Zervikale Lymphknotenschwellung: Verzögerungen vermeiden

15.07.2015 | Medizin

Die reaktive Lymphadenitis ist bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen bis 40 Jahre die häufigste Ursache einer palpablen Hals- oder Lymphknotenschwellung. Ein wesentlicher Orientierungspunkt bei der Differentialdiagnose ist das Alter: Ab dem 50. Lebensjahr steigt das Malignomrisiko auf bis zu 80 Prozent an.
Von Irene Mlekusch

Patienten, die wegen geschwollener Lymphknoten im Halsbereich einen Arzt aufsuchen, sind deswegen mitunter sehr beunruhigt und vermuten eine schwerwiegende Erkrankung als Ursache. Oft suchen auch besorgte Eltern von Kindern und Jugendlichen aus demselben Grund ärztlichen Rat. Die Aufgabe des Arztes ist es, einerseits die Ängste des Patienten beziehungsweise der Eltern ernst zu nehmen und zu besprechen, andererseits das Symptom keinesfalls zu bagatellisieren, um ernsthafte Erkrankungen nicht zu übersehen. „Man sollte sich nicht unnötig beunruhigen, aber trotzdem den Kopf für alle möglichen Diagnosen offen halten. Denn ein Lymphom zu übersehen, hat weitreichende Konsequenzen für den Patienten“, sagt Univ. Prof. Rosa Bellmann-Weiler von der Universitätsklinik für Innere Medizin VI der Medizinischen Universität Innsbruck.

Umgekehrt finden sich bei mehr als der Hälfte aller aus anderen Gründen untersuchten Patienten palpable zervikale Lymphknoten. Ein strukturiertes diagnostisches Vorgehen empfiehlt sich auch zur eigenen Absicherung. Eine sorgfältige Anamnese und klinische Untersuchung können richtungweisend sein und somit eine erste Differenzierung zwischen ernsthafter und harmloser Lymphadenopathie treffen. Für Univ. Prof. Michael Formanek, Leiter der Abteilung HNO und Phoniatrie am Krankenhaus der Barmherzigen Brüder Wien, ist der Zeitfaktor ein wesentlicher Aspekt der Anamnese: „Unnötige Verzögerungen sollten vermieden werden. Daher ist es wichtig zu erfahren, wie lange die Schwellung bereits besteht.“

Reaktive Lymphadenitis

Bei einer lokalisierten Lymphknotenschwellung ohne eindeutige Verdachtsdiagnose ist es vertretbar, zunächst zwei bis drei Wochen abzuwarten. Lässt sich ein zeitlicher Zusammenhang mit einer viralen oder bakteriellen Infektion aus der Anamnese ableiten oder finden sich einer reaktiven Lymphadenitis entsprechend Symptome einer akuten Infektion der oberen Luftwege, Zähne oder Ohren, so bedarf es lediglich einer symptomatischen Therapie. Die reaktive Lymphadenitis ist bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen bis 40 Jahre die häufigste Ursache einer palpablen Hals- oder Lymphknotenschwellung. In diesem Zusammenhang ist auch an spezifische Lymphadenitiden zu denken und die Ergebnisse der Anamnese in Bezug auf Expositionen mit Katzen und anderen Tieren oder Reisen in endemische Gebiete zu berücksichtigen. Formanek betont die Zunahme spezifischer Infektionen wie Tuberkulose oder HIV und fügt hinzu: „Insbesondere durch die Ost-Erweiterung gilt der Fokus der spezifischen Infektionen der Tuberkulose. HIV-Infektionen mit zervikalen Lymphknoten sind zwar als klinisches Symptom selten. Man sollte diese Infektion aber nicht ganz aus den Augen verlieren.“ Laut Bellmann-Weiler sollte man auch an Toxoplasmose, EBV- sowie CMV-assoziierte Infektionen denken. Ein Follow-up oder zumindest eine Rückmeldung des Patienten nach circa 14 Tagen beziehungsweise Therapieabschluss wünscht sich Formanek in jedem Fall.

Beide Experten sind sich einig, dass eine trotz Behandlung fortbestehende oder progrediente Lymphknotenschwellung einer weiteren Abklärung bedarf. Ein weiterer wesentlicher Orientierungspunkt bei der Differentialdiagnostik ist das Alter des Patienten, da das Malignomrisiko ab dem 50. Lebensjahr auf 55 bis 80 Prozent ansteigt. „Maligne zervikale Lymphknotenschwellungen beim Erwachsenen stellen zumeist Metastasen eines Karzinoms im HNO-Bereich dar“, betont Formanek. Bei zehn bis 20 Prozent der Betroffenen sind Halslymphknoten-Metastasen die erste klinische Manifestation eines Plattenepithelkarzinoms. Außerdem kann über die Lokalisation der Metastase bereits ein Verdacht auf die Lokalisation des Primärtumors geäußert werden.

