Interview – Peter McDonald: Chefarztpflicht: „In die Jahre gekommen“

25.02.2015 | Politik

Den Frust im Gesundheitswesen insgesamt will der neue Hauptverbandschef Peter McDonald zurückdrängen. Die Chefarztpflicht dürfe nicht zur bürokratischen Keule werden, die Bürokratie insgesamt müsse zurückgefahren werden – und der Fokus stärker auf der Vorsorge liegen. Wie das gehen soll, erklärt er im Gespräch mit Agnes M. Mühlgassner.

ÖÄZ: Wie beurteilen Sie die Zusammenarbeit zwischen Hauptverband und ÖÄK?
McDonald: Wenngleich man natürlich nicht immer die gleiche Meinung vertritt, gibt es eine ordentliche Gesprächsebene und Diskussionskultur. Ich spreche mit vielen Ärztinnen und Ärzten, die nahezu täglich in ihrer Ordination stehen und möchte daher bewusst meine Wertschätzung ausdrücken darüber, mit wie viel Einsatz und Herzblut tagein, tagaus Menschen medizinisch betreut und unterstützt werden. Wenn Sie an dieser Zusammenarbeit etwas ändern könnten: Was wäre das? Es wäre besser, wenn es weniger Diskussionen über Systeme geben würde, und mehr darüber, was dem einzelnen Patienten wirklich hilft. Und das durchaus auch mit einem volkswirtschaftlichen Blick darauf, was im Sinn der Patienten wer wo wie am besten machen soll. Hier würde ich mir wünschen, dass jeder über seinen Tellerrand hinausschaut – auch die Ärztekammer und dass nicht nur interessenspolitisch agiert wird, sondern dem Gemeinwohl verpflichtet.

Jetzt drängt sich natürlich die Frage auf: Über welchen Tellerrand muss die Sozialversicherung schauen?
Ich glaube, dass die Sozialversicherung auch die Türen öffnen muss, um in konstruktive Diskussionen mit der Ärzteschaft zu gehen. Wir sollten darüber nachdenken: Wo müssen wir uns hin entwickeln, damit wir in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts ein solidarisch finanziertes Gesundheitswesen haben, in dem jeder das, was er medizinisch braucht, auch wirklich bekommt.

Sie haben kürzlich gemeint, wir sind in Österreich Analysier-Riesen und Umsetzungs-Zwerge.
Wir sind sehr gut im Analysieren, aber wir wollen immer alles zu 99 Prozent genau wissen, bevor irgendetwas in die Umsetzung geht. Als SVA-Chef habe ich gemeinsam mit der Ärztekammer das Projekt ‚Selbständig gesund‘ ausgearbeitet und dann umgesetzt. Dabei haben wir nicht die Garantie gehabt, dass es 100-prozentig funktioniert und gewusst, dass wir vermutlich hinterher noch ein paar Schräubchen drehen müssen. Das ist mir wichtiger, als dass wir jahrzehntelang diskutieren und nicht in die Umsetzung bringen.

Was heißt das umgelegt auf die Gesundheitsreform?
Dass wir nicht alles bis zum Ende analysieren müssen, sondern dass wir in Pilotversuchen auch neue Sachen ausprobieren sollen – gerade auch, weil wir eine sehr gute Primärversorgung durch unsere Hausärzte haben. Hier gibt es gewachsene Systeme – auch bei der Tarifierung – wo es uns gut anstehen würde, Pilotprojekte zu beginnen, wo Länder und Sozialversicherung zusammen finanzieren und neue Tarifierungsmodelle ausprobieren. Es ist ja auch keine Verpflichtung für die gesamte Ärzteschaft, sondern für die, die solche neuen Modelle ausprobieren wollen und das mit dem Ziel, dass die Versorgungsqualität noch besser wird und die Patienten ganzheitlich betreut werden. Aber gehen wir weg von dieser Diskussion über Systeme.

Wie erklären Sie einem jungen Arzt, dass ein Kassenvertrag heute noch etwas Attraktives ist?
Insgesamt stehen wir vor der Situation, dass wir eine sehr hohe Arztdichte haben, auch wenn wir spüren, dass da und dort die Wartezeiten zunehmen und die Frustration der im Gesundheitswesen Tätigen leider durch zunehmende Bürokratie zunimmt. Das sollten wir uns vornehmen: gemeinsam zu schauen, wo man unnötige Bürokratie abbauen und bessere Qualität für die Patienten erzielen kann. Qualitätsverbesserung wird zu stark mit Bürokratie verwechselt. Ich glaube, dass eine Vertragsarztstelle durchaus etwas sein kann, wo man sich gut verwirklichen kann. Es gibt die einen, die auf Vertragsversorgung setzen und es gibt unternehmerische Wahlärzte. Beides hat eine Legitimation.

