E-Health, Apps und Co: Dynamisch – digital – die Zukunft?

10.06.2015 | Politik

Die digitale Welt: ein dynamischer Markt mit einer Überfülle an Möglichkeiten. Welche Chancen und Risiken E-Health für das Gesundheitswesen birgt, diskutierten Experten kürzlich bei einer Veranstaltung in Wien. Von Marion Huber

Die Zukunft steht vor der Tür – aber weigert sich das Gesundheitswesen, sie zu öffnen? Oder anders gesagt: Kann man sich überhaupt vor der Zukunft verschließen? Mit dieser Frage eröffnete Franz Knieps, Vorstand des BKK Dachverbands e.V. in Berlin (Interessenvertretung der betrieblichen Krankenversicherungen), seinen Impulsvortrag bei der Veranstaltung „eHealth, Smartphone & Co – Patientenversorgung auf neuen Wegen?“ kürzlich in Wien. Knieps hatte auch eine Antwort parat: „Verschließen bringt nichts. Die Zukunft kommt sowieso über andere Öffnungen herein.“ Zukunft – das bedeute auch moderne Technologien. Zurzeit lebe man auf zwei Zeit-Ebenen gleichzeitig: in der Vergangenheit und der Zukunft – ganz nach dem Motto: „Steinzeit-Instrumente“ versus digitale Welt. Aber auch Deutschland habe keine „überragenden Erfahrungen“ mit neuen, modernen Technologien, resümierte Knieps. Wenn jemand das beurteilen kann, dann er – gilt er doch seit der Zeit, als er einer der wichtigsten Berater der deutschen Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (2001 bis 2009) war, als „graue Eminenz“ des Gesundheitswesens. Sein Fazit: „Es sieht düster aus.“

Über dem Thema schwebe seiner Ansicht nach ein großes Fragezeichen: „In diesem extrem komplexen und weitgehend intransparenten System wissen wir nicht, wohin es gehen wird.“ Die Menschen wüssten heute zwar, wie ihr Auto funktioniert, aber „wie ihr Körper oder gar das Gesundheitswesen funktionieren, wissen sie nicht“, so Knieps. Nicht einmal die Begriffe – von E-Health über Telematik bis hin zu Telemedizin etc. – seien einheitlich; eine gesetzliche Definition fehle zumindest in Deutschland. „Aber solange nicht klar ist, worüber wir eigentlich reden, brauchen wir gar nicht diskutieren“, betonte Knieps.

Projekte meist klein und regional

Selbst, wenn es „Hunderte, wenn nicht Tausende“ neue Projekte auf kleiner Ebene gebe – auf Bundesebene funktioniere das in Deutschland nicht, so Knieps. „Macht- und Geldinteressen spielen eine zu dominante Rolle.“ Seit 2009 etwa sei es in Deutschland gesetzlich festgeschrieben, dass ärztliche Gebührenpositionen für telemedizinische Angebote zu schaffen sind. Nach dem Motto „Gesetze sind unverbindliche Vorschläge des Ministers“ konnten sich die Akteure laut Knieps bis heute aber nicht einigen. Für Start-ups wiederum sei es schwer, sich durch diesen Dschungel an Bürokratie und Hierarchien zu kämpfen. Seine Kritik: „Alles dauert viel zu lange“ und so blieben nahezu alle Ideen auf der Ebene eines Projekts – „wie Inseln im Meer“; eine Vernetzung fehle.

Ein solches österreichisches Projekt ist auch „HerzMobil Tirol“ für die telemedizinische Versorgung von Patienten mit Herzinsuffizienz, wie dessen Projektleiter, Univ. Doz. Gerhard Pölzl von der Abteilung für Kardiologie und Angiologie der Medizinischen Universität Innsbruck, erklärte. Wobei hier die Vernetzung immer mehr gelebt werde, weil „das Projekt eine Eigendynamik entwickelt hat“. Zum Hintergrund: Derzeit werde die Hälfte der Herzinsuffizienz-Patienten innerhalb von sechs Monaten nach einem Krankenhaus-Aufenthalt wieder stationär aufgenommen – großteils deshalb, weil der Informationsaustausch an der Schnittstelle zwischen Krankenhaus und Weiterbetreuung im niedergelassenen Bereich „mühsam und mangelhaft“ ist, so Pölzl. Was die App nun leistet: „Die Information wird schneller weitergegeben, die Versorgungsqualität immens verbessert und die Wiederaufnahmen dadurch deutlich reduziert.“

