sollte es in Zukunft auch für Tur­nus­ärzte geben“, for­dert er. Der­zeit werde ihnen näm­lich nur der Not­arzt­kurs gewährt. „Wir sind dahin­ter, dass da etwas wei­ter­geht“, so Clemens.

Sinn­volle Strukturmaßnahmen

Ins­ge­samt wird es ohne sinn­volle Struk­tur­maß­nah­men nicht gehen, ist Cle­mens über­zeugt. Denn um die Pati­en­ten­ströme bes­ser zu len­ken, wird es neue Mecha­nis­men brau­chen. „Das Schnitt­stel­len­ma­nage­ment mit dem nie­der­ge­las­se­nen Bereich wird noch wich­ti­ger wer­den“, so Korn­häusl. Der­zeit lebe man eher in zwei Par­al­lel­wel­ten, wo „der eine nicht weiß, wie es beim ande­ren läuft“. Beson­ders der unse­lek­tio­nierte Pati­en­ten­zu­strom in die Ambu­lan­zen sei ein „wesent­li­cher Grund, warum sich viele Kol­le­gen nicht vor­stel­len kön­nen, im Spi­tals­be­reich zu blei­ben“, weiß Peci­val. Da gehe es um Arbeits­be­din­gun­gen, Lebens­qua­li­tät – die viel­be­sagte Work-Life-Balance. Kurz gesagt: Das Spi­tals­arzt-Dasein müsse auch fami­li­en­freund­li­cher wer­den, for­dert Korn­häusl. „Es muss doch mög­lich sein, an jedem Spi­tals­stand­ort eine Form von Kin­der­be­treu­ung anzubieten.“

Vie­les muss zusam­men­stim­men, damit die medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung in Öster­reich in ihrer Qua­li­tät erhal­ten bleibt. „Gute Aus­bil­dung, neue wis­sen­schaft­li­che Metho­den, Zeit und gutes Per­so­nal rund­herum – das ist ent­schei­dend für eine qua­li­ta­tiv hoch­wer­tige Arbeit für den Arzt selbst und den Pati­en­ten“, so Cle­mens. Wor­auf er auch hofft: dass jeder ein­zelne Arzt mit­ar­bei­tet, Vor­schläge ein­bringt und diese auch von Ent­schei­dungs­trä­gern ernst genom­men wer­den. „Der Weg der Zukunft ist, dass Dinge auf Augen­höhe bespro­chen wer­den und jeder Mensch mit sei­nen Ideen ange­hört wird“, sind sich die Tur­nus­ärzte-Ver­tre­ter einig.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 12 /​25.06.2015