Erster österreichischer Jungärzte-Kongress: Zukunft aktiv gestalten

15.12.2015 | Politik

Unattraktive Rahmenbedingungen und Systemerhalter-Tätigkeiten sind Hauptgründe, wieso Jungärztinnen und Jungärzte ins Ausland gehen. Welche Chancen die neue Ärzteausbildungsordnung bietet und wie Karriere gelingen kann, waren zentrale Themen bei dem von der Bundeskurie angestellte Ärzte veranstalteten Jungärztekongress Ende November in Wien. Von Verena Isak und Agnes M. Mühlgassner

Alle Anwesenden beim ersten österreichischen Jungärzte-Kongress unter dem Titel #wirsinddiezukunft Ende November in Wien waren sich einig: So kann es nicht weitergehen in Österreich. Der ärztliche Braindrain muss ein Ende haben. Die Erkenntnis, dass die jungen Ärzte nicht in Österreich bleiben wollen, ist mittlerweile auch in der Politik angekommen. Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser: „Wir müssen die Zukunft so planen, dass Studierende nach ihrem Abschluss hier bleiben“ und weiter: „Es wird an der Politik liegen, diese Rahmenbedingungen zu schaffen“, denn Österreich brauche gute und motivierte Ärztinnen und Ärzte.

Zu diesen Rahmenbedingungen zählt auch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Familienministerin Sophie Karmasin, deren erklärtes Ziel es ist, Österreich zum familienfreundlichsten Land zu machen, gestand speziell in der Kinderbetreuung bei den Null- bis Dreijährigen „ein großes Defizit“ ein. Das bewies auch ein Zwischenruf aus dem Publikum: Im Betriebskindergarten des Wiener AKH beträgt die Wartezeit auf einen Platz aktuell viereinhalb Jahre.

Die Anwesenheit der beiden Ministerinnen unterstreiche den Stellenwert der Veranstaltung, betonte der Bundeskurienobmann der angestellten Ärzte in der ÖÄK, Harald Mayer. Es sei das Privileg der Jungen, alles kritisch zu hinterfragen, erklärte ÖÄK-Präsident Artur Wechselberger. Zentral gehe es um die Frage, wie man Arzt sein wollte. Wie die Zukunft aussieht? „Zukunft bedeutet Interdisziplinarität“, ist der ÖÄK-Präsident überzeugt. Dazu kommt, dass sich die Rahmenbedingungen ändern, machte Univ. Prof. Thomas Szekeres, Präsident der Ärztekammer Wien, aufmerksam: Mehr als 50 Prozent der Medizin-Absolventen sind Frauen.

Als Vertreter der Jungärztinnen und Jungärzte betonte Karlheinz Kornhäusl – er ist Obmann der Bundessektion Turnusärzte in der ÖÄK und stellvertretender Kurienobmann der Angestellten: „Ärzte, die in Ausbildung sind, haben ein Recht auf Ausbildung. Dort, wo das nicht passiert, ist das widerrechtlich.“

Ausbildung: der steirische Weg

Den sprichwörtlichen „Steirischen Weg“ in der ärztlichen Ausbildung geht man mit einer speziellen Servicestelle für Ärzte, wie deren Leiterin Jutta Piswanger-Sölkner erklärte. Als Service wird die individuelle Planung der jeweiligen Ausbildung geboten; es geht aber auch um die Entlastung von administrativen Tätigkeiten, Einführungsseminare für Turnusärzte, die Implementierung der neuen Ärzteausbildungsordnung sowie ein umfassendes Bildungsangebot sowohl für die fachliche Fortbildung als auch im Bereich der Kommunikation und Social Skills. Ziel dieser Aktivitäten: die Spitäler des KAGes für Medizin-Absolventen attraktiv zu machen. Im September 2014 war der Start für die Servicestelle; wenn auch Piswanger-Sölkner den Großteil ihrer Tätigkeit der Servicestelle widmet, ist sie jedoch nach wie vor noch zu 20 Prozent als Internistin tätig. Rund 900 Ärztinnen und Ärzte befinden sich derzeit in der Steiermark in Ausbildung; 300 davon in Ausbildung zum Arzt für Allgemeinmedizin; rund 60 Turnusärzte sind bereits nach der Ärzte-Ausbildungs-Ordnung 2015 in Ausbildung.

Worauf es bei der Mitarbeiterbindung ankommt? Erstens auf das Arbeitsklima und zweitens auf die Unterstützung durch Kollegen. Das habe eine Mitarbeiterbefragung von rund 800 Ärzten im Februar 2015 ergeben, erklärte Peter Ausweger, Gesamtleiter des Konvent-Hospitals der Barmherzigen Brüder Linz. Von zentraler Bedeutung sei dabei die Wertschätzung durch die Führungskraft, von der „entsprechende menschliche Qualitäten“ gefordert werden. „Wenn Mitarbeiter gehen, dann nicht, weil sie mit dem Unternehmen nicht zufrieden sind, sondern weil sie mit der Führung nicht zufrieden sind.“