Auch Werner Bogendorfer, Direktor des Bereichs „Gesundheit und Innovation“ in der VAEB (Versicherungsanstalt für Eisenbahnen und Bergbau), nannte ein Beispiel, das seiner Meinung nach die Versorgung optimiert: das VAEB DiabMemory – ein Diabetes Telemonitoring-System, das zur Unterstützung für die Therapie von Patienten mit Diabetes mellitus dient. Der Patient erhebt Messwerte wie Blutzucker, Blutdruck, Gewicht etc. und übermittelt diese per Computer, Tablet oder Mobiltelefon – das „elektronische Diabetes-Tagebuch“ stellt dabei eine Verbindung zwischen Patient und Arzt her, der die Werte kontrolliert und per SMS oder Anruf Feedback gibt. Bogendorfer ist überzeugt: „Wenn Services so intelligent und anwenderfreundlich gestaltet sind, werden sie genutzt.“

Martin Schaffenrath, stellvertretender Vorsitzender des Hauptverbands der Sozialversicherungsträger, berichtete von einer weiteren neuen App aus der Steiermark: Seit Anfang Mai dieses Jahres existiert eine Handy-App für Ersthelfer. Diese überträgt Standort-Daten von First Respondern an die Leitstelle des Roten Kreuzes. Schaffenrath dazu: „Im Notfall werden so die Ersthelfer alarmiert, die am schnellsten am Einsatzort sind.

Anwendungen, die zeigen, wie es gehen kann. Generell sieht Pölzl in EHealth-Services die Chance, die Arbeit am und mit dem Patienten zu erleichtern, zu beschleunigen und zu verbessern. „Wir müssen die Instrumente so einsetzen, dass Player, Versorger und Patienten davon profitieren“, sagt er. Moderne Technologien und digitale Kommunikation könnten das System nicht nur flexibler machen, sondern auch die face-to-face-Kommunikation wesentlich verändern. Was für Knieps dabei entscheidend ist: Diese neuen Technologien und auch die digitale Kommunikation werden „nicht ersetzend, sondern ergänzend“ zur persönlichen Kommunikation eingesetzt. Besonders in der heutigen Kommunikation, Kooperation und Koordination ortet Karl Forstner, Vizepräsident der ÖÄK, ein wesentliches Problem. Damit geht auch Knieps konform: „Die Kooperation im System funktioniert so schlecht, dass man sich wundert, dass die Versorgung überhaupt aufrechterhalten wird.“

Nicht nur hier – auch in der Steuerung des Patientenverhaltens kann die Digitalisierung eine entscheidende Rolle spielen. „Weil Patienten die Versorgungsebene frei wählen können, müssen wir sie dazu bringen, in Zukunft eine klügere und vernünftigere Wahl zu treffen“, forderte Forstner. Dafür müssten ihnen aber ausreichende und gute Informationen zur Verfügung gestellt werden. Diese Information so aufzubereiten und darzustellen, dass sie tatsächlich verwendbar ist, darin sieht Forstner eine „Herausforderung“. Auf dem dynamischen Markt von moderner Technologie gebe es zwar eine „Überfülle an Möglichkeiten“, oft aber keinen Qualitäts- oder Nutzennachweis. „Innovation muss nicht immer zwingend das Bessere sein“, gibt Forstner zu bedenken. Und auch Knieps bemängelte, dass es an Standards für digitale Portale oft fehle. „Ein kritisches Bewusstsein dafür, was Google & Co im Gesundheitswesen treiben, ist durchaus angebracht.“

E-Health werfe auch viele Fragen auf – nicht zuletzt rechtliche. Bogendorfer denkt dabei etwa an Haftung und Verbindlichkeit, wenn zum Beispiel über Skype Diagnosen gestellt werden. Knieps bringt das Stichwort „Verbot von Fernbehandlung“ in die Diskussion ein. Zählt es etwa schon zu Fernbehandlung, wenn Röntgenbilder ausgetauscht und über Skype besprochen werden?

Auch, wenn es noch einiges zu klären gibt, waren sich die Experten dennoch einig: E-Health-Services sind nicht aufzuhalten. Die Diskussion müsse in die Zukunft gerichtet sein – im Sinn von „Was kann man tun, um moderne Technologien zu nutzen, die einen Mehrwert für die Anwender haben“. Ein „Zurückfallen“ in die analoge Welt ist für Knieps jedenfalls unvorstellbar. Er ist überzeugt: Wenn der Druck groß genug ist, wenn andere Versorgungsformen scheitern, führt an Telemedizin & Co kein Weg vorbei. Dann müsse die Politik reagieren und Lösungen finden. „Die moderne Technologie wird sich ihre Wege schaffen.“

Die Karl-Landsteiner-Gesellschaft hatte Anfang Mai in Wien bereits zum 13. Mal Experten eingeladen, um im Rahmen der Reihe „Zukunft Gesundheit“ gesundheitspolitische Themen zu diskutieren.

TIPP: www.karl-landsteiner.at

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 11 / 10.06.2015