Vitamin D-Mangel: Knochenschmerzen als Folge?

25.06.2015 | Medizin

Mehr als die Hälfte der Bevölkerung hat einen Vitamin D-Mangel; bei den über 65-Jährigen sind etwa 80 Prozent betroffen. Ob extrem niedrige Vitamin D-Spiegel zu unklaren Knochenschmerzen führen können, wird kontroversiell diskutiert. Von Verena Isak

Generalisierte Knochen- und Gelenksschmerzen sowie Muskelschwäche sind Möglichkeiten, wie sich zu niedrige Vitamin D-Spiegel bemerkbar machen können. „Diese Symptome können, müssen aber nicht unbedingt bei Vitamin D-Mangel auftreten“, stellt Priv. Doz. Karin Amrein von der Klinischen Abteilung für Endokrinologie und Stoffwechsel der Medizinischen Universität Graz fest. Außerdem ist die Kalziumaufnahme im Darm herabgesetzt.

Bei ganz niedrigen Spiegeln – also unter 10 ng/ml – kommt es zu einer Osteomalazie, wie Priv. Doz. Astrid Fahrleitner-Pammer, ebenfalls von der Klinischen Abteilung für Endokrinologie und Stoffwechsel der MedUni Graz, erklärt: „Durch die Demineralisation des Knochens wird er weich, was zu Schmerzen und so genannten braunen Tumoren, also Löchern im Knochen, führt.“ Was bei Kindern als Rachitis bezeichnet wird. Durch die noch nicht verschlossene Wachstumsfuge kommt es dabei zu Deformitäten des Skeletts – vor allem der Wirbelsäule und der langen Röhrenknochen; das zeigt sich beispielsweise durch Genua vara.

„Das Risiko für Osteoporose ist durch einen Vitamin D-Mangel nicht erhöht. Der Knochen wird bei der Osteoporose anders zerstört als bei der Osteomalazie“, sagt Fahrleitner. Dennoch gibt es hier Überschneidungen, führt sie weiter aus: „Fast 100 Prozent der Osteoporose-Patienten haben parallel auch einen Vitamin D-Mangel.“ Besonders bei niedrigen Werten muss dieser zuerst ausgeglichen werden, bevor man mit einer Therapie gegen die Osteoporose beginnen kann. Als „Schmerzgrenze“ sieht sie dabei Werte von unter 15 bis 20 ng/ml. Über den kausalen Zusammenhang zwischen einem Vitamin D-Mangel und Knochenschmerzen wird kontroversiell diskutiert. „In den offiziellen Richtlinien zur Schmerztherapie findet zu niedriges Vitamin D als Ursache keine Berechtigung“, sagt Fahrleitner. Auch Univ. Prof. Anton Luger von der Universitätsklinik für Innere Medizin III der Medizinischen Universität Wien sieht keinen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Knochenschmerzen und einem Vitamin D-Mangel: „Erst Osteomalazie und Osteoporose können zu Knochenschmerzen führen, niedrige Vitamin D Spiegel per se nicht.“

Effekte von Vitamin D

Prospektive Doppelblindstudien gibt es nicht, lediglich Querschnittsstudien, in denen beschriebene Knochenschmerzen durch die Gabe von Vitamin D verbessert werden konnten. Fahrleitner dazu: „Es ist allerdings nicht klar, ob die Besserung der Schmerzen auf Vitamin D zurückzuführen ist oder nur Placebo sind.“ Amrein ergänzt: „Es sind noch viele weitere Studien notwendig, um die genauen Effekte von Vitamin D besser nachvollziehen zu können.“ Und weiter: „Vitamin D-Präparate sind allerdings sehr billig, wodurch Pharmafirmen in diesem Bereich in der Regel keinen Markt sehen.“ Vitamin D ist eigentlich kein echtes Vitamin, da es durch den Körper gebildet werden kann unter dem Einfluss von Sonneneinstrahlung. Doch auch viele andere Gewebe exprimieren Vitamin D-Rezeptoren. Sie verfügen über die für die Umwandlung von nativem Vitamin D in die aktive Form Calcitriol erforderlichen Enzyme, wodurch ein Einfluss dieses Vitamins auch auf andere Organsysteme vermutet wird. So könnte sich ein Mangel an Vitamin D auch negativ auf den Verlauf von Infektionen, Diabetes, kardiovaskuläre Erkrankungen, Krebs, Depression oder einen bestehenden Kinderwunsch auswirken. Allerdings sei die Datenlage schlecht, so Fahrleitner: „Vitamin D-Mangel ist mit einer höheren Inzidenz von vielen chronischen Erkrankungen wie Herzinfarkten und Schlaganfällen assoziiert.“ Es sei jedoch unklar, ob „es einen kausalen Zusammenhang gibt oder der Mangel nur eine Begleiterscheinung bedingt durch den Lebensstil ist“, fügt Amrein hinzu. Sie konnte in einer Studie zeigen, dass bei Intensivpatienten mit stark erniedrigtem Vitamin D-Spiegel durch die Gabe von hochdosiertem Vitamin D3 die Mortalität gesenkt werden konnte.