Metastasen von Primärtumoren

Vergrößerte supraclavikuläre Lymphknoten sind zwar schwierig zu palpieren, weisen aber das höchste Malignomrisiko auf und sprechen für ein Bronchial- oder Mammakarzinom. „Bei suspekten Lymphknoten ist es sinnvoll, die Lunge und den Körperstamm mit zu untersuchen“, meint Bellmann-Weiler. Primärtumore der Haut, Speicheldrüsen oder der Schilddrüse können ebenfalls im Bereich der zervikalen Lymphknoten metastasieren. Zusätzliche Hinweise aus der Anamnese, die für eine Metastase sprechen, sind bereits durchgemachte maligne Erkrankungen, die Exposition gegenüber Risikofaktoren wie Tabak und Alkohol oder eine rasche Größenprogredienz. Bei Kindern und Jugendlichen sind benigne und maligne Tumoren sehr selten die Ursache für zervikale Lymphadenopathien; hier steht die Lymphadenitis deutlich als Diagnose im Vordergrund. Entzündungen der Speicheldrüsen sowie kongenitale Anomalien in Form brachiogener Zysten oder Fisteln, kommen in dieser Altersgruppe differentialdiagnostisch ebenfalls in Frage. „Zwei Drittel aller malignen zervikalen Lymphknotenschwellungen bei Kindern sind lymphogenen oder neuroblastomatösen Ursprungs“, merkt Formanek an. Bei älteren Jugendlichen und Erwachsenen bis zum 40. Lebensjahr ist ebenfalls vorrangig an entzündliche und angeborene Veränderungen zu denken. Beide Experten verweisen hier wiederum auf die Tuberkulose als relevante Differentialdiagnose. Benigne Tumore sind im Vergleich zu malignen Lymphknotenveränderungen – vor allem malignen Lymphomen – in diesem Alter häufiger. Die klinische Untersuchung sollte eine eingehende Inspektion und Palpation der vergrößerten Lymphknoten beinhalten. Formanek empfiehlt dabei auf Charakteristiken wie Konsistenz, Dolenz, Mobilität, Größe, Form, Oberfläche, Lokalisation, Hautveränderungen und Anzahl der Lymphknoten zu achten. Als suspekt gelten einseitige, isolierte, derbe und/oder fixierte Lymphknoten, die größer sind als ein bis eineinhalb Zentimeter. Finden sich zusätzlich zu einer verdächtigen Lymphadenopathie B-Symptome oder eine andere schwere Begleitsymptomatik, ist eine weitere fachärztliche Begutachtung sowie eine Sonographie der Lymphknoten so rasch wie möglich notwendig. Formanek dazu: „Kann eine zervikale Lymphknotenschwellung nicht schnell zugeordnet werden, ist ein diagnostisches Dilemma durch interdisziplinäre Zusammenarbeit zu lösen.“ Die Häufigkeit der Malignomdiagnose bei Lymphadenopathie liegt in der hausärztlichen Praxis bei einem Prozent.

„Die Blutsenkungsgeschwindigkeit ist ein wichtiger differentialdiagnostischer Laborparameter“, sagt Bellmann-Weiler. Und Formanek ergänzt: „Blutbild, CRP, Chemie, Virus-Serologie und spezifische Blutuntersuchungen können in Zusammenhang mit der Anamnese die Diagnostik ergänzen.“ Bei der Bildgebung stellt die Sonographie das Mittel der Wahl dar, da eine gute erste Risikoeinschätzung hinsichtlich der Malignitätswahrscheinlichkeit ebenso möglich ist wie eine verlässliche Verlaufsbeobachtung. „Die Sonographie lässt einerseits eine Differenzierung im Hinblick auf reaktive Veränderungen zu, andererseits weisen Kriterien wie eine fehlende Rinden-Markdifferenzierung, kugelige Form, inhomogene Struktur oder die Infiltration benachbarter Strukturen auf Malignität hin“, betont Bellman-Weiler.

Falls eine eindeutige Diagnosestellung bei suspektem Lymphknoten nicht möglich ist beziehungsweise eine maligne Lymphadenopathie klinisch und laborchemisch nicht ausgeschlossen werden kann, sollte eine Biopsie mit Probenentnahme oder eine Lymphknoten-Exstirpation für zytologische, histologische und mikrobiologische Untersuchungen erfolgen. „Es ist darauf zu achten, dass das für die Bakteriologie benötigte Präparat nicht in Formalin asserviert wird, weil anderenfalls die bakteriologische Aufarbeitung – insbesondere die Mykobakteriendiagnostik – nicht möglich ist“, verdeutlicht Bellmann-Weiler. Die Materialgewinnung kann auch durch eine ultraschallgezielte Feinnadelpunktion erfolgen.

Maligne Lymphome können sich zwar in allen Lymphknoten manifestieren; jedoch entwickelt sich das Non-Hodgkin-Lymphom oder ein Morbus Hodgkin in 30 Prozent der Fälle im Kopf-/Halsbereich. Vor allem bei Lymphomen in der Anamnese und einem Morbus Sjörgen ist an ein malignes Lymphom zu denken. Da Lymphome im Bereich von Kopf und Hals meist früh diagnostiziert werden, fehlt eine entsprechende B-Symptomatik in vielen Fällen. Palpatorisch sind in erster Linie sehr schnell wachsende, eher weiche Lymphknotenpakete – nicht selten beidseitig – verdächtig für ein malignes Lymphom.

Abschließend erinnert Formanek daran, dass nicht jede Halsschwellung automatisch eine Lymphknotenschwellung sein müsse. Differentialdiagnostisch sind maligne Tumore der Halsweichteile genauso wahrscheinlich wie Lipome und Atherome; Neurinome, Paragangliome und vaskuläre Malformationen sind dagegen seltene Ursachen.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 13-14 / 15.07.2015