Dass die Jungen eine gute Ausbildung erhalten, ist auch dem steirischen Gesundheits-Landesrat Christopher Drexler wichtig – allerdings müsse man „schon auch ein wenig im Auge behalten, wie sich das finanziell ausgeht“. Die Finanzierung der Spitäler stelle jedenfalls eine Herausforderung für die Länder dar. So hat sich der Abgang der steirischen KAGes von 360 Millionen Euro im Jahr 2011 nahezu verdoppelt: Für 2016 wird ein Abgang von 550 Millionen Euro prognostiziert. Wie soll also bei steigenden Kosten insgesamt eine qualitativ hochwertige Ausbildung möglich sein? Drexler: „Wenn wir eine attraktive Ausbildung und eine flächendeckende Versorgung haben wollen, dann müssen wir uns mit den Strukturen auseinandersetzen.“ Etwa: wie die steirische Spitalslandschaft 2035 aussehen soll – und den Weg dorthin „gemeinsam mit den Ärzten entwickeln.“

Keinen Ärztemangel in Österreich, sondern ein Verteilungsproblem ortet Ernest Pichlbauer, Experte für Gesundheitspolitik und strategische Planung. „Pro Jahr gibt es einen Zuwachs von rund 900 Ärzten im Vergleich zum Vorjahr.“ Von einem „intrinsischen Ärztemangel“, der unter anderem durch einen Mangel an Vertragsärzten verursacht werde, spricht der stellvertretende Kurienobmann der angestellten Ärzte, Univ. Doz. Rudolf Knapp. Ein zentraler Punkt sei seiner Ansicht nach Clinical Leadership – eine Fähigkeit, die „jeder Mediziner haben muss“. Konkret handle es sich dabei um Grundsätze wie Authentizität und Persönlichkeit, Zusammenarbeit, Leistungssteuerung und Leistungsverbesserung sowie Richtungsentscheidungen.

Aktuelle Zahlen über die Mitarbeiterzufriedenheit in Deutschland (siehe Kasten) präsentierte Armin Ehl, Hauptgeschäftsführer des Marburger Bundes. Der Verband der angestellten und beamteten Ärztinnen und Ärzte Deutschlands hat mehr als 140.000 freiwillige Mitglieder. Die Ursachen für die Arbeitsverdichtung – ein betriebswirtschaftlicher Begriff, wie er betont – liegen in der Umstrukturierung, Umorganisation und dem Stellenabbau. In Deutschland sei dies vor allem durch die Einführung von DRGs (Diagnosis-related Groups) erfolgt; der Konkurrenzdruck zwischen den einzelnen Häusern und auch innerhalb der Belegschaft habe dabei auch eine Rolle gespielt. So wurde in Deutschland die Zahl der Krankenhäuser seit 2000 um elf Prozent, die Bettenzahl um zehn Prozent reduziert; die Fallzahlen jedoch um 8,7 Prozent gestiegen. Zahlenmäßig ist es zwar beim ärztlichen Personal zu einem Anstieg von 108.000 (2000) auf 147.000 (2013) gekommen, was jedoch in erster Linie auf das seit 2004 gültige Krankenanstalten-Arbeitszeit-Gesetz zurückzuführen ist. Im gleichen Zeitraum sei es hingegen zu einem „massiven Abbau“ der Pflegekräfte gekommen.

Zitate:

Artur Wechselberger:
„Es ist das Privileg der Jungen, alles zu hinterfragen.“

Rudolf Knapp:
„Wenn irgendwo ein Problem auftritt, dann ist es nichts Anderes als die Verbalisierung der Unzufriedenheit.“

Armin Ehl:
„Wir brauchen eine neue Führungsund Mitarbeiterkultur. Wir kommen mit den militärischen Grundsätzen nicht mehr zurecht. Es muss partizipativer werden.“

Christopher Drexler:
„Ein öffentlich finanziertes Studiensystem ist nicht nur dazu da, den Nobelpreisträger hervorzubringen, sondern auch den Landarzt.“

Jutta Piswanger-Sölkner:
„Wenn Mitarbeiter gehen, dann nicht, weil sie mit dem Unternehmen nicht zufrieden sind, sondern weil sie mit der Führung nicht zufrieden sind.“

Sophie Karmasin:
„Familienfreundlichkeit ist nicht nur eine sozialpolitische Angelegenheit, sondern rechnet sich auch.“

Peter Ausweger:
„Leistung ist kein Sakrileg.“

Karlheinz Kornhäusl:
„Ärzte, die in Ausbildung sind, haben ein Recht auf Ausbildung. Dort, wo das nicht passiert, ist das widerrechtlich.“

Sabine Oberhauser:
„Wir müssen die Zukunft so planen, dass Studierende nach ihrem Abschluss hier bleiben.“