Vitamin D-Mangel immer häufiger

Nicht immer ist jedoch ein Vitamin D-Mangel der Auslöser von Knochenschmerzen. „Die wichtigsten Differentialdiagnosen sind rheumatische Erkrankungen. Selten sind auch maligne Erkrankungen, also Knochenkrebs oder Metastasen Ursache für die Beschwerden“, erklärt Fahrleitner. Ein erhöhtes Risiko für einen schweren Vitamin D-Mangel haben bettlägerige oder immobilisierte Patienten wie etwa Querschnittsgelähmte.

Doch auch in der Durchschnittsbevölkerung steigt der Anteil an Menschen mit Vitamin D-Mangel. Grund dafür sind ein veränderter Lifestyle und der Breitengrad. Den Aussagen von Fahrleitner zufolge sei in Österreich von April bis Oktober die Sonneneinstrahlung zwischen 11h und 14h „ausreichend stark“, um die körpereigene Vitamin D-Produktion ausreichend anzuregen. Allerdings sind die meisten Menschen während dieser Zeit in der Arbeit – meist in Gebäuden. In den USA oder in Skandinavien versucht man, durch mit Vitamin D angereicherte Lebensmittel – wie zum Beispiel Milchprodukte – die Prävalenz zu senken.

Weitere Risikofaktoren sind eine chronische Erkrankung der Leber oder der Niere, wodurch die Vitamin D-Synthese des Körpers nicht vollständig ablaufen kann sowie die Einnahme mancher Medikamente – etwa durch Anti-Epileptika. Ältere Menschen – besonders Frauen – zählen ebenfalls zu den Betroffenen. „Ab 65 verliert die Haut die Fähigkeit, Vitamin D zu bilden, da das subkutane Fett zu niedrig ist“, erklärt Fahrleitner. Daher findet man in dieser Altersgruppe fast immer einen Vitamin D-Mangel. Laut Amrein werde hier – auch ohne vorherige Spiegelmessung – eine tägliche Einnahme von 800 IE Vitamin D3 empfohlen. Bei Kindern liegt die empfohlene Tagesdosis bei 400 IE. „In Österreich wird die Substitution von Vitamin D im ersten Lebensjahr empfohlen. Sinnvoll wäre es allerdings durch das ganze Knochenwachstum hindurch“, meint sie. In den USA etwa werde in der Regel Vitamin D bis zum Ende der Pubertät verabreicht.

Bei Gesunden wäre es ratsam, den Vitamin D-Spiegel zuerst bestimmen zu lassen, etwa im Zuge der Gesundenuntersuchung. „Diese Bestimmung ist mit etwa 25 Euro im Vergleich zu den niedrigen Kosten der Vitaminpräparate allerdings relativ teuer, wodurch bei Knochenschmerzen oft einfach probiert wird, ob eine Besserung durch die Einnahme von Vitamin D eintritt“, sagt Amrein. Bei einem leichten Mangel könne man versuchen, diesen durch längere Aufenthalte in der Sonne auszugleichen – am besten in Kombination mit körperlicher Aktivität. Allerdings gestalte sich eine Änderung der Lebensgewohnheiten oft schwierig, sodass „meistens Vitamin D gegeben wird“, erklärt Amrein. Dabei reicht schon ein Aufenthalt von zehn bis fünfzehn Minuten in der Sonne – mehrmals pro Woche.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 12 / 25.06.2015