Inter­view – Harald Mayer: „Struk­tu­rierte Wege durch das System“

10.05.2015 | Politik

Die Zei­ten der unein­ge­schränk­ten Selbst­zu­wei­sung von Pati­en­ten in die Spi­tals­am­bu­lan­zen muss vor­bei sein, for­dert der Kuri­en­ob­mann der ange­stell­ten Ärzte in der ÖÄK, Harald Mayer. Im Gespräch mit Agnes M. Mühl­gas­s­ner nimmt er auch Stel­lung zu den öster­reich­wei­ten Gehalts­ver­hand­lun­gen und erklärt, warum in Ober­ös­ter­reich nur jeder Zweite dem neuen Gehalts­pa­ket zuge­stimmt hat.

ÖÄZ: Die Ver­hand­lun­gen rund um neue Gehalts­sche­mata im Zuge der Novelle des KA-AZG sind in eini­gen Bun­des­län­dern noch immer nicht abge­schlos­sen. Woran liegt das?
Mayer: Die Umset­zung der euro­päi­schen Arbeits­zeit-Richt­li­nie und der damit ver­bun­de­nen Reduk­tion der Arbeits­zeit-Höchst­gren­zen unter gleich­zei­ti­gem Ärz­te­man­gel stel­len die Leis­tungs­brin­ger, also die Ärz­tin­nen und Ärzte, wie auch das Sys­tem ins­ge­samt auf eine gewal­tige Probe. Viele öster­rei­chi­sche Spi­tals­ärz­tin­nen und Spi­tals­ärzte hal­ten ein­fach den Druck und die Ver­dich­tung der Arbeit nicht mehr aus und das führt dann dazu, dass in den Bun­des­län­dern aus den ver­schie­dens­ten Beweg­grün­den her­aus Pro­teste aus­bre­chen, die diese ganze Unzu­frie­den­heit ausdrücken.

ÖÄZ: Wel­che Rolle spielt das Sys­tem, die Spi­tals­struk­tur?
Das Sys­tem hat auch seine Pro­bleme. Wir haben den Pati­en­ten jah­re­lang, jahr­zehn­te­lang signa­li­siert: alles geht – rund um die Uhr. So wird es nicht wei­ter­ge­hen. Im nie­der­ge­las­se­nen Bereich ist der Zenit erreicht, ebenso auch im Spi­tals­be­reich. Wir wer­den struk­tu­rierte Wege durch das Sys­tem brau­chen, wenn wir das Sys­tem so wie bis­her in der für die Pati­en­ten gewohn­ten Qua­li­tät wei­ter haben wollen.

ÖÄZ: Das heißt: In den Aus­ein­an­der­set­zun­gen rund um die neue Gehalts­struk­tur spie­gelt sich der mas­sive Frust über Ver­säum­nisse in den letz­ten Jah­ren wider?
Ja, genau. In den letz­ten Jahr­zehn­ten hat man die Ärzte, weil sie in einer Über­zahl vor­han­den waren, äußerst schlecht behan­delt. Jetzt, wo wir einen Ärz­te­man­gel erle­ben, las­sen sich die Ärz­tin­nen und Ärzte das nicht mehr gefal­len. Das führt aber dazu, dass es durch die Unzu­frie­den­heit, die sich hier auf­ge­staut hat, teil­weise zu bis fast zur Eska­la­tion gehen­den Sze­na­rien kommt.

Die Abstim­mung über das zwi­schen Ärz­te­kam­mer Ober­ös­ter­reich und dem Land aus­ver­han­delte Gehalts­mo­dell ist mit knapp 53 Pro­zent Zustim­mung denk­bar knapp aus­ge­gan­gen. Oder anders for­mu­liert: Jeder Zweite ist damit eigent­lich nicht ein­ver­stan­den.
Mei­ner Ansicht nach war es nicht nur eine Abstim­mung über das Paket, son­dern auch eine Abstim­mung über das Sys­tem. Wir muss­ten in Ober­ös­ter­reich über eine mas­sive Sys­tem­um­stel­lung ver­han­deln, weil das von unse­rem Ver­hand­lungs­part­ner ver­langt wurde. Trotz­dem haben wir aus unse­rer Sicht ein sehr gutes Paket geschnürt, das aber auf­grund sei­ner Kom­ple­xi­tät natür­lich eine große Unsi­cher­heit bei den Spi­tals­ärz­ten erzeugt hat. Wir sind davon über­zeugt, dass mehr als 80 Pro­zent der ober­ös­ter­rei­chi­schen Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen deut­lich gewin­nen wer­den, sonst hät­ten wir die­ses Paket nicht abge­schlos­sen. Ich hoffe noch immer, dass die ober­ös­ter­rei­chi­schen Ärz­tin­nen und Ärzte, wenn sie ihren ers­ten Gehalts­zet­tel auf­grund des neuen Gehalts­sche­mas erhal­ten haben, zufrie­de­ner sind als heute.