Ärzte-Ausbildung

Ein thematischer Block der Veranstaltung widmete sich der neuen Ärzte-Ausbildung. Martin Wehrschütz, Vorsitzender des Bildungsausschusses der ÖÄK, stellte die Grundzüge des neuen Ausbildungssystems in Österreich vor. Die Ziele: eine Europäisierung in der Ausbildung, eine Qualitätssteigerung sowie mehr Ehrlichkeit bei Bestätigungen. Neu sind allgemeine Richtzahlen bezüglich der zu erlernenden Fertigkeiten. Wehrschütz dazu: „Das ist ein wesentlicher Schritt, an dem man die Ausbildungs-Qualität erkennen kann.“ Außerdem sollen Ausbildungsstätten alle sieben Jahre re-zertifiziert werden mit einer stichprobenartigen Überprüfung hinsichtlich des Ausbildungsplans. Zwar gilt die neue Ärzteausbildungsordnung schon seit 1. Juni 2015 und dennoch ist ein zentraler Punkt noch ungeklärt: die Finanzierung der sechsmonatigen Lehrpraxis, die einen fixen Bestandteil in der Ausbildung zum Allgemeinmediziner darstellt. Wehrschütz: „Die Finanzierung muss demnächst gesichert sein, sonst kann die Ausbildung nicht abgeschlossen werden.“ Auch wurde eine Mindest-Ausbildungsquote für Allgemeinmediziner festgelegt: mindestens 400 pro Jahr.

Die Aussicht auf eine gute Ausbildung sieht Priv. Doz. Waltraud Eder von der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde in Salzburg als Motivations- und Entscheidungsfaktor für Bewerber. Da durch das Fehlen von messbaren Qualitätskriterien kein Vergleich der Ausbildung möglich ist, hat sie mittels Literaturrecherche und qualitativer Interviews von Assistenzärzten auf ihrer Abteilung messbare Qualitätsmerkmale und Maßnahmen zur Qualitätssicherung erhoben, die im Rahmen der neuen Ärzte-Ausbildungsordnung implementiert werden können. Die Umsetzung dieser Qualitätsmerkmale ist für alle Fächer möglich. So ist zum Beispiel das Erreichen von Ausbildungszielen, wenn sie gut definiert sind, auch gut überprüfbar.“

Die Zahlen und Fakten zur momentanen Situation von Jungärzten in Österreich präsentierte Karlheinz Kornhäusl, Obmann der Bundessektion Turnusärzte in der ÖÄK. Rund 900 der 1.400 Absolventen bleiben in Österreich. „26 Prozent werden hier nie in die Ärzteliste eingetragen, sondern gehen vor allem nach Deutschland, die Schweiz und Skandinavien oder wechseln in andere Berufssparten wie etwa in die Pharmaindustrie. 35 Prozent stehen langfristig gesehen nicht zur Verfügung.“ Eine Karriere im Spital ist für viele derzeit kaum vorstellbar, wie diverse Umfragen zeigen: „Nur 36 Prozent der Turnusärzte wollen weiter im Spital arbeiten. Bei den Studierenden sind es noch 45 Prozent. 64 Prozent halten es für unwahrscheinlich, bis zur Pensionierung im Spital zu arbeiten“, erläutert Kornhäusl, der hofft, dass man mit der neuen Ausbildung „die Attraktivität des Arztberufs hebt und die Jungärzte in Österreich halten kann.“

Zu wenig Zeit für Patientenbehandlung

Die aktuellen Ergebnisse der Mitarbeiterbefragung des Marburger Bunds 2015, der MB-Monitor, setzen sich aus Antworten von 3.895 Ärzten zusammen (Rücklaufquote 14 Prozent).

  • Die Durchschnittsarbeitszeit pro Woche beträgt 53 Stunden, rund die Hälfte (46 Prozent) arbeitet zwischen 49 und 59 Stunden, jeweils 21 Prozent zwischen 40 und 48 beziehungsweise 60 und 69 Stunden. Demnach arbeiten mehr als 70 Prozent mehr als die laut Arbeitsgesetz vorgesehenen maximalen 48 Stunden, allerdings hat nur knapp jeder Dritte (30 Prozent) die Opt-Out-Regelung unterschrieben.
  • Im Schnitt werden 7,3 Überstunden pro Woche gemacht.
  • Mehr als die Hälfte (57 Prozent) bevorzugen eine Wochenarbeitszeit zwischen 40 und 48 Stunden, 26 Prozent zwischen 30 und 39 Stunden.
  • 77 Prozent geben an, dass das Privat- beziehungsweise Familienleben unter den Arbeitszeiten leidet; 72 Prozent sehen dadurch ihre Gesundheit beeinträchtigt – etwa in Form von Schlafstörungen oder häufiger Müdigkeit.
  • 59 Prozent fühlen sich durch ihren Beruf psychisch belastet.
  • Mehr als zwei Drittel (69 Prozent) geben an, nicht genügend Zeit für die Behandlung ihrer Patienten zu haben. Dieser Wert korreliert mit der psychischen Belastung.
  • Rund 70 Prozent fühlen sich durch ökonomische Erwartungen des Arbeitsgebers in der ärztlichen Diagnose und Therapiefreiheit unter Druck gesetzt: „Ja, fast immer“ sagen neun Prozent; „ja, häufig“: 30 Prozent; „manchmal“: 34 Prozent; „selten“: 21 Prozent; „nie“: sechs Prozent.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 23-24 / 15.12.2015