Wie stehen Sie zum Hausarztmodell der ÖÄK?
Es baut sehr stark auf dem Ansatz auf, den wir heute kennen. Ich würde mich lösen von diesen systemischen Diskussionen, ob dieses oder jenes Konzept das Gescheitere ist. Versuchen wir doch gemeinsam, Primärversorgungskonzepte neu auszuprobieren und zu schauen: wie kann das funktionieren, dass Ärzte entlastet werden, es für die Patienten attraktiver wird und die Frustration im Gesundheitswesen insgesamt zurückgedrängt werden kann.

Themenwechsel. Hausapotheken sichern vor allem in ländlichen Gebieten den raschen Zugang zu Arzneimitteln. Ist das auch ein Modell für die Zukunft?
Es gibt in Österreich ein System von 1.400 Apotheken, das nahezu flächendeckend organisiert ist und es gibt eine Möglichkeit, dass parallel dazu auch Hausapotheken geschaffen werden, wo keine Apotheke ist. Ich halte den gesetzlichen Kompromiss, den nman gefunden hat, für einen gangbaren Weg, um die Versorgung der Patienten im ländlichen Raum sicherzustellen.

Stichwort zunehmende Bürokratie: Viele Ärzte beklagen die Chefarztpflicht und den EKO. Brauchen wir das wirklich?
Das hat eine komplexe Dimension. Im letzten halben Jahr hat es etwa bei den Medikamentenkosten Steigerungen von über acht Prozent gegeben. Wir müssen mit den uns überantworteten Finanzmitteln sehr effizient umgehen. Weil wir alle das Gesundheitswesen, so wie wir es heute kennen, weiter erhalten wollen, müssen wir drauf schauen, dass wir die uns überantworteten Finanzmittel – und Österreich investiert mit 33 Milliarden Euro mehr in das Gesundheitswesen als viele andere Länder – so effizient einsetzen, dass wir auch in den nächsten 50 bis 100 Jahren sicherstellen können, dass alle Österreicherinnen und Österreicher das bekommen, was sie medizinisch brauchen. Das ist auch im Interesse der Ärztekammer.

Was ist mit der Chefarztpflicht?
Die Chefarztpflicht ist ja schon etwas in die Jahre gekommen. Trotzdem erfüllt sie eine wichtige, qualitätssichernde Aufgabe. Ich verstehe auch, dass es bei so manchem Arzt Unmut gibt. Es ist aber eine ökonomische Notwendigkeit, dass wir als Sozialversicherung genau draufschauen, dass hier nicht etwas passiert, was nicht im Sinn der Solidargemeinschaft wäre. Aber es sollte nicht zur bürokratischen Keule werden.

Zur Vorsorge. Sie haben als SVA-Obmann nicht nur das Programm „Selbständig gesund“, sondern auch den Junior check eingeführt. Gibt es auch Überlegungen, diese oder ähnliche Programme auszuweiten?
Ein Schwerpunkt für die Sozialversicherungen muss in den nächsten Jahren die Gesundheitsförderung sein und ein Gutteil davon ist Bewusstseinsbildung bei den Menschen. Damit ist es nicht nur ein Thema der Sozialversicherung oder der Ärzteschaft, sondern ein gesellschaftspolitisches Thema. Hier muss es auch einen Kulturwandel bei der Betreuung durch die Ärzte geben: nämlich dass der Arzt nicht erst dann zuständig ist, wenn jemand krank ist, sondern davor. Da gibt es durchaus auch ein paar Überlegungen, wozu ich mit der Gesundheitsministerin im Gespräch bin.

Bei der Vorsorgeuntersuchung Neu liegen adaptierte, neu ausverhandelte Verträge vor, die noch nicht unterschrieben sind. Warum?
Ich bin ein Befürworter dieses Systems der Vorsorgeuntersuchung, wenn es beim Gesundheitscheck nicht endet. Das ist mir wichtig.

Das heißt: Es wird noch dauern, bis man hier zu einem Abschluss kommt.
Da ist mir die Qualität wichtiger als die Zeit.