Wie wol­len Sie die rund 48 Pro­zent, die dage­gen gestimmt haben, über­zeu­gen?
Wir waren schon vor der Abstim­mung über das neue Gehalts­sys­tem in vie­len Kran­ken­häu­sern, haben die neue Sys­te­ma­tik erklärt und auch vor­ge­rech­net, wie das neue Gehalt aus­se­hen wird. Jetzt geht es ein­mal darum, Struk­tu­ren zu schaf­fen, in denen die­ses neue Schema funk­tio­niert – wie etwa eine elek­tro­ni­sche Zeit­er­fas­sung. Wir brau­chen noch neue Betriebs­ver­ein­ba­run­gen und das alles bis 1. Juli 2015. Auf Trä­ge­r­ebene sind min­des­tens sie­ben ver­schie­dene Betriebs­ver­ein­ba­run­gen abzu­schlie­ßen. Es ist also noch viel zu tun.

Der Ärz­te­kam­mer wird ja im Zusam­men­hang mit der Novelle des KA-AZG vor­ge­wor­fen, in den letz­ten zehn Jah­ren untä­tig gewe­sen zu sein. Wie sehen Sie das?
Das stimmt nicht. Wir haben immer wie­der dar­auf hin­ge­wie­sen, Ände­run­gen vor­zu­neh­men. Es liegt aber nicht in der Macht der Ärz­te­kam­mer, Gesetze zu ändern. Ehr­li­cher­weise muss man aber schon sagen, dass es immer Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen gege­ben hat, die mit Beschrän­kun­gen der Arbeits­zeit nicht glück­lich gewe­sen wären. Die jun­gen Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen hin­ge­gen sind teil­weise auch mit 48 Stun­den noch immer nicht glück­lich, weil es ihnen noch immer zu viel ist. Die junge Gene­ra­tion hat ganz andere Ansprü­che an ihre Work-Life-Balance und das ist zu akzep­tie­ren. Auch das Sys­tem wird sich danach rich­ten müs­sen. Wir wer­den andere Struk­tu­ren brau­chen. Mit den heu­ti­gen Struk­tu­ren wird das lang­fris­tig nicht gehen.

Also nicht die Ärz­tin­nen und Ärzte wer­den sich an ein Sys­tem anpas­sen müs­sen, son­dern die Sys­teme müs­sen sich den Wün­schen der Ärz­tin­nen und Ärzte anpas­sen?
Man wird Sys­teme anbie­ten müs­sen, die es für die Jun­gen attrak­tiv machen, im Sys­tem zu blei­ben. Gleich­zei­tig wird man das Sys­tem aber so adap­tie­ren müs­sen, dass es ein­fach nicht mög­lich ist, dass sich Pati­en­ten über Selbst­zu­wei­sung zu jeder Tages- und Nacht­zeit jede von ihnen gerade gewünschte Unter­su­chung oder Behand­lung abho­len wer­den können.

The­men­wech­sel. Wel­che Erwar­tun­gen gibt es von Sei­ten der Bun­des­ku­rie an die neue Ärz­te­aus­bil­dung? Die Bun­des­ku­rie ange­stellte Ärzte hat sich ja in einer Klau­sur aus­schließ­lich mit den Ras­ter­zeug­nis­sen beschäf­tigt.
Wir haben ganz bewusst die Ras­ter­zeug­nisse zum Thema unse­rer zwei­tä­gi­gen Klau­sur gemacht, weil wir nicht wol­len, dass es wie­der Ras­ter­zeug­nisse gibt, die nicht erfüll­bar sind. Das modu­lare Aus­bil­dungs­sys­tem bie­tet auch alle Mög­lich­kei­ten, das in Zukunft zu gewähr­leis­ten. Denn aus der neuen Sys­te­ma­tik ergibt sich, dass ein Fach­arzt eines Son­der­fa­ches am Ende sei­ner Aus­bil­dung nicht alles kön­nen muss. Die Auf­gabe der Kurie ist es, dar­auf zu ach­ten, dass etwa die Fall­zah­len so real sind, dass sie auch erfüll­bar sind.

Es soll also nicht mehr vor­kom­men, dass Ras­ter­zeug­nisse unter­schrie­ben wer­den, ohne dass im kon­kre­ten Bereich die Zahl erreicht oder über­haupt aus­ge­bil­det wurde.
Das soll es nicht geben. Wir haben 2007 in man­chen Berei­chen ernst­hafte Beden­ken gehabt, ob die Ras­ter­zeug­nisse auch in die­ser Form erfüllt wer­den kön­nen. Ziel muss es sein, erfüll­bare Ras­ter­zeug­nisse vor­zu­le­gen und auch zu beschließen.

In Ana­lo­gie zur Tur­nus­ärz­te­eva­lu­ie­rung soll nun auch die Aus­bil­dung der Fach­ärzte eva­lu­iert wer­den.
Hier soll eva­lu­iert wer­den, wie gut sich die jun­gen Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen aus­ge­bil­det füh­len. Wir haben bei der Tur­nus­ärz­te­eva­lu­ie­rung schon gese­hen, dass es durch die Eva­lu­ie­rung zu deut­li­chen Ver­bes­se­run­gen in stark kri­ti­sier­ten Abtei­lun­gen gekom­men ist. Ähn­li­ches erhof­fen wir uns von der Eva­lu­ie­rung der Fach­arzt­aus­bil­dung. Geplan­ter Start ist im Herbst 2015.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 9 /​10.05.2015