Ärztemangel in den Spitälern: Angestellte fordern Gegenstrategien

15.12.2015 | Politik

Immer mehr Ärztinnen und Ärzte kehren Österreichs Spitälern den Rücken. Zentrale Maßnahmen gegen den Ärztemangel, der durch die demographische Entwicklung unter Ärzten noch zusätzlich befeuert wird: attraktive Arbeitsbedingungen und ein strukturierter Zugang zur Spitalsambulanz durch die Umsetzung des Vertrauensarztmodells der ÖÄK. Von Agnes M. Mühlgassner

„Nicht verwunderlich“ – das sagt der Kurienobmann der angestellten Ärzte in der ÖÄK, Harald Mayer, zur aktuellen Situation. Die Novelle zum KA-AZG mit einer durchschnittlichen Wochenarbeitszeit von maximal 48 Stunden habe zu dieser Situation des Ärztemangels in den Spitälern beigetragen und diese Entwicklung auch noch verschärft, wie er betont. Immerhin: Schon seit 13 Jahren ist bekannt, dass die EU auf die Einhaltung der Arbeitszeiten drängen würde. Und die Klagsandrohung der EU war ja schließlich auch der Grund, warum sich die Politik zum Handeln entschlossen hat – mit Übergangsfristen bis 2021. Das ist der eine Aspekt. Der andere: Die demographische Entwicklung in der Bevölkerung insgesamt macht auch vor den Spitalsärztinnen und Spitalsärzten nicht Halt. 25 Prozent der jetzt in den Spitälern aktiven Ärzte werden in den nächsten zehn Jahren in Pension gehen. Nur auf Wunder zu warten ist für Mayer zu wenig; sieht er doch insgesamt im bestehenden System „ein ungeheures Potential, das man heben kann“.

Zwei zentrale Punkte nennt er in diesem Zusammenhang: erstens die Schaffung von Arbeitsbedingungen, die es attraktiver machen, als Arzt im Spital zu arbeiten und zweitens strukturierte Zugänge zur Spitalsambulanz. Wer darüber entscheiden soll? „Die Ärztinnen und Ärzte“, sagt Mayer. Denn „sie wissen am besten, was die Patienten brauchen“.

Mayer erneuerte die bislang unzähligen Forderungen an die Politik, endlich die Dokumentation und Administration auf ein erträgliches Ausmaß zu senken. Und er zeigt auch auf, in welchem Ausmaß hier Ressourcen frei gemacht werden könnten: Geht man davon aus, dass ein Spitalsarzt im Schnitt 40 Prozent seiner Zeit für Dokumentation aufwendet – bei den Turnusärzten sind es sogar 50 Prozent –, hätte eine Reduktion auf nur die Hälfte zur Folge, dass plötzlich wieder ein enormer Teil der Arbeitszeit für eigentlich ärztliche Tätigkeiten zur Verfügung stünde. Das hätte auch einen weiteren positiven Nebeneffekt: Die durch die KAAZG-Novelle bedingte 20-prozentige Reduktion der Arbeitszeit könnte auf diese Weise wettgemacht werden.

Wie sich Mayer den gefilterten Zugang zur Spitalsambulanz vorstellt? Hier sollte seiner Ansicht nach das von der Kurie der Niedergelassenen erarbeitete Vertrauensarztmodell zum Einsatz kommen. Dabei begleitet der Arzt den Patienten innerhalb des Gesundheitssystems und berät ihn auch, wann welche Schritte wie zu setzen sind – und somit könnte der ungelenkte Zustrom in die Spitalsambulanzen eingedämmt werden.

Karlheinz Kornhäusl, Stellvertreter von Harald Mayer in der Kurie der angestellten Ärzte und Obmann der Bundessektion Turnusärzte, sieht zwar in der Ärzte-Ausbildungs-Ordnung Neu einen gewaltigen Schritt nach vorne – nur: Der Gesetzestext allein werde nichts ändern. Wenn man dieses Gesetz nicht auch mit Leben erfülle und lebbar mache, werde man weiter Ärzte verlieren, nicht nur in andere Berufe, sondern auch ins Ausland. Welche Dimension der Ärzte-Exodus mittlerweile angenommen hat, veranschaulichen die Zahlen: Jedes Jahr beginnen in Österreich 1.500 Studenten ein Medizinstudium; 1.400 schließen es auch tatsächlich ab. Von diesen bleiben rund 900 in Österreich; somit gehen Österreich pro Jahr 500 Jungärztinnen und Jungärzte derzeit verloren. Was es braucht, um diese Entwicklung umzukehren? Einen „Kraftakt“, sagt Kornhäusl, nicht nur, um diese Ärzte-Flucht einzudämmen, sondern auch um „jene, die die Flucht angetreten haben, wieder zurück zu holen“.

Nicht ganz unwesentlich ist der ökonomische Aspekt dieser Entwicklung, veranschaulicht Univ. Doz. Rudolf Knapp, Primar-Ärztevertreter in der Kurie der angestellten Ärzte: „Wenn jährlich 500 Absolventen das Land verlassen, bedeutet das einen Abgang von rund 250 Millionen Euro pro Jahr“ – ganz abgesehen von der „Brain Power“, die hier verloren ginge. Der Hauptgrund für diese Entwicklung liegt laut Knapp in der Administration: Ärzte müssten Aufgaben übernehmen, „für die sie eigentlich nicht da sind“. Der interne Ärztemangel stellt sich in Zahlen folgendermaßen dar: Seit dem Jahr 2000 ist zwar die Zahl der Ärzte insgesamt gestiegen; jedoch ist die Zahl der niedergelassenen Ärzte mit einem Kassenvertrag um vier Prozent zurückgegangen, während hingegen die Zahl der Wahlärzte um 124 Prozent zugenommen hat. Knapp: „Die Ärzte gehen nicht nur ins Ausland, sondern sie verabschieden sich auch innerhalb des sozialen Systems.“

Auch einen anderen Aspekt bringt Knapp ein: So spiele seiner Ansicht nach der Kostendruck bei medizinischen Entscheidungen eine zu große Rolle. Und er stellt klar: „Es muss sekundär sein, was es kostet, wenn Ärzte Entscheidungen treffen.“ Gesundheitsreformen in Österreich seien bislang reine Finanzierungsreformen gewesen. „Wir müssen uns überlegen: Wollen wir das Gesundheitssystem neu organisieren oder wollen wir nur von außen wieder Ketten anlegen?“ – so Knapp resümierend.

Maßnahmen gegen die Ärzteflucht

Folgende Maßnahmen sind aus Sicht der Kurie angestellte Ärzte notwendig, um dieser Entwicklung gegenzusteuern:

  • Steuerung des Zugangs zu Spitalsambulanzen;
  • Flächendeckende Einhaltung des KA-AZG;
  • Reduktion der administrativen Aufgaben von Ärzten;
  • mehr Entscheidungsfreiheit für Ärzte bei der Therapie;
  • mehr Führungsverantwortung für Ärzte;
  • vollständige und flächendeckende Umsetzung des mitverantwortlichen Tätigkeitsbereichs;
  • den Ärzte-Bedürfnissen – für jüngere und ältere – angepasste Arbeitszeitmodelle.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 23-24 / 15.12.2015