Vorarlberg hat erst kürzlich in einem Modell zur Vorsorgekoloskopie nachgewiesen, wie abgesehen vom persönlichen Leid im Gesundheitssystem viel Geld eingespart werden kann. Wird das österreichweit umgesetzt?
Das ist eines der Projekte, das zeigt, dass man zum Nutzen der Menschen sehr viel erreichen kann, wenn man Kompetenzgrenzen überwindet und Länder und Sozialversicherung an einem Strang ziehen. Wir werden uns das sehr genau ansehen und mit den Vertretern der Bundesländer Gespräche führen. Man kann sich ja nur schwer diesen Argumenten entziehen. Ich halte es jedenfalls für ein sehr gelungenes Beispiel, wie Gesundheitsreform für den Einzelnen wirklich von besonderem Nutzen sein kann.

Unverständlich ist auch für viele Ärzte, wenn immer von den Überschüssen der Krankenkassen die Rede ist. Das ist ja eigentlich nichts Anderes als sparen – oder?
Wir haben in den letzten Jahren die Sozialversicherungsträger weitgehend entschuldet. Bei der Hälfte der Sozialversicherungsträger haben wir eine Leistungssicherungsreserve aufgebaut, die auch gesetzlich vorgeschrieben ist. Wir stehen vor der herausfordernden Situation, dass wegen des geringen Wirtschaftswachstums und der Konjunktur die Arbeitslosigkeit ansteigt und die Beitragseinnahmen stagnieren, andererseits aber gibt es den medizinischen Fortschritt. Und wenn wir – so wie es jetzt aussieht – 2015 und 2016 in die roten Zahlen rutschen, dann ist trotzdem das Solidarsystem gesichert. Mein Ziel bleibt es, über den Konjunkturzyklus hinaus eine ausgeglichene Gebarung sicherzustellen, denn man kann über eine längere Zeit nicht mehr ausgeben als man einnimmt.

Die Umsetzung von ELGA geht nach dem Ministerwechsel im Ressort etwas langsamer voran als ursprünglich vorgesehen. Die Ärzte haben nach wie vor große Bedenken vor allem wegen des Mehraufwandes in den Ordinationen und der offenen Fragen in punkto Datenschutz.
Ich verstehe natürlich die Sorgen der Ärzte, dass es hier zu einem zeitlichen Mehraufwand kommen könnte. Es muss klar sein, dass der Arzt dadurch in seinem täglichen Arbeitsablauf unterstützt wird und es keine Erschwernis darstellt. Das ist das Mindesterfordernis. Was den Datenschutz anlangt: Da wie dort – im niedergelassenen Bereich und auch in den Spitälern – werden Daten via unsicheren E-Mails ausgetauscht. Das sollte der Vergangenheit angehören. Es sollte gesicherte Streamlines geben, über die dieser Datenaustausch erfolgt und bei denen man sicher sein kann, dass niemand Einblick hat, von dem man es nicht möchte.

Wieso sind auf der E-Card noch immer keine grundsätzlichen Informationen wie Blutgruppe, Impfungen, Operationen etc. gespeichert?
Aus meiner Sicht sperrt die E-Card noch viel zu wenige Türen. Die Notfalldaten wurden damals auf Anraten der Notärzte nicht aufgenommen, weil nicht die notwendige Sicherheit geboten werden konnte.

Wieso gibt es das Foto auf der E-Card noch immer nicht?
Über das Foto lässt sich trefflich diskutieren. Es ist aber eher eine Stammtischdiskussion. Was die Argumentation in punkto Missbrauch anlangt: Die Ärzte sind schon heute verpflichtet, sich bei Missbrauchsverdacht einen Ausweis mit Foto zeigen zu lassen.

Zur Person

Geboren 1973 in Wels, Matura an der Handelsakademie Traun, Studium der Wirtschaftswissenschaften (BWL) an der Johannes Kepler Universität Linz mit den Schwerpunkten strategisches Management, Marketing und Organisation. In dieser Zeit war er Vorsitzender der Hochschülerschaft an der Johannes Kepler Universität.

1997: Auslandsjahr in Wales, um Business Administration zu studieren

2003-2008: Referent des Österreichischen Wirtschaftsbundes

Seit 2009:
Direktor des Österreichischen Wirtschaftsbundes

2011-2014: geschäftsführender Obmann der SVA, Stellvertretender Vorsitzender der Konferenz der Österreichischen Sozialversicherungsträger

Seit 21. Oktober 2014: 13. Vorsitzender des Verbandsvorstands im Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 4 / 25.02.2015