Interview Johannes Steinhart: „Auflösung des Gesamtvertrages“

25.09.2015 | Politik

Die derzeit vorliegende Punktation für ein PHC-Gesetz hat zum Ziel, die bestehende Gesundheitsversorgung durch niedergelassene Allgemeinmediziner auf Basis der Gesamtverträge mit den Kassen mittelfristig durch zentralistische Einrichtungen abzulösen. Das war Anlass für den Empfehlungsbeschluss der Bundeskurie niedergelassene Ärzte, die Kündigung der Gesamtverträge vorzubereiten – für den Fall, dass das Gesetz im jetzigen Wortlaut beschlossen wird. Die Hintergründe dazu erläutert Bundeskurienobmann Johannes Steinhart im Gespräch mit Agnes M. Mühlgassner.

ÖÄZ: Die angedrohte Kündigung der Gesamtverträge hat zu einer breiten Ablehnungsfront gegenüber der Ärztekammer geführt. Können Sie das nachvollziehen?
Steinhart: Eigentlich nicht. Aufgrund der Entwicklung in den letzten Wochen und durch die Präsentation der Eckpunkte des geplanten PHC-Gesetzes durch die Gesundheitsministerin hat ein Sonder-Bundeskurienausschuss nach intensiven Diskussionen einstimmig den Beschluss gefasst, den Länderkurien zu empfehlen, eine Vertragskündigung vorzubereiten – für den Fall, dass das Gesetz im jetzigen Wortlaut beschlossen wird.

Was genau stört die ÖÄK an der Punktation, die die Gesundheitsministerin vorgelegt hat?
Vor etwas mehr als einem Jahr hat die Bundeszielsteuerungskommission ein zwischen Bund, Ländern, Sozialversicherung und Ärztekammer nach langen und harten Verhandlungen akkordiertes Konzept ‚Das Team rund um den Hausarzt‘ beschlossen. Was uns die Ministerin jetzt vorgelegt hat, weicht in derart vielen zentralen Punkten substantiell von dem ab, was für uns eine conditio sine qua non ist, dass es zu dieser Empfehlung gekommen ist. Denn in dem vorliegenden Text sind jetzt viele für uns untragbare Dinge, die wir im Juni 2014 mühsam herausverhandeln konnten, wieder drin, manches davon sogar in verschärfter Form.

Was zum Beispiel?
Parallel zum jetzigen Gesamtvertrag soll ein zweiter Gesamtvertrag neu – ein ‚Gesamtvertrag light‘ – geschaffen werden, im Zuge dessen die Sozialversicherung mit jedem einzelnem PHC dann Einzelverträge abschließen könnte. Damit würde der einzelne Arzt einem übermächtigen ‚Verhandlungspartner‘ gegenüberstehen mit einer entsprechend schwachen Verhandlungsposition. In diesem Einzelvertrag würden künftig sowohl Leistungsumfang als auch Honorare festgelegt. Das bedeutet ja nichts anderes als die Auflösung des bestehenden Gesamtvertrages und das ist für uns inaktzeptabel. Wirklich Existenz-bedrohend ist die Tatsache, dass Kündigungen leichter möglich sein sollen. Damit ist der Willkür Tür und Tor geöffnet.

Und zwar inwiefern?
Es gibt einen Passus in der Punktation, der genau das beinhaltet. Allerdings sind keine weiteren Details dazu ausgeführt. Derzeit heißt es darin lediglich, dass es ein Kündigungsregime braucht bei Bedarfsänderungen, Nicht-Erfüllung vereinbarter Leistungen oder Änderungen im Organisationskonzept. Wenn also beispielsweise ein Ökonom zur Ansicht kommt, dass der Bedarf nicht gegeben ist, dann steht so ein PHC von einem auf den anderen Tag vor dem Aus. Das kann es nicht sein.

Derzeit gibt es lediglich eine Punktation für das PHC-Gesetz, der Gesetzesentwurf liegt der ÖÄK noch nicht vor. Warum dann diese heftige Reaktion?
Was hier geplant ist, ist ganz offensichtlich. Es kommt zum staatlichen Zentralismus in den Medizin, zum Aussterben der niedergelassenen Allgemeinmediziner und Fachärzte und zur Kommerzialisierung der ärztlichen Versorgung. PHCs oder AVZs, also allgemeine Versorgungszentren oder wie immer man sie nennt, würde es künftig nur noch dort geben, wo es ökonomisch Sinn macht. Von wohnortnaher, patientenzentrierter und individueller Medizin ist dann keine Rede mehr. Es wird zur Standardisierung in der ärztlichen Betreuung kommen und Kapitalgesellschaften werden Einzug halten im österreichischen Gesundheitswesen. Außerdem soll künftig die Bedarfsplanung im RSG erfolgen und nicht mehr im Stellenplan.

Wieso haben Sie als Kurienobmann der Wiener Ärztekammer dann der Gründung eines PHCs im sechsten Wiener Gemeindebezirk zugestimmt?
Das haben wir im Rahmen des vorhandenen Gesamtvertrags in Wien realisiert. Und das Interessante ist: Es handelt sich für alle Beteiligten um ein tadelloses Ergebnis. Eines ist aber schon klar: Der Vertrag, den wir hier abgeschlossen haben, ist ein völlig anderer, als der jetzt künftig für die PHCs vorgesehene. Sonst hätten wir einem solchen Pilotprojekt in Wien nie zugestimmt. Wir haben hier auch eine Evaluierung dieses fünfjährigen Projekts vereinbart. Jetzt sind gerade einmal acht Monate vorbei. Wo bleibt die Evaluierung? Warum wartet man hier nicht ab?

Der Ärztekammer wird auch vorgeworfen, eine jahrzehntelang funktionierende Vertragspartnerschaft brechen zu wollen. Ist das so?
Ganz im Gegenteil. Die Politik ist gerade dabei, etwas zu brechen, was in den letzten 60 Jahren hervorragend funktioniert hat. Der Gesamtvertrag ist eine Art Kollektivvertrag. Die Politik bestellt sich ein Gesetz, um die bestehende Versorgung durch niedergelassene Allgemeinmediziner und Fachärzte auf Basis der Gesamtverträge mittelfristig in die Luft zu sprengen. Das schaue ich mir an, wenn eine solche Vereinbarung, ein Kollektivvertrag in einem anderen Bereich so behandelt würde, wer sich das gefallen lassen würde. Da würde es auch in anderen Organisationen Proteste geben. Noch einmal: Man plant hier ein Gesetz, das unser Gesundheitssystem von Grund auf verändern würde. Das hat die Ärzte bereits 2008 auf die Straße gebracht.

Gibt es schon Verhandlungen über das PHC-Gesetz?

Nein, bis jetzt nicht. Man hat uns lediglich diese Punktation vorgelegt. Sollten wir zu Verhandlungen eingeladen werden, werden wir dem sicher nachkommen.

Wie geht es jetzt weiter?
Wir befinden uns hier in einer schwierigen Situation für alle Beteiligten, auch für die Ärzte. In Wien werden wir einmal die Patienten informieren, was das bedeutet. In der Folge – sollte dies nötig sein – werden wir unsere Kollegen dann informieren, wie so ein vertragsloser Zustand aussieht, wie man Honorare einhebt, wie abgerechnet wird und was sonst noch zu beachten ist.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 18 / 25.09